"Das große Chaos", so die unerbittliche Schlagzeile von Le Soir. "Es fehlen noch 1.000 Megawatt Strom", titeln nüchterner De Standaard, Het Belang van Limburg und das GrenzEcho.
Der drohende Blackout lässt die Zeitungen nicht mehr los. Und er scheint sich außerdem zu präzisieren. Elia, der Betreiber der Hochspannungsnetze, hat am Abend offiziell die Alarmglocke geläutet. Nach neuesten Berechnungen könnten im Ernstfall 1.000 Megawatt fehlen, um die Stromversorgung gewährleisten zu können.
"Belgien ist auf der Jagd nach Megawatt", stellt denn auch L'Echo auf seiner Titelseite fest. Energieministerin Marie-Christine Marghem will jetzt nach eigenen Worten "für jedes Megawatt kämpfen". Bei Elia ist man allerdings der Ansicht, dass es keine wirklichen Alternativen gibt. "Ein Stromengpass ist bei einem strengen Winter nur noch schwer abzuwenden", warnt denn auch De Tijd auf Seite eins. "Der Abschaltplan bleibt auf dem Tisch", so formuliert es De Morgen. "Selbst die Ministerin kann nichts mehr garantieren", so die fast verbitterte Schlagzeile von Het Laatste Nieuws.
Mehr und mehr erscheint die föderale Energieministerin Marie-Christine Marghem vielen Beobachtern als die Hauptschuldige an dem Debakel. "Der Schwarze Peter scheint dann doch bei Marghem zu landen", stellt etwa De Morgen fest. Die Leitartikler gehen mit der MR-Politikerin ebenfalls außergewöhnlich hart ins Gericht.
Frau Marghem abschalten?
"Apropos Abschaltplan: Sollte man nicht einfach Marie-Christine Marghem abschalten?", giftet etwa Le Soir. Man kann von Politikern nicht verlangen, dass sie jedes Problem vermeiden. Allerdings darf man doch erwarten, dass sie es regeln. Es sollte jedenfalls nicht so sein, dass ein Minister durch sein Verhalten, durch seinen Aktivismus, durch seine Ungenauigkeiten das Chaos nur noch vergrößert. Genau das macht Frau Marghem aber zu einem Problem. Die föderale Energieministerin macht die Lage nicht klarer, sondern nur noch verworrener, sie flößt nicht Respekt ein, sondern bringt alle nur auf die Palme. Nur ein Beispiel: In den zuständigen Ausschuss kam Marghem alleine, ohne ein Vertreter von Elia. Und auch über deren Zahlen verfügte sie nicht. Das ist keine Krise mehr, das ist ein Zirkus.
L'Echo fällt ein ähnlich vernichtendes Urteil. Selten wohl wurde an einem Tag so viel Chaos produziert. Die fundamentalen Einschätzungen von Elia gab's erst gestern Abend bei einer improvisierten Pressekonferenz. Das ist kein Kommunikationsproblem mehr. Man kann nur feststellen, dass das Krisenmanagement nicht im Verhältnis steht zum Ernst der Lage. Denn, nur noch mal zur Erinnerung: In Belgien droht allen Ernstes das Licht auszugehen. Das muss man sich mal vorstellen. Und in diesem Zusammenhang führt die Ministerin einen Eiertanz auf und liegen immer noch nicht alle Informationen vor. Dieser Mangel an Transparenz ist besorgniserregend.
"Man muss die Probleme lösen, wenn sie sich stellen", diese alte Maxime des früheren Premiers Jean-Luc Dehaene scheint sich der eine oder andere doch zu sehr zu Herzen genommen zu haben, wettert De Tijd. Gerade im Energiebereich sollte man doch etwas vorausschauender agieren. Stattdessen muss Marie-Christine Marghem jetzt holterdiepolter Megawatt suchen. In jedem Fall scheint die Versorgungssicherheit aber nicht gewährleistet werden zu können. Das ist ein vernichtendes Signal, auch für potentielle Investoren. Belgien macht sich doch nur noch lächerlich.
Es geht uns gut im "gescheiterten Staat"
Wer Belgien zum Failed State, zum gescheiterten Staat stempeln will, der muss manchmal nicht lange suchen, kann De Morgen nur feststellen. Das Stromdebakel ist ja nur ein Beispiel; im Brüsseler Justizpalast stürzt die Decke ein, gleiches gilt ja auch für die Brüsseler Autotunnels. Und von einem Haushaltsgleichgewicht spricht auch keiner mehr. Bei alledem kann man aber manchmal vergessen, dass es uns in diesem Land eigentlich ganz gut geht. Im Durchschnitt sind die Menschen hier vergleichsweise wohlhabend und glücklich. Für viele der genannten Probleme gibt es wohl unter anderem eine gemeinsame Erklärung: den teilweise seit Jahrzehnten andauernden Investitionsstau. Gründe sind wohl die institutionelle Zersplitterung und die Tatsache, dass wir uns eigentlich permanent im Wahlkampf befinden.
La Libre Belgique greift diese beiden Stichworte auf, dies aber mit Blick auf die anstehenden Kommunalwahlen. Unsere Demokratie hat schon bessere Zeiten erlebt, kann La Libre Belgique nur feststellen. Viele Menschen sind desillusioniert. Dabei leben wir doch eigentlich in einer der angenehmsten Gegenden des Globus. Gerade Belgien zeichnet sich darüber hinaus durch ein leistungsfähiges Sozialsystem aus. Warum also dieses Misstrauen? Ein Grund ist wohl, dass einige wenige schwarze Schafe sich hemmungslos die Taschen gefüllt haben. Ein anderer ist, dass die Probleme der heutigen Zeit komplex sind und man keine Lösung mit Fingerschnipsel herbeizaubern kann. All das führt letztlich zu einer gefährlichen Feststellung, nämlich dass man beim Wähler mit Versprechen besser punkten kann als mit einer Regierungsbilanz.
Sorge um Königin Paola
Es gibt aber noch ein zweites großes Thema auf den Titelseiten. Und das sind natürlich die gesundheitlichen Probleme von Königin Paola. La Libre Belgique und auch Le Soir bleiben da noch bei den Fakten: "Königin Paola musste dringend nach Belgien gebracht werden". Paola hat ja eine Nacht in einem Krankenhaus in Venedig verbringen müssen. Laut RTBF soll sie einen leichten Schlaganfall erlitten haben, La Libre Belgique und La Dernière Heure sprechen heute ebenfalls von dieser Diagnose.
Der Palast hat das bislang aber nicht bestätigt. "Sorge um die Königin", schreibt jedenfalls La Dernière Heure. "Albert weicht keine Sekunde von ihrer Seite", stellen Het Nieuwsblad und Het Laatste Nieuws fest. Wobei: Paola schwebt nicht in Lebensgefahr. "Sie spricht und sie geht", meldet auch erleichtert Het Laatste Nieuws. Gazet van Antwerpen formuliert es so: "Ihr Körper hat einen Warnschuss abgegeben".
Roger Pint