"Das Spiel des Jahrhunderts", titelt überschwänglich La Dernière Heure. "Heute Abend oder nie", so die Schlagzeile von Le Soir. L'Avenir spricht auf seiner Titelseite sogar vom "Abend der Wahrheit".
Die Vorfreude in den Zeitungen ist riesig. Alle warten mit Spannung auf das WM-Viertelfinalspiel der Roten Teufel heute Abend gegen Brasilien. Brasilien ist wohl der eindeutige Favorit. "Aber Brasilien ist zu schlagen", glaubt De Standaard auf Seite eins. "Bereit für ein Wunder", meint denn auch Het Nieuwsblad. "Jetzt ist Zeit zu glänzen", schreibt Het Belang van Limburg. "Macht uns stolz", fordert Gazet van Antwerpen. Die seriöse La Libre Belgique formuliert es nüchterner: "Es ist eine goldene Gelegenheit, Geschichte zu schreiben".
Auf vielen Titelseiten sieht man erstmal zwei Männer, die in ihren jeweiligen Teams die Nummer 10 tragen: Auf der einen Seite den brasilianischen Superstar Neymar, auf der anderen Seite das Mittelfeldgenie der Roten Teufel, Eden Hazard. Viele Zeitungen zeigen aber auch die ganze Mannschaft, denn am Ende wird es wohl auf die kollektive Leistung ankommen. "Jungs, macht eure Kinderträume wahr", meint emotional Het Laatste Nieuws. Denn ein WM-Spiel gegen Brasilien haben sich wohl alle Spieler gewünscht.
"Werdet zu Legenden!"
Viele Blätter sind heute demonstrativ optimistisch. Unter anderem De Morgen und Het Nieuwsblad bringen heute Prognosen von allerlei Prominenten aus Politik und Showgeschäft. Zwar sieht der eine oder andere schwarz für die Roten Teufel und tippen auf einen knappen Sieg für Brasilien, die meisten glauben aber an die Belgier.
Rein sportlich haben die Roten Teufel mit Sicherheit eine Chance, meint etwa La Dernière Heure in einem Kommentar. Nationaltrainer Roberto Martinez muss nur die richtigen Worte finden, und dann muss eben die Einstellung stimmen. Dann ist alles drin. Offensiv ist es die beste Mannschaft, die wir jemals hatten. Eden Hazard ist in der Form seines Lebens. Mit Thibaut Courtois haben wir einen Weltklasse-Torhüter, und die Mannschaft verfügt jetzt auch über ein wirkliches Spielsystem. "Jetzt müsst ihr uns nur noch stolz machen", wünscht sich La Dernière Heure.
Bei allem Respekt der Seleção gegenüber, aber diesmal sind wir zumindest potentiell auf Augenhöhe, meint auch La Libre Belgique. Wenn die Einstellung stimmt, und wenn sie diszipliniert spielen, ohne Angst, ohne Arroganz, aber mit dem Glauben, das Land zum Träumen bringen zu können, dann können die Roten Teufel Brasilien packen. "Werdet zu Legenden", fordert La Libre.
"Wir glauben an euch", so auch der Tenor von gleich vier Kommentaren in Het Nieuwsblad. Wobei, schränkt die Chef-Redakteurin ein: Optimismus, das ist eigentlich nicht unser Ding. Die Belgier tun sich schwer damit, selbstbewusst aufzutreten. Aber lasst uns doch wenigstens für einmal über unseren Schatten springen, einfach nur fest daran glauben, dass es kann, dass es muss, dass es wird, einfach mal schamlos glauben, dass wir die besten sind.
Vielleicht kann die Welt von Belgien lernen
"Ach, tut das gut!", meint auch die Leitartiklerin von Le Soir. Was hier gerade in der Luft liegt, fühlt sich toll an. Klar muss man auf dem Teppich bleiben. Egal wie die Roten Teufel bei der WM abschneiden, das wird das Land politisch oder gesellschaftlich nicht umkrempeln, wird Belgien nicht über Nacht wieder in einen Einheitsstaat verwandeln. Dieser Glücksmoment ist kein Wundermittel, aber er gibt Auftrieb, Energie für die anstehenden Herausforderungen.
Auch De Morgen warnt davor, politische Schlüsse aus der Erfolgsgeschichte der Roten Teufel zu ziehen. Eine Fußballmannschaft als Sinnbild für irgendeine gesellschaftspolitische Entwicklung zu betrachten, das hat sich eigentlich immer als falsch erwiesen. Beispiel Frankreich: Die Weltmeister-Mannschaft von 1998 war der Inbegriff der Vielfalt, der Multikulturalität. Bei der ersten Präsidentschaftswahl danach im Jahr 2002 kam der rechtsextreme Jean-Marie Le Pen mit einem fremdenfeindlichen Programm in die zweite.
Aber vielleicht kann die Welt doch etwas von den Belgiern lernen. Zum Beispiel ihren unverkrampften Umgang mit nationalen Symbolen, wenn viele Fans etwa versehentlich die belgische Flagge falschrum aus dem Fenster hängen, oder, wenn sie den Text der Nationalhymne nicht kennen. Auf unseren wohl einzigartigen und zugleich friedlichen Mangel an Nationalstolz können wir stolz sein.
Unschlagbare Preise haben ihren Preis
Neben der wichtigsten Nebensache der Welt gibt es aber auch noch ernstere Themen. "Streik bei Ryanair in vier europäischen Ländern", notiert etwa L'Echo auf Seite eins. "Ryanair löst den ersten europaweiten Streik aus", titelt seinerseits Le Soir. Denn neben der Tatsache, dass die angekündigte Arbeitsniederlegung für den Billigflieger zur Unzeit kommt, ist die europäische Tragweite das eigentliche Ereignis. Da sind sich die Zeitungen im Wesentlichen einig.
Dass Gewerkschaften aus verschiedenen europäischen Ländern ihre Proteste koordinieren, das gab es noch nie, analysiert sinngemäß L'Echo in seinem Leitartikel. Das hat zunächst damit zu tun, dass das gar nicht so einfach ist, zu verschieden sind die jeweiligen Gesetzgebungen. Dass es doch gelungen ist, einen grenzüberschreitenden Streik zu organisieren, das zeigt, wie groß die Wut sein muss. Die Gewerkschaften haben Ryanair gestern sogar als "gesetzloses Unternehmen" mit unwürdigen Arbeitsbedingungen gebrandmarkt. Das sollten sich aber auch die Kunden hinter die Ohren schreiben. Wenn sie das nächste Mal ein Ryanair-Angebot sehen, mit angeblich "unschlagbaren Preisen", dann wissen Sie jetzt, dass das nicht von ungefähr kommt, dass Ryanair nicht über Wundermittel verfügt.
Roger Pint