"Lüttich gedenkt seiner Toten, IS bekennt sich zu dem Anschlag", titelt De Tijd und fasst damit den gestrigen Tag wohl treffend zusammen. Zunächst zu den neuesten Entwicklungen: Die Terrororganisation IS hat am Mittwochabend die Attacke in Lüttich vom vergangenen Dienstag für sich reklamiert. In einer Online-Mitteilung nennt die IS-Propaganda-Abteilung AMAQ den Täter einen "Soldaten des Islamischen Staates". "IS bekennt sich zu dem Anschlag", titeln auch De Standaard und Het Belang van Limburg.
Geprägt sind die Titelseiten aber vor allem von Bildern der Trauer. In Lüttich wurde am Mittwoch der Opfer des Anschlags mit einer beeindruckenden Schweigeminute gedacht. "Lüttich leckt seine Wunden", notiert auch La Libre Belgique. "Der Kummer der Lütticher", so die Schlagzeile auf Seite eins von Le Soir. "Im Gedenken vereint", schreibt das GrenzEcho. Zu sehen sind auch viele Fotos von Polizistinnen und Polizisten, denen die Trauer ins Gesicht geschrieben steht. Trauer, aber auch Sorge. L'Avenir bringt das Gefühl vieler auf den Punkt: "Morgen könnte es auch uns treffen".
Het Laatste Nieuws und Het Nieuwsblad haben die Mutter von einer der getöteten Polizistinnen begleitet. Die Frau hat am Mittwoch den Ort besucht an dem ihre Tochter starb. "Wir erleben hier einen Albtraum", sagt sie auf Seite eins von Het Nieuwsblad.
Viele Fragen, komplizierte Antworten
Inzwischen hat aber auch die politische Aufarbeitung des Anschlags begonnen. Im Parlament wird es am Donnerstag viele Fragen geben. De Morgen bringt auf seiner Titelseite einige Beispiele: "Hätte das Drama verhindert werden können?"; konkreter: "Warum durfte der Lütticher Attentäter das Gefängnis verlassen?", "Muss der Hafturlaub strenger geregelt werden?". La Dernière Heure bringt ihrerseits eine anklagende Schlagzeile: "Belgien unterschätzt die Gefahr, die von radikalisierten Häftlingen ausgeht". Het Laatste Nieuws weiß mehr: "Der Gefängnisfreund des Täters war ein bekannter IS-Rekrutierer". Laut Het Nieuwsblad sitzen im Moment 237 als radikalisiert eingestufte Gefangene in belgischen Gefängnissen ein.
In dieser ganzen Problematik steht der föderale Justizminister Koen Geens im Fokus. "Geens steht unter Druck", glaubt jedenfalls De Standaard. "Die Menschen wollen Antworten", ist Het Nieuwsblad überzeugt. "Nur sind die angesichts dieser komplexen Problematik eben kompliziert", scheint De Standaard zu erwidern.
Der Stuhl von Koen Geens könnte noch ins Wackeln geraten, glaubt Het Nieuwsblad in seinem Leitartikel. Vielleicht sind ja sogar alle Regeln eingehalten worden. Dann sind es in den Augen vieler aber eben die Regeln, die falsch sind. Man kann jedenfalls nur feststellen, dass der Attentäter von Lüttich alles getan hat, um sich den Stempel "unverbesserlich" zu verdienen. Dennoch bekam Benjamin Herman Freigang und das mit Blick auf seine vorgesehene Haftentlassung 2020. Außerdem soll er sich im Gefängnis radikalisiert haben. Bei all dem kann man doch nicht sagen, dass in unseren Gefängnissen alles richtig läuft.
Viele Bürger haben sich jedenfalls wohl schon ihre Meinung gebildet, glaubt L'Avenir. In den sozialen Netzwerken wird jedenfalls schon die Politik angeprangert, die "Kriminelle in Freiheit lässt". Erst recht eine Mitte-Rechts-Koalition könnte also in die Versuchung kommen, das System der Hafturlaube einzuschränken.
"Weg mit den Ghetto-Gefängnissen!"
Genau das wäre aber der falsche Weg, ist De Morgen überzeugt. Klar: Bei der Begleitung von Benjamin Herman muss etwas ganz gewaltig schiefgelaufen sein. Anzeichen für eine Radikalisierung des Gefangenen wurden offensichtlich unterschätzt oder nicht registriert. Das muss ernsthaft untersucht werden, darf aber keinesfalls dazu führen, dass das System an sich in Frage gestellt wird. Wiedereingliederung steht im Gefängniswesen zentral. Die allermeisten Häftlinge kommen schließlich irgendwann wieder frei. Wenn man den Strafvollzug noch gnadenloser macht, dann produziert man eigentlich hinter den Gefängnismauern nur noch mehr menschliche Zeitbomben.
De Tijd sieht das ähnlich: Viele Fragen, die in diesem Zusammenhang aufgeworfen werden, lassen sich mit einem Wort zusammenfassen: Geld. Wenn es auch ansonsten verfrüht wäre, jetzt schon Lehren aus der Tragödie ziehen zu wollen, so kommt man an dieser Feststellung wohl nicht vorbei. Die belgischen Gefängnisse sind überbelegt. Zugleich gibt es zu wenige Wärter. Die Sicherheit seiner Bürger zu gewährleisten gehört zu den Kernaufgaben eines Staates. Und das muss man sich auch was kosten lassen.
"Weg mit den Ghetto-Gefängnissen", fordert denn auch Le Soir. Der Wiedereingliederung in die Gesellschaft muss im Strafvollzug endlich der Platz eingeräumt werden, der ihr gebührt. Politiker sollten den Menschen nicht vorgaukeln, dass es hier einfache Lösungen gibt. Man kann es mit einem wohl nicht populären Slogan zusammenfassen: "Was gut für die Häftlinge ist, ist auch gut für die Gesellschaft".
Italien ist nicht Griechenland
Viele Zeitungen bringen aber auch noch andere Bilder der Trauer. "Hunderte Menschen erinnern mit einem Weißen Marsch an die kleine Mawda", notiert etwa Gazet van Antwerpen. Am Mittwoch hat in Brüssel die Trauerfeier für das zweijährige Mädchen stattgefunden, das durch eine Polizeikugel getötet worden war.
Und viele Zeitungen blicken schließlich auch noch mit großer Sorge auf die Lage in Italien. Auf das dortige politische Chaos reagieren insbesondere die Finanzmärkte mit zunehmender Sorge. Europa wird von seinen alten Dämonen wieder eingeholt, warnt La Libre Belgique in ihrem Leitartikel. Nur: Italien ist nicht Griechenland. Die Krise in Italien muss dazu führen, dass die EU schnellstens Kompromisse findet, die Europa wieder einen. Denn man darf sich nicht selber belügen: In den nächsten Wochen und Monaten geht es für die EU ums Überleben.
Roger Pint