"Sie entscheiden", titeln Het Nieuwsblad und Gazet van Antwerpen. "Sie haben die Wahl", schreiben Het Belang van Limburg, De Standaard und De Morgen. Im Grunde also nur eine Frage der Formulierung. Die Botschaft ist aber die gleiche: Es ist wohl ein Appell an die Bürger, morgen tatsächlich ihre Stimme abzugeben.
"Die Spannung steigt, morgen wird gewählt", schreibt auch das GrenzEcho. "Und es ist die Wahl aller Unwägbarkeiten", bemerkt Le Soir auf Seite eins. Denn in der Tat: Prognosen sind schwierig.
Auf der Titelseite von La Libre Belgique sieht man den Einsatz in Form von Fotos: Die Bilder von zwölf Bürgermeistern, "um deren Kopf es geht", meint das Blatt. Zu sehen sind etwa Brüssels Bürgermeister Philippe Close, die Bürgermeisterin von Molenbeek, Françoise Schepmans, oder auch Elio Di Rupo, Noch-Bürgermeister von Mons. Di Rupo drückt ja jetzt die Liste.
"Wählen Sie lokal!"
In Flandern scheint sich wieder alles auf Antwerpen zuzuspitzen: Mal als Feststellung, mal als Drohung gemeint, hat der amtierende Bürgermeister der Scheldestadt, N-VA-Chef Bart De Wever, mehrmals erklärt, dass die Ereignisse in seiner Stadt selbstverständlich Auswirkungen haben würden auf die flämische beziehungsweise Föderalregierung. Vor Augen hat er da die CD&V mit ihrem Spitzenkandidaten, dem amtierenden Vizepremier Kris Peeters. Der war vor sechs Jahren der Mehrheitsbeschaffer für De Wever, könnte aber jetzt ein Linksbündnis unterstützen. Sichtbarster Gegenkandidat von Bart De Wever ist der frühere Groen-Vorsitzende Wouter Van Besien. "Morgen heißt es: Wouter oder ich", sagt De Wever auf Seite eins von Het Laatste Nieuws.
Natürlich ist es in erster Linie eine Lokalwahl. In allen Landesteilen dürfte der morgige Sonntag aber auch eine gewisse Signalwirkung haben. L'Echo malt fast schon den Teufel an die Wand: "Wird das politische Gleichgewicht des Landes ins Wanken geraten?", fragt sich die Zeitung.
Viele Blätter scheinen aber genau davor zu warnen: "Wählen Sie lokal!", so etwa der Appell im Leitartikel von De Standaard. Einige Parteien, insbesondere die N-VA, hatten ja versucht, diese Kommunalwahlen sozusagen mit einer nationalen Soße zu übergießen. Stichwort "Migrationspolitik". Morgen geht es aber weniger um Parteiideologie, sondern um die Kandidaten. Es sind die Bürgermeister, die in den nächsten Jahren die Welt retten können. Sie haben entscheidende Hebel in der Hand, die wirklich Einfluss haben auf den Alltag der Menschen: Stromleitungen, Mobilität, Sicherheit, Sozialer Wohnungsbau. Hier sollte man also seine Stimme dem geeignetsten Kandidaten geben. Wer strategisch eine Partei wählen will, der kann das ja bei den Provinzwahlen tun.
"Stimmen Sie für den Richtigen", fordert auch Het Laatste Nieuws. Ob nun links oder rechts, das macht doch keinen Unterschied, vielleicht mit Ausnahme der großen Städte wie Antwerpen oder Gent. Auf lokaler Ebene ist nicht die Parteifarbe von Belang, die Menschen machen den Unterschied.
Das nationale Fieberthermometer
Auch Gazet van Antwerpen ärgert sich darüber, dass die Kommunalwahlen so einen nationalen Anstrich bekommen haben. Eine besonders steile These hatte Bart De Wever in den Raum gestellt: "Wenn in Antwerpen wieder die Linken ans Ruder kommen, dann landet am Ende auch die PS wieder in der Föderalregierung." Kann ja sein, aber derlei Überlegungen haben den Wahlkampf unnötig vergiftet. Es hätte hier um rein lokale Themen gehen müssen.
Aber machen wir uns nichts weis, meint Het Nieuwsblad. Natürlich werden die Wahlen von morgen auf die anderen Ebenen abstrahlen. Ob wir das wollen oder nicht. Eben das Beispiel Antwerpen: Sollte De Wever in die Opposition verfrachtet werden, dann wird er den Parteien, die dafür verantwortlich sind, früher oder später die Rechnung präsentieren. Und nicht vergessen: Hier geht es letztlich um den Titel "Flämische Volkspartei". Den kann im Moment noch – aufgrund ihrer tiefen lokalen Verankerung – die CD&V für sich beanspruchen. Die N-VA will die Christdemokraten aber vom Sockel stürzen. Die Dorfstraße beeinflusst immer auch die Region oder sogar die föderale Ebene.
De Morgen sieht das ähnlich: Die Motivation der Wähler dürfte morgen eine gemischte sein. Klar spielen lokale Themen eine Rolle, aber jede Gemeinde ist ja letztlich auch Teil dieser Welt – einer Welt, die den Menschen Sorgen macht, die anders und schneller dreht als vorher. Die Kommunalwahlen sind also letztlich auch ein nationales Fieberthermometer.
Die Frage aller Fragen
Wie wird die N-VA abschneiden? Was passiert in Antwerpen? Wird die PS für die Affären abgestraft? Erlebt die CDH tatsächlich die "Chronik eines angekündigten Todes"? Profitiert die MR vom Premierminister-Bonus? Kann die PTB ihre guten Umfragewerte an der Wahlurne ummünzen? Kann DéFI in der Wallonie Fuß fassen? Profitiert Ecolo vom Stromdebakel oder von der Klimadiskussion? Allesamt berechtigte Fragen, meint Le Soir. Die entscheidende ist aber eine andere: Wie groß ist die Wut auf "die da oben"? Ist die Politikverdrossenheit in Belgien so groß wie etwa in Italien, Deutschland oder den USA? Sie haben die Macht, wendet sich das Blatt an seine Leser.
L'Echo schlägt in dieselbe Kerbe: "Bürger, zu den Urnen!", meint das Blatt in Anlehnung an die Marseillaise. Der große Wahlsieger, das könnten am Ende die Unzufriedenen sein, die Angewiderten, die Apathischen, die Nicht- beziehungsweise Weißwähler eben. Gerade auf lokaler Ebene ist das Phänomen besorgniserregend: Schließlich sind die Kommunalwahlen doch der direkteste Ausdruck der Demokratie, weil die Gemeinden ja dem Bürger am Nächsten stehen. Wir stehen hier vor einem veritablen Paradox: Die Nichtwähler sind zur stärksten politischen Kraft geworden. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass sie in der Summe alle Hebel in der Hand hätten, um die Dinge zu verändern. Die Bürger vergessen allzu oft, dass sie selbst den Schlüssel zur Veränderung in der Hand halten. Seine Stimme nicht abzugeben, das ist eine Entscheidung, keine Wahl.
Roger Pint