"EU will Misstöne bei Flüchtlingskrise beseitigen", titelt Le Soir. "Eine Nacht, um die Flüchtlingskrise zu entschärfen", heißt es bei L'Echo. Und De Tijd fragt auf ihrer Titelseite: "Kommt Europa bei der Flüchtlingspolitik wieder auf Kurs?".
Viele Zeitungen blicken auch in ihren Leitartikeln auf den EU-Gipfel, der heute und morgen in Brüssel stattfindet. La Libre Belgique notiert: Der Gipfel sollte eigentlich ein Treffen werden, auf dem die Weichen für die Zukunft Europas gestellt werden. Große Reformideen sollten verabschiedet werden. Jetzt wird die Flüchtlingspolitik im Zentrum stehen. Daran ist Europa selbst schuld. Die tonangebenden Politiker und auch die europäischen Institutionen haben sich in den vergangenen Jahren um zu viele Kleinigkeiten gekümmert. Große Visionen haben gefehlt. Keiner wusste so recht wohin Europa steuert. Das hat Rechtspopulisten stark gemacht. Mit ihrem zunehmenden Einfluss auf die EU-Politik wird alles noch chaotischer werden, prophezeit La Libre Belgique.
Rechte Ideen machen sich breit
L'Avenir meint: Das Überleben von Europa hängt heute und morgen an der Flüchtlingsfrage. Selbst die größten Optimisten können sich kaum vorstellen, dass sinnvolle Antworten gefunden werden. Die Kräfte, die Europa spalten, sind mittlerweile zu stark. Europa bezahlt heute den Preis dafür, dass es bei der Durchsetzung seiner eigenen Regeln zu nachlässig war. Und das eben auch bei der Flüchtlingspolitik. Heute geht es um den Vorschlag, geschlossene Auffanglager für Flüchtlinge außerhalb Europas einzurichten. Vor zwei Jahren hätten noch nicht mal die Radikalsten der neuen Rechtspopulisten von so einem Vorschlag geträumt. Ihre Ideen werden immer hoffähiger, beklagt L'Avenir.
Die Wirtschaftszeitung L'Echo analysiert: Mit Beginn der Griechenland-Krise sind die Schwächen der Europäischen Union klar erkennbar geworden. Die Union ist unfähig, schnell und effizient auf Krisen zu reagieren. Ihr fehlt ein gut geölter Motor. Die Flüchtlingskrise hat das wieder bewiesen. Doch natürlich ist es noch nicht zu spät. Die "Europäer" unter den EU-Staats-und Regierungschefs müssen jetzt in die Offensive gehen. Sie müssen pragmatische Lösungen finden, die in Einklang stehen mit den Werten der Union. Wenn sie auf diese Weise die Diskussion um Flüchtlinge vor der Europawahl im kommenden Jahr zum Schweigen bringen, könnten sie – gestärkt durch die Erfahrungen der vergangenen Jahre – an einem besseren Konstrukt der Europäischen Union arbeiten, glaubt L'Echo.
Schwierige Zeiten für Deutschland
Auch die Schwesterzeitung De Tijd sieht nicht nur schwarz für den EU-Gipfel und meint: EU-Ratspräsident Donald Tusk hat recht, wenn er in seiner Einladung an die Gipfel-Teilnehmer schreibt, dass es beim Thema Flüchtlinge eigentlich keine Krise mehr gibt. Der Zustrom von Menschen nach Europa ist stark zurückgegangen. Lediglich die Bürger in der EU fühlen etwas anders. Sie müssen wiedergewonnen werden. Die EU muss eine Flüchtlingspolitik beschließen, bei der sie ihre eigenen Werte achtet und die von den Bürgern unterstützt wird, fordert De Tijd.
De Standaard ist alles andere als sicher, dass der Gipfel dieses Ergebnis liefern kann und führt aus: Auf dem Gipfel droht Unheil für die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und damit allgemein für Deutschland. Denn wenn Merkel nicht mit einer soliden, europäischen Flüchtlingspolitik nach Hause reist, droht der Bruch mit ihrer Schwesterpartei CSU. Politisch würde das für große Unsicherheit sorgen in Deutschland. Unser Nachbar könnte vor schweren Zeiten stehen: Im Fußball ausgeschieden bei der Weltmeisterschaft, Chaos in der Politik. Auf nichts ist mehr Verlass. Bislang hat Deutschland das Tor zum Sieg immer noch in der Schlussminute geschossen, aber seit gestern wissen wir, das ist kein Gesetz mehr, so De Standaard.
Minimaldienst – Grund zur Freude?
Gazet van Antwerpen schreibt zum Minimaldienst, der beim heute Abend beginnenden Streik bei der SNCB erstmals organisiert werden soll: Es hat lang gedauert, bis die Geschäftsführung der SNCB diesen Minimaldienst durchgesetzt hat gegenüber den Gewerkschaften. Sollen wir als Bahnkunden uns jetzt darüber freuen? Nicht wirklich. Denn Unsicherheit bleibt. Auch wenn jeder Dritte Zug fahren soll, werden wir nicht im Voraus wissen, welche Züge genau fahren, welche Dienstleistungen erbracht werden. Schlimmer jedoch ist noch, dass auch durch den Minimaldienst die Gründe für die Streiks und die Unzufriedenheit der Bahnreisenden nicht bekämpft werden. Wenn sich daran nichts ändert, wird die Öffnung des Marktes für neue Anbieter 2023 fatal für die SNCB werden, glaubt Gazet van Antwerpen.
De Morgen macht sich ebenfalls Gedanken zum Minimaldienst und schreibt: Auch in den Gefängnissen wäre ein Minimaldienst im Streikfall zu begrüßen. Denn, wenn in Gefängnissen, wie jetzt erneut, seit mehr als einer Woche, gestreikt wird, sind die Leidtragenden die Gefangenen. Elementare Dinge können sie nicht mehr machen, wie zum Beispiel ein paar Minuten Freigang, telefonieren mit den Angehörigen oder Besucher empfangen. Das sind aber Grundrechte, die den Gefangenen zustehen. Mit einem Minimaldienst könnten diese Grundrechte aufrechterhalten werden, weiß De Morgen.
Kay Wagner