Fast weiße Titelseiten heute bei einigen Zeitungen. "Das könnte demnächst öfter passieren", bemerkt dazu das GrenzEcho. "Informationen haben ihren Preis", titelt Le Soir.
Die außergewöhnliche Aktion ist eigentlich ein Appell an das EU-Parlament. Die Abgeordneten müssen heute in Straßburg über eine Reform des Urheberrechts abstimmen. Im Wesentlichen geht es darum, die Autorenrechte von Künstlern, vor allem Filmschaffenden und Musikern, an die heutige Internet-Realität anzupassen.
Betroffen ist aber auch insbesondere die geschriebene Presse. Im Moment ist es so, dass Internetkonzerne wie Google oder Facebook zwar die Inhalte von Meldungen zitieren; die Verlagshäuser haben aber nichts davon. 80 Prozent der im Internet generierten Werbeeinnahmen gehen an die so genannten GAFA, also die großen Online-Riesen Google, Amazon, Facebook und Apple. Die Zeitungen appellieren also an das Parlament, dafür zu sorgen, dass auch die Medienhäuser ein Stück des Kuchens abbekommen.
Urheberrecht: Es geht (auch) um die Demokratie
Auch La Dernière Heure will ihren Lesern vor Auge führen, worum es geht. "Eine schlechte Neuigkeit erwartet Sie im Innenteil", schreibt das Blatt auf Seite eins. Auf der angegebenen Seite steht dann eine offensichtliche Falschmeldung, die zudem angeblich gesponsert ist. "Wollen Sie Informationen, die letztlich Werbung sind?", fragt das Blatt. "Dieser Kampf ist auch Ihr Kampf!", wendet sich La Dernière Heure an ihre Leser.
So kann es nicht weitergehen, meint Le Soir in seinem Leitartikel, der im Namen der ganzen Redaktion verfasst wurde. Firmen wie Google oder Facebook verbreiten die Infos von Zeitungsverlagen, sammeln dabei noch fleißig Daten und für die Medienhäuser gibt es am Ende nur die Krümel. Für die Presse geht es hier ums Überleben. Hier geht es aber nicht nur um die wirtschaftliche Zukunft dieser Unternehmen, sondern auch um einen Stützpfeiler unserer freien Demokratien. Qualitativ hochwertige Nachrichten haben einen Preis und einen Wert. All das den amerikanischen Multinationals auf einem Silbertablett zu servieren wäre ein Todesurteil.
Das GrenzEcho sieht das genauso: Zeitungsmacher und Journalisten wehren sich dagegen, dass ihr (geistiges) Eigentum einfach abgegriffen und weiter vermarktet wird. Hier geht es um viel mehr als eine Existenzfrage. Medien spielen eine wichtige Rolle, insbesondere bei der Kontrolle von Regierungen und Parlamenten, ohne die eine normal funktionierende Demokratie kaum denkbar wäre. Das EU-Parlament muss jetzt also genau abwägen, was wichtiger ist: grenzenlose Freiheit im Netz oder unsere freiheitliche Demokratie?
Genau deswegen sollten die Abgeordneten heute denn auch jegliche Abänderungsvorschläge verwerfen, fordert L'Avenir. Der Geist des derzeit vorliegenden Entwurfs darf nicht mehr verändert werden. Indem Europa seine Presse schützt, verteidigt es auch sein Wirtschaftsmodell und seine Werte.
Belgien als Eldorado?
Viele Zeitungen beschäftigen sich heute auch mit dem nationalen Investitionspakt, den Premierminister Charles Michel gestern stolz präsentiert hat. Bis 2030 sollen demnach 150 Milliarden Euro investiert werden, insbesondere in Infrastrukturprojekte. Etwas mehr als die Hälfte dieser beeindruckenden Summe soll der Privatsektor beisteuern.
Das Urteil vieler Leitartikler fällt skeptisch bis kritisch aus. Das gilt zum Beispiel für De Tijd. Im Wesentlichen handelt es sich um einen Katalog guter Absichten, meint das Blatt. Die von dem Expertengremium ausgesprochenen Empfehlungen sind wenig konkret. Außerdem kann man schwerlich von einem "nationalen" Investitionsplan sprechen, wenn eigentlich die Regionen zuständig sind. Hinzu kommt, dass die Föderalregierung wohl kein Geld herzaubern kann. Selbst wenn die EU ihre Haushaltsregel lockert, sind neue Schulden eigentlich keine Option. Nicht auszuschließen, dass der Plan in der nächsten Legislaturperiode eines stillen Todes stirbt.
Premierminister Charles Michel will aus Belgien nach eigenen Worten ein "Eldorado für Investoren" machen. "Eldorado"?, der Begriff ist etwas unglücklich, stichelt Het Laatste Nieuws. Schließlich hat sich das Eldorado der Spanier am Ende auch als Mythos erwiesen. Nun kann man dem Premier aber nicht vorwerfen, an die Zukunft des Landes zu denken und insbesondere an den seit Jahrzehnten andauernden Investitionsstau. Ganz nebenbei kann Michel damit aber auch von den diversen Misserfolgen seiner Regierung ablenken.
Irgendwie wirkt das Ganze wie die sprichwörtliche "Flucht nach vorne", meint auch De Morgen. In der Theorie ist so ein Investitionsplan bestimmt eine gute Idee. Was die praktische Umsetzung angeht, sind aber Zweifel erlaubt. In die Tat umsetzen müssen das nämlich die Regionen. Deren erste Reaktionen allerdings fielen wenig begeistert aus. Mal schauen, ob dem Investitionspakt eine lange Zukunft beschert sein wird.
Politische Sandkastenspielchen
Genau hier setzt L'Écho den Hebel an. Zwei PS-Ministerpräsidenten hatten nämlich die feierliche Präsentation gestern boykottiert. Die Ministerpräsidenten der Region Brüssel und der französischen Gemeinschaft, Rudi Vervoort und Rudy Demotte, waren der Veranstaltung ferngeblieben. "Was für eine Sandkasten-Politik", wettert die Wirtschaftszeitung. Natürlich sind viele Zweifel erlaubt. Natürlich kann man kritisieren, dass in dem Expertengremium, das den Plan vorbereitet hat, weder die Gewerkschaften vertreten waren noch die Kleinen und Mittleren Betriebe. Natürlich hat das Ganze einen Anstrich von Wahlpropaganda. Dennoch bleibt das Verhalten von Vervoort und Demotte kindisch.
La Libre Belgique empfiehlt ihrerseits, die eigentliche Grundfeststellung nicht aus den Augen zu verlieren. Dieses Land hat viel zu lange seine öffentliche Infrastruktur vernachlässigt. Deswegen ist ein Investitionspakt überfällig. Und er sollte auch entschlossen umgesetzt werden. Hier geht es um nicht weniger als das Überleben unseres Wirtschafts- und Sozialmodells. Jetzt kann jedenfalls keiner mehr behaupten, er habe von diesen Herausforderungen nichts gewusst.
Roger Pint