"Zwei Jahre danach, Überleben...", titelt emotional L'Avenir. "Der Kampf der Opfer des 22. März gegen den belgischen Staat", so die Schlagzeile von La Libre Belgique. "22.März – Der nicht enden wollende Leidensweg der Opfer", schreibt Le Soir auf Seite eins.
Auf den Tag genau zwei Jahre nach dem Doppelanschlag von Zaventem und Maelbeek stellen viele Zeitungen in erster Linie die Opfer in den Vordergrund. Le Soir etwa bringt die Geschichte von Jimmy Montenegro, der am 22. März in dem U-Bahn-Zug saß, der in der Metrostation Maelbeek von einer Bombe zerfetzt wurde. Zwei Jahre später wird Jimmy immer noch im Krankenhaus behandelt.
Wohl noch schlimmer traf es Karen Northshield, die bei dem Attentat in der Abflughalle des Brussels Airport schwer verletzt wurde. Die 32-Jährige hat seither das Krankenhaus nicht verlassen können. Sie wurde bereits mehr als 50 Mal operiert. "Es muss doch irgendwo Hoffnung geben", sagt sie verzweifelt in De Standaard. Viele der Opfer des 22. März fühlen sich von den Behörden im Stich gelassen.
In Molenbeek wurde unterdessen gestern zum Gedenken an ein Opfer der Anschläge ein Platz umbenannt, die 34-jährige Loubna war bei dem Anschlag in Maelbeek ums Leben gekommen. Anwesend bei der Zeremonie war auch ihre Familie. "Ich werde meinen Kindern nie die Mutter ersetzen können", sagt der Witwer auf Seite eins von Het Laatste Nieuws.
Auf ewig gezeichnet
Viele Blätter denken heute auch an die Helfer, die vor zwei Jahren in Zaventem und Maelbeek zum Einsatz gekommen sind. "Auch die Retter sind auf ewig gezeichnet", bemerkt La Dernière Heure auf Seite eins.
"Wir haben die Pflicht, uns zu erinnern", meint La Libre Belgique in ihrem Leitartikel. Erinnerung zunächst an die Toten: Studenten, Arbeiter, Reisende, einfache Passanten. Sie wurden an einem Frühlingsmorgen einfach so aus dem Leben gerissen. Erinnerung an die Verletzten, die tiefe Narben zurückbehalten haben, körperlich wie geistig. Ihr Mut und ihr Durchhaltevermögen sind uns allen ein Vorbild. Schlimm genug, dass viele von ihnen sich im Stich gelassen fühlen. Erinnerung schließlich an die Helfer, die alles gegeben haben, um Menschenleben zu retten.
Die verlorene Schuld
Die Attentate haben uns aber nicht die Lust am Leben genommen, glaubt Le Soir. Zugegeben: Laut einer neuen Umfrage meidet nach wie vor einer von drei Belgiern die Metro. Und die Anschläge haben bestimmt auch noch andere Spuren im Unterbewusstsein hinterlassen. Aber im Großen und Ganzen haben wir doch zu einer gewissen Normalität zurückgefunden, der Wunsch, die Seite umzublättern, war stärker. An einem Tag wie heute sollte man aber auch an die Menschen denken, die jeden Tag an das schreckliche Ereignis erinnert werden: die Verletzten, die mit den Folgen leben müssen.
L'Avenir schlägt in dieselbe Kerbe: Zwei Jahre später sind die meisten von uns wieder in ihren gewohnten Trott gefallen. "Andernfalls hätten die Terroristen gewonnen", wurde uns ja auch von Politikern eingebläut. Dennoch: Die Saat des Zweifels ist in den Köpfen aufgegangen, es herrscht ein gewisses Misstrauen, unser Blick auf unsere Umgebung hat sich irgendwie verändert. Vielleicht sind wir uns unserer Verletzlichkeit bewusst geworden, man könnte es verlorene Unschuld nennen.
F-16-Gate: Köpfe werden rollen müssen
Es gibt heute aber auch noch ein zweites großes Thema, zusammengefasst in einer, fast überall gleichlautenden Schlagzeile: "Die Armeespitze setzt einen 'Schritt zur Seite'", schreiben De Tijd, De Morgen und Het Belang van Limburg.
Gestern haben vier hohe Offiziere angekündigt, ihre Ämter für die Dauer der Untersuchung ruhen zu lassen. Darunter ist auch der Oberbefehlshaber der Luftstreitkräfte, Frédéric Vansina. Het Laatste Nieuws suggeriert, dass die besagten vier Verantwortlichen diesen Schritt nicht ganz freiwillig unternommen haben. Le Soir jedenfalls spricht von einem "Skandal an der Spitze der Armee", La Libre Belgique hat die Affäre schon "F-16-Gate" getauft. "Gibt es eine Meuterei in der Armee?", fragt sich sogar Het Nieuwsblad.
Es geht immer noch um den Geheimbericht, den die Armee dem Verteidigungsminister vorenthalten haben soll. Aus neu aufgetauchten internen E-Mails geht hervor, dass insbesondere die vier Offiziere tatsächlich wissentlich und gezielt Informationen zurückgehalten haben. Das gilt insbesondere für die vom Hersteller Lockheed Martin erwähnte Möglichkeit, dass die Lebensdauer der F-16 gegebenenfalls verlängert werden könnte. In dieser Sache war auch Verteidigungsminister Steven Vandeput unter Druck geraten. In einem Interview unter anderem mit De Morgen und Het Laatste Nieuws schließt der N-VA-Politiker aber einen Rücktritt aus.
Vandeputs Parteichef Bart De Wever hatte in dieser Sache der oppositionellen SP.A "politische Spielchen" unterstellt. Hier liegt De Wever allerdings daneben, findet Het Nieuwsblad. Wenn jemand den Minister beschädigt hat, dann war er das selber. Steven Vandeput hat die Anschaffung neuer Kampfjets immer auf die leichte Schulter genommen. Das hat wohl auch damit zu tun, dass in seinem Kopf wohl schon längst feststand. Er wollte die F-35. Jetzt jedenfalls hat er seine Glaubwürdigkeit verspielt.
Die Vorwürfe von Bart De Wever sind geradezu absurd, glaubt Het Laatste Nieuws. Mag sein, dass die flämischen Sozialisten tatsächlich den Kauf neuer Kampfflugzeuge torpedieren wollten. Wie De Wever zu suggerieren, dass die SP.A letztlich nur das Pendel Richtung des französischen Konkurrenten Dassault ausschlagen lassen will, weil man ja in den 1990er Jahren Schmiergeld von dem Konzern bezogen hatte, das ist dann doch ein bisschen grotesk. Vielleicht müssen wir ja am Ende Alain Van der Biest wieder ausgraben.
Damit ist die komplette Prozedur für den Ankauf neuer Flugzeuge in Misskredit gebracht worden, beklagt auch De Morgen. Im Grunde ist eine Entscheidungsfindung unmöglich geworden.
De Standaard sieht das ähnlich: Belgien wird sowieso in neue Kampfflugzeuge investieren müssen. Das allein schon aufgrund der NATO-Verpflichtungen. Und ausgerechnet jetzt ist das Vertrauen in die Armee tief erschüttert. Dafür werden Köpfe rollen müssen.
Roger Pint