"Neun von neun Punkten: nichts zu meckern", titelt L'Avenir. "Ein lupenreiner Parkour", so die Schlagzeile von Het Belang van Limburg. "Wie die Großen", notiert Le Soir auf Seite eins. Die Roten Teufel haben am Abend in ihrem letzten WM-Gruppenspiel England mit 1:0 geschlagen. Die meisten Zeitungen halten fest, dass die Belgier hier bewusst nicht spekuliert haben und das Spiel mit gesundem Engagement angegangen sind.
Der Punkt ist nämlich: Belgien hatte paradoxerweise gar kein Interesse daran zu gewinnen. Auf den Gruppenersten warten nämlich die schwereren Gegner, unter anderem wahrscheinlich Brasilien im Viertelfinale. "Nur Adnan Januzaj hat das nicht verstanden", frotzelt Het Laatste Nieuws auf seiner Titelseite. Januzaj hat ja gestern das einzige Tor gemacht und damit den Siegtreffer für die Roten Teufel erzielt.
La Libre Belgique nennt das Tor "ein Perlchen". "Es macht eben einfach zu viel Spaß zu gewinnen", meint Het Nieuwsblad. Fazit also: "Die Belgier entscheiden sich für den harten Weg", schreiben De Morgen und sinngemäß auch das GrenzEcho. "Und das verdient Applaus", lobt unter anderem Het Belang van Limburg. "Jetzt geht’s aber erst mal gegen Japan", titeln Gazet van Antwerpen und La Dernière Heure.
"Operation rettet Merkel"
L'Echo und De Tijd bringen ihrerseits ein Foto von Premierminister Charles Michel der der britischen Premierministerin Theresa May beim EU-Gipfel ein Trikot der Roten Teufel überreicht hat. "Charles Michel brachte etwas gute Laune mit", meint L'Echo. Andere Blätter bringen das Bild im Innenteil: "Das Ganze fing ja zumindest noch unterhaltsam an", bemerken dazu etwa Het Nieuwsblad und Gazet van Antwerpen. Danach war's aber schnell vorbei mit der lockeren Atmosphäre.
Bei dem EU-Gipfel geht es ja vorrangig um die Flüchtlingspolitik. Wieder einmal suchen die 28 EU-Staaten nach einem gemeinsamen Ansatz. Für zusätzlichen Druck sorgt da der Asyl-Streit innerhalb der deutschen Bundesregierung. De Standaard spricht denn auch auf seiner Titelseite von der "Operation rettet Merkel".
Einige Blätter bringen eine Art Zwischenbericht der Beratungen, die ja bis zum frühen Morgen angedauert haben. "Italien spielt beim EU-Gipfel ein hartes Spiel", so der Eindruck etwa von Het Belang van Limburg. Der neue italienische Ministerpräsident Giuseppe Conte drohte damit, eine gemeinsame Abschlusserklärung per Veto zu blockieren. Grob zusammengefasst will Italien mit der Aufnahme von Migranten nicht mehr alleine gelassen werden. Aber auch andere erhöhten gleich zu Beginn den Druck: "Hier geht es um's Überleben der EU", sagte etwa sinngemäß die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel.
"EU ist selbst schuld"
Das hat sich die EU im Wesentlichen selbst zuzuschreiben, meint Het Nieuwsblad in seinem Leitartikel. Europa selbst hat den Populismus heraufbeschworen. Der Grund: Die EU hat sich in den letzten Jahren einfach nicht um die Probleme gekümmert, die den Menschen auf der Seele lagen. In Bereichen wie Sicherheit, Migration, aber auch in der Sozialpolitik und bei der Armutsbekämpfung war die Union schlichtweg abwesend. Die 500 Millionen EU-Bürger hat man einfach aus den Augen verloren. Allenfalls wurden die Menschen für Dummköpfe verkauft, die gar nicht verstehen konnten, was da in Brüssel so entschieden wurde. Wenn für Frau Merkel die Zukunft der EU auf dem Spiel steht, dann muss das auch morgen noch so sein. Sonst bekommt man den Riss zwischen der EU und den Bürgern nicht mehr gekittet.
Het Belang van Limburg sieht das ähnlich. Insbesondere in der Flüchtlingspolitik hat die EU versagt. Das hat den Populisten Auftrieb gegeben. Eben deswegen stehen plötzlich drastische Lösungen im Raum, etwa die Schaffung von Sammellagern in Nordafrika. EU-Ratspräsident Donald Tusk rechtfertigt diese Idee mit den Worten: "Ansonsten drohen uns noch viel brutalere Lösungen". Leute wie Tusk und Angela Merkel hätten eigentlich nur früher aufwachen müssen.
(Scheinheilige) Maßnahmen gegen Spielsucht
Noch einmal zurück zur WM. Seit Beginn der Weltmeisterschaft sind auch in Belgien die Umsätze der Online-Wettbüros stark gestiegen. Außergewöhnlich viele Belgier sind im Wettfieber. Justizminister Koen Geens will jetzt reagieren und einige Leitplanken setzen. So soll unter anderem TV-Werbung für Wettportale während der Live-Übertragungen von der WM verboten werden. Auch der flämische Medienminister Sven Gatz will das bestehende Regelwerk nachbessern.
Das wird aber auch langsam Zeit, kritisiert Gazet van Antwerpen. Seit Jahren steigt die Zahl der Spielsüchtigen kontinuierlich an. Und jetzt auf einmal, während der WM, fällt den Ministern auf, dass Wettbüros Werbung machen. Wenn wir Glück haben, dann gibt es die Gesetze, die das eingrenzen sollen, bei der nächsten WM.
Het Laatste Nieuws sieht das genauso. Jetzt auf einmal werden die Politiker durch die WM auf eine Problematik aufmerksam, die schon seit Jahren bekannt ist. Viel zu viele Belgier verspielen bei Sportwetten buchstäblich Haus und Hof. Die Hälfte von ihnen ist laut Studien unter 30. Hinzu kommt: Die neuerlichen Initiativen von Geens und Gatz sind scheinheilig. Wenn die Politik tatsächlich so besorgt ist über das Wettfieber insbesondere bei Jugendlichen, warum bleibt denn das Staatskasino offen? Konkret: Über Sinn beziehungsweise Unsinn der Nationallotterie wird derzeit mal wieder nicht diskutiert.
Bemerkenswerte Schlagzeile schließlich noch auf Seite eins von Het Laatste Nieuws: "Die Gefängniswärter streiken weiter, allerdings nicht sonntags", schreibt das Blatt. Der Grund: Sonntagsdienste werden doppelt vergütet.
Roger Pint