"Lidl-Geschäfte nach sieben Tagen wieder geöffnet", titelt heute Het Nieuwsblad. Und De Standaard schreibt nach der gestrigen Einigung zwischen Gewerkschaften und Direktion der Discounterkette: "Das 1. Mai-Abkommen von Lidl".
Gazet van Antwerpen kommentiert das so: Das Verdienst des einwöchigen Streiks ist, dass das Thema Arbeitsdruck auf die Agenda gesetzt wurde. Und damit die Debatte über Arbeit in den kommenden Monaten und Jahren beherrschen wird. Die Wirtschaft zieht an und die Unternehmen produzieren immer mehr, stellen aber zu selten und oft nicht schnell genug neue Leute ein. Der überlastete Arbeitnehmer lässt sich das nicht länger gefallen. Warum sollte er auch? In diesen Zeiten hat das Unternehmen ihn nötig. Jetzt ist der Moment, um mit der Faust auf den Tisch zu hauen.
Doch nicht nur das Wirtschaftswachstum setzt das Problem Arbeitsdruck auf die Agenda, sondern auch die enormen Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt: Die Laufbahnen werden länger und mit dem technologischen Fortschritt wird vom Arbeitnehmer immer mehr Flexibilität verlangt. Die Zahl der Burnouts und der Langzeitkranken nimmt zu. Es ist deutlich, dass dieses System aus den Fugen gerät. Man darf als Arbeitgeber oder Regierung nicht erwarten, dass die Arbeitnehmer jederzeit bereit sind, sich auf Veränderungen einzustellen, und sie gleichzeitig länger arbeiten zu lassen, ohne Maßnahmen zu treffen, die das Ganze erträglich machen.
Bei Lidl weiß man das jetzt. Es liegt nun an den Gewerkschaften, Arbeitgebern und der Regierung, den Arbeitsdruck im Auge zu behalten. Unternehmen haben da genauso viel zu gewinnen wie die Beschäftigten, meint Gazet van Antwerpen.
Zwischen idealer und realer Welt
Die Zeitungen beschäftigen sich aber auch mit dem 1. Mai, dem Tag der Arbeit und dem Festtag der Sozialisten: Viele sehen den Sozialismus und die linke Politik in der Krise. Het Belang van Limburg beispielsweise schreibt: Wenn die Internationale gesungen wird, dann scheint die ideale Welt ganz nah. Doch immer weniger Menschen können sich für das rote Kampflied begeistern. Dafür hat es zu sehr an Glaubwürdigkeit eingebüßt. So gerechtfertigt so manche Klage und so einige Vorschläge der Sozialisten auch sind, sie klingen wie ein Mix populistischer Liedchen aus längst vergangenen Zeiten, analysiert Het Belang van Limburg.
Het Laatste Nieuws greift dann auch die gestrigen Forderungen der Sozialisten auf: Mindestlohn 2.300 Euro, Mindestrente 1.500 Euro, Viertagewoche bei gleichem Lohn, Rente ab 65 Jahren und Gratis-Arzt-Besuch für jedermann. Siehe da, die Sozialisten am 1. Mai. Doch was bleibt davon am 2. Mai noch übrig?, fragt Het Laatste Nieuws.
Das rote Feindbild
Die Antipathie für alles, was nach rot und Gewerkschaft riecht, scheint mit jedem Tag der Arbeit stärker zu werden, kommentiert Het Nieuwsblad. Es fällt auf, wie ein rotes Feindbild kultiviert wird. Vlaams Belang und N-VA haben es mit Begeisterung aufgebaut, mittlerweile ist es bei allen Rechten zum Volkssport geworden. Es fällt vor allem auf, da ein Feindbild normalerweise für einen Gegner benutzt wird, von dem eine Bedrohung ausgeht. Bei den flämischen Sozialisten ist das derzeit aber wirklich nicht der Fall. Ihre Oppositionsvision kommt immer noch nicht an, die Umfragewerte sind schlecht, im Kampf um die Städte schwächeln sie und mit den abstrakten Botschaften so wie gestern auf den 1. Mai-Podien wird man auch nicht warm. Liegt es vielleicht daran, dass es inhaltliche Gründe gibt? Kann es sein, dass die Regierungsparteien verschleiern wollen, dass viel Wahrheit in den roten Botschaften liegt? Dass es tatsächlich Missbrauch bei Zeitarbeit gibt, dass tatsächlich zu wenig Geld in den Pflegesektor geht und dass der Arbeitsdruck bei Lidl tatsächlich anormal hoch ist?, fragt sich Het Nieuwsblad.
Bürgerbeteiligung light
"Jeder Belgier kann Gesetze machen", titelt De Morgen. Im Parlament soll heute ein Gesetz verabschiedet werden, mit dem jeder Bürger einen Gesetzesvorschlag auf die Agenda des Parlaments setzen kann, wenn er dafür 25.000 Unterschriften zusammenbekommt. Dazu meint die Zeitung: Jeder, der jetzt ganz enthusiastisch beginnt, Unterschriften zu sammeln, sollte seine Erwartungen aber nicht zu hoch schrauben. Das ist noch keine wirkliche Bürgerbeteiligung, in der Bürger mitentscheiden. Es ist Bürgerbeteiligung light. Auch politische Partner, Lobbyisten und andere Interessengruppen werden gehört. Und der, dessen Stimme das meiste Gewicht hat, wird auch weiterhin bestimmen, wo es langgeht.
Doch die Bürger kommen jetzt zumindest unmittelbarer ins Spiel. Es liegt jetzt auch an der Politik, aufzupassen, dass dies keine Augenwischerei bleibt. Menschen, die viel Zeit und Energie in eine Petition stecken, Tausende Unterschriften zusammenbekommen, um dann festzustellen, dass nichts damit passiert, laufen Gefahr, von engagierten zu tief enttäuschten Bürgern zu werden, mahnt De Morgen.
Volker Krings