"Flüchtlingspolitik: Das Abkommen, das kein Abkommen ist", titelt Le Soir. "Europas Scheinabkommen über die Migration", so auch die Schlagzeile von La Libre Belgique.
Viele Zeitungen ziehen heute zunächst eine Bilanz des EU-Gipfels. Gestern Morgen präsentierten die 28 Staats- und Regierungschefs nach einer nächtlichen Marathon-Sitzung einen Kompromiss, der die Spannungen in der Flüchtlingspolitik erst einmal beilegen soll. "Schnell bekam man aber den Eindruck von Augenwischerei", sind sich Le Soir und La Libre einig. In ihren jeweiligen Abschlusspressekonferenzen haben sich die Staats- und Regierungschefs nämlich wenig später schon in wesentlichen Punkten widersprochen.
Politisch betrachtet mag man den EU-Migrations-Gipfel vielleicht noch als einen Erfolg bezeichnen, analysiert Het Nieuwsblad in seinem Leitartikel. Es reicht, sich die Ausgangslage anzuschauen: Die Standpunkte am Verhandlungstisch waren zu Beginn meilenweit voneinander entfernt. Die Ost-Europäer um Ungarn wollen keine Flüchtlinge aufnehmen; auf der anderen Seite fordert Italien europäische Solidarität. Entsprechend ist dann aber auch das Abkommen am Ende ausgefallen: Der Text ist vage, so vage, dass es dann doch schwerfällt, den Gipfel tatsächlich als Erfolg zu bezeichnen.
Kollektive Halluzination
Es ist ein politisches Abkommen, um politisch explosive Situationen zu entschärfen, meint De Tijd. Der italienische Ministerpräsident Conte musste innenpolitisch punkten; und die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel musste ihre Regierung retten. Die angebliche Lösung besteht aber erst einmal nur auf dem Papier.
Naja, es ist schon mal besser als nichts, meint ihrerseits La Libre Belgique. Zwischenzeitlich musste man ja sogar befürchten, dass es beim Brüsseler Gipfel zu einem Clash kommt, einer offenen Konfrontation zwischen den Mitgliedstaaten, was eine Blockade zur Folge gehabt hätte. Das erklärt denn auch, warum gestern Morgen erst einmal zuversichtliche Töne zu hören waren. Klar ist das Abkommen vage. Klar muss es erstmal umgesetzt werden, aber das ist immer noch besser, als ein offener Streit.
Le Soir spricht hingegen seinerseits von einer kollektiven Halluzination. Das famose Abkommen hat ja noch nicht mal so lange gehalten, bis die Tinte trocken war. In den Stunden nach der Einigung haben die Staats- und Regierungschefs selbst ein Kärtchen nach dem anderen heraus gezupft, bis das wacklige Gebilde in sich zusammenbrach. Der kleinste gemeinsame Nenner war anscheinend schon zu viel.
Mehr denn je sind die EU-Staaten in dem Korsett gefangen, dass sie sich selber angelegt haben. Jeder will seiner öffentlichen Meinung gegenüber Durchsetzungskraft beweisen. Und deswegen zählen einzig und allein noch eigene Interessen. Wenn am Ende aber selbst ein Handschlag keinen Wert mehr hat, dann wird das Ganze wirklich beunruhigend.
Geben Populisten den Ton an?
Auch für De Morgen gibt es Grund zur Sorge. Das Brüsseler Abkommen stellt eine deutliche Verschärfung der Migrationspolitik dar. Im Wesentlichen geht es darum, Migranten möglichst fern zu halten. Dabei sind die Flüchtlingsströme derzeit eigentlich aus europäischer Sicht überschaubar, ist die Lage unter Kontrolle. Im Moment scheinen also die Populisten den Ton anzugeben und ein Schreckgespenst immer weiter aufzublasen, meint das Blatt sinngemäß.
Auch L'Avenir hat inhaltliche Bedenken. Einige Punkte in dem Abkommen sind mindestens fragwürdig mit Blick auf die Menschenrechte oder internationale Regelwerke. Unter anderem ist vorgesehen, dass Migranten, deren Asylantrag abgelehnt wird, konsequent zurückgeschickt werden sollen, notfalls auch in Länder, in denen sie um Leib und Leben bangen müssen. Europa ist da definitiv sehr weit entfernt von den humanistischen Träumen seiner Gründerväter. Einziger Lichtblick: Das Abkommen erlaubt es, dass die EU geeint bleibt. Und nur eine geeinte EU kann die Herausforderungen der heutigen Zeit angehen und vielleicht auch irgendwann auf den Weg seiner Grundwerte zurückfinden.
Europa hat sich Zeit gekauft, nicht mehr, aber auch nicht weniger, so denn auch das Fazit von De Standaard. So sorgt man dafür, dass eine akute Bedrohung sich in eine chronische Krankheit verwandelt. Aber eine fatale Krise wird eben vermieden. Dieser Gipfel hat die Gefahr politischer Unfälle vorläufig wieder gebannt. Und mehr muss es erst einmal auch nicht sein.
L'Echo sieht das anders. Die EU verliert hier eigentlich mehr Zeit als sie gewinnt, meint das Blatt. Gerade in der Flüchtlingspolitik braucht man jetzt endlich eine klare Linie. Eben die Tatsache, dass es die bislang nicht gab, hat doch letztlich erst zum Aufstieg der Populisten beigetragen. Die Zeit spielt gegen Europa. Je länger man dieses Problem vor sich herschiebt, desto größer wird die Gefahr, dass die dunklen Stunden zurückkehren, die den Kontinent schon so oft erschüttert haben. Vielleicht brauchen wir doch endlich eine Art Kern-Europa, eine Gruppe von Staaten, die wirklich auch ein starkes Europa wollen.
Der Rolls-Royce von Marc Wilmots
"Eine CO²-Steuer auf fossile Brennstoffe ist in der Mache", titeln derweil sinngemäß De Morgen und Het Nieuwsblad. Betroffen wären demnach sowohl Autos als auch Heizungsanlagen. Das Projekt von Energieministerin Marie-Christine Marghem steht aber noch ziemlich am Anfang. Mit einem Inkrafttreten ist vor der Wahl im kommenden Jahr nicht mehr zu rechnen.
Einige Zeitungen schließlich bringen heute Interviews mit dem früheren Nationaltrainer Marc Wilmots. Der ist nach wie vor stolz auf die Roten Teufel und beansprucht auch einen Teil der guten Leistungen der Nationalmannschaft für sich. "Wir haben einen Rolls-Royce abgeliefert", sagt er in Het Belang van Limburg. "Was wir geleistet haben, das macht uns kein einziger Trainer nach", zitiert Het Nieuwsblad Marc Wilmots und auch seinen früheren Co-Trainer Vital Borkelmans. "Aber wir bleiben Patrioten", betont er auf Seite eins von La Dernière Heure, "natürlich werden wir die Roten Teufel anfeuern".
Es hätte gelohnt, auch den Kommentar des GE-Chefredakteurs zu zitieren, der an Deutlichkeit nicht zu übertreffen ist.