"Keine andere Wahl", so die Schlagzeile auf Seite eins von Het Belang van Limburg. "Sturm der Kritik nach Erschießung einer ausgebrochenen Löwin", titelt Gazet van Antwerpen. "Flandern begreift es nicht", schreibt Het Laatste Nieuws.
Auf den Titelseiten vieler flämischer Zeitungen sieht man am Freitag Fotos der zweijährigen Löwin Rani. Das Tier war am Donnerstag aus seinem Gehege im Zoo Planckendael ausgebrochen. Die Geschichte sorgte für "Panik in Planckendael", bemerkt La Dernière Heure. Tatsächlich mussten sich die Besucher schnellstens in Sicherheit bringen. Eine Evakuierung war nicht mehr möglich. Was dann passierte, das steht in Form einer Schlagzeile auf Seite eins von Het Nieuwsblad: "Das Tier zu betäuben missglückte zwei Mal. Deswegen blieb nichts anderes übrig, als es zu erschießen".
Der Tod der Löwin sorgte für eine regelrechte Schockwelle. In sozialen Netzwerken hagelte es Kritik. Tierschutzverbände gingen auf die Barrikaden. Und am Ende meldete sich sogar der für Tierschutz zuständige flämische N-VA-Minister Ben Weyts zu Wort, der umgehend eine Untersuchung forderte.
Löwen über Flüchtlingskinder
Einige Leitartikler können die ganze Aufregung nicht so ganz nachvollziehen. Die Reaktion insbesondere von Ben Weyts ist deplatziert, meint etwa Gazet van Antwerpen. "Schrecklich und nicht in Worte zu fassen", sagte der N-VA-Minister hörbar erschüttert. Womöglich ist der Vergleich unangebracht, aber vor einem Monat hörte sich das noch ganz anders an, als ein Flüchtlingskind bei einem Polizeieinsatz zu Tode kam. Nach der Tragödie um die kleine Mawda waren die politischen Reaktionen doch deutlich verhaltener. Da mussten erst ein paar Tage vergehen, bis Premierminister Charles Michel dann doch versicherte, dass der Vorfall eingehend untersucht würde.
Das flämische Massenblatt Het Laatste Nieuws ist noch etwas bissiger: "Lieber Herr Weyts", wendet sich der Leitartikler an den N-VA-Politiker, "wenn Sie keine Worte finden für den Tod von Rani und den Vorfall 'unerklärlich' finden, ist es wirklich so geschmacklos, sich zu fragen, warum Ihre Partei für den Tod der kleinen Mawda so schnell eine vermeintliche Erklärung parat hatte?" Die N-VA hatte ja gleich nach dem Drama insbesondere die Eltern des Kindes verantwortlich gemacht. Man konnte jedenfalls am Donnerstag den Eindruck haben, als reagierte Weyts auf einen Terroranschlag oder ein furchtbares Zugunglück mit zehn Toten. Dieselbe Drama-Stufe... Bekloppter kann es auch für einen flämischen Tierschutzminister eigentlich nicht mehr werden, meint Het Laatste Nieuws.
Het Belang van Limburg fasst die Analyse etwas breiter: Was wir gerade erleben, ist ein fast schon krankhafter Profilierungsdrang. Insbesondere die N-VA lässt keine Gelegenheit aus, um sich selbst in Szene zu setzen. Die Schuld liegt grundsätzlich immer beim politischen Gegner, wahlweise die so oft geschmähten 'Sozis' oder der Koalitionspartner CD&V. Gerade erst hat die N-VA-Staatssekretärin Zuhal Demir die Christdemokraten dafür verantwortlich gemacht, dass das Budget zur Armutsbekämpfung um 40 Millionen Euro gekürzt wurde. Dabei ist eben diese Zuhal Demir doch zuständig für diese Materie. Mal gucken, wie lange es dauert, bis auch eine Partei für den Tod von Rani verantwortlich gemacht wird.
Erleichtert - aber nur auf den ersten Blick
Viele Zeitungen beschäftigen sich auch am Freitag noch mit der bislang praktizierten Nulltoleranz in der Flüchtlingspolitik in den USA: Präsident Donald Trump hat ja am Donnerstag per Dekret entschieden, dass Kinder künftig nicht mehr von ihren Eltern getrennt werden sollen. Das ist eine heuchlerische Inszenierung, meint sinngemäß La Libre Belgique in ihrem Leitartikel. Auf den ersten Blick mag man ja noch erleichtert sein, dass diese unmenschliche Praxis abgestellt wurde.
Beunruhigend ist aber, was eben nicht in dem Dekret steht: kein Wort etwa über das Schicksal der 2.000 bis 3.000 bereits separat internierten Flüchtlingskinder. Diese Episode ist jedenfalls eine weitere Illustration für den Hang des US-Präsidenten zu radikalen Entscheidungen, ohne im Vorfeld die möglichen - mitunter dramatischen - Folgen abzuwägen. Man möchte sich gar nicht erst vorstellen, wie dieser Präsident reagieren würde, wenn er eines Tages mal in einen weltweiten Konflikt verwickelt wäre. Hoffnung gibt allein die immer wieder zu beobachtende Widerstandskraft der amerikanischen Zivilgesellschaft.
Trump ist aber nur die Spitze des Eisbergs, die uns nicht den Blick vernebeln sollte, mahnt La Dernière Heure. Klar: Das Schicksal der Flüchtlingskinder in den USA ist abstoßend. Darüber darf man andere Tragödien aber nicht vergessen: Über die afrikanischen Kindersoldaten reden wir längst nicht mehr. Auch ist niemand auf die Barrikaden gegangen, als der bolivianische Präsident Evo Morales Kinderarbeit wieder legalisiert hat. Das Schicksal der Kinder weltweit sollte uns am Herzen liegen.
Das Ende von Rettungspaketistan
Einige Zeitungen schließlich haben schon vorgegriffen und beschäftigen sich mit dem Ende der Griechenland-Rettung. Die ist in der Nacht formal beschlossen worden. "Helfen macht nicht ärmer", bemerkt dazu das GrenzEcho. Gerne vergessen die lieben Retter der Griechen, allen voran unsere deutschen Nachbarn, dass sie Milliarden an diesen Deals verdient haben. Allein die Zinseinkünfte beliefen sich auf fast drei Milliarden Euro, die also in die deutsche Staatskasse geflossen sind. Die Zeche zahlt letztlich allein der Sparer, der wegen der jahrelangen Niedrigzinsen keine Renditen mehr für sein Geld bekommen hat.
"Es ist das Ende von Rettungspaketistan", so formuliert es seinerseits L'Echo. Für die Griechen war es eine traumatische Erfahrung. Und auch jetzt noch ist am griechischen Himmel keine Aufklarung in Sicht. Die Jugendarbeitslosigkeit etwa beläuft sich auf fast 50 Prozent. Dennoch: Eine Seite wird umgeblättert, nicht die ehrenvollste muss man sagen: Griechenland wurde unter Vormundschaft gestellt. Ein Remake dieser traurigen Geschichte muss um jeden Preis verhindert werden.
Roger Pint