Nahezu alle belgischen Tageszeitungen kommentieren die Wahlen in Italien, bei der die Fünf-Sterne-Bewegung im Süden und die Lega im Norden die großen Gewinner sind. Le Soir schreibt: Die Fünf-Sterne-Bewegung zeigt, was Politik in Zukunft auch bei uns werden könnte: Mehr Bewegung als Partei, die Ablehnung der traditionellen Politik und ihrer Rechts-Links-Gräben.
Der Wille zur absoluten Transparenz mittels Bürgerbefragungen im Internet und einem programmatischen Sammelsurium zwischen Ökologie und Rechtsextremismus. Die fehlende Klarheit in der programmatischen Linie ist das Markenzeichen dieser nicht einzuordnenden und damit unberechenbaren nicht-Partei.
Bei der anderen großen Gewinnerin, der Lega, ist die politische Linie hingegen unzweideutig. Auch wenn sie der Bezeichnung rechtsextrem widerspricht, so repräsentiert sie wohl eine populistische und fremdenfeindliche Kraft. Die Lega ist der große Gewinner der Stigmatisierung der Migranten, der tatsächlichen und gefühlten Ängste der Italiener und der Vereinfachung der Denkweise.
Eines ist sicher: Mehr als 55 Prozent der Stimmen gingen ans Anti-System und oder an rechtsextreme Parteien. Und wenn das System in der Minderheit ist, bedeutet das dann den Tod des Systems?, fragt sich Le Soir.
Eine Botschaft an die EU
La Libre Belgique notiert: Die Hoffnung auf einen neuen europäischen Elan, ausgelöst durch die Wahl Emmanuel Macrons in Frankreich im Mai 2017, hat einen Rückschlag bekommen. Das Gefühl der Erleichterung, ausgelöst durch die Verlängerung der großen Koalition in Deutschland, war von noch kürzerer Dauer. Denn auch, wenn die Ergebnisse der italienischen Wahlen keine Überraschung sind, so sind sie keine gute Nachricht für die EU.
Es wäre falsch, das Wahlergebnis alleine der sprichwörtlichen politischen Instabilität Italiens zuzuschreiben. Es ist auch eine Botschaft an Europa. Vielleicht mehr als alle anderen sind die Italiener der Meinung, dass Europa sein Wohlstandsversprechen nicht einhält. Vor allem fühlen sie sich von den anderen Mitgliedsstaaten allein gelassen, die Ankunft hunderttausender Flüchtlinge auf italienischem Boden zu managen, analysiert La Libre Belgique.
Ähnlich sieht es auch Het Belang van Limburg: Die zwei Sieger hatten sich mit antieuropäischer Rhetorik und Drohungen, den Euro zu verlassen, hervorgetan. Alle beide fanden auch, dass Europa Italien in der Flüchtlingskrise im Stich gelassen hat. Die Wahl der Italiener für die politische Sackgasse ist somit das soundsovielte Signal, dass immer mehr Menschen das Vertrauen in den europäischen Weg verlieren, mahnt Het Belang van Limburg.
Italien - der Geist ist aus der Flasche
Es gibt derzeit zwei politische Themen, die ganz Europa in den Bann ziehen und die nirgendwo so spürbar sind wie in Italien, analysiert Het Nieuwsblad. Erstens: Die Flüchtlingskrise und alles was damit zusammenhängt. Zweitens: Die wirtschaftliche Unsicherheit.
Obwohl sich die Wirtschaft überall wieder erholt, fühlen sich viele Menschen, was ihren Job und ihre Rente angeht, verunsichert. Das gilt ganz besonders für Italien, wo die Finanzkrise von 2008 mehr als in anderen Ländern nachgewirkt hat.
In Deutschland und Frankreich haben es die Establishment-Kandidaten noch geschafft. In Italien ist der Geist aus der Flasche, stellt Het Nieuwsblad fest.
Die Wirtschaftszeitung De Tijd nutzt dazu ein anderes Bild: Am selben Wochenende, an dem der französisch-deutsche Motor wieder anfangen konnte zu drehen, gingen die Italiener auf die Bremse. Die Frage ist, wie schnell die EU jetzt nach vorne gehen kann.
Für ein kleines Land mit einer offenen Wirtschaft, wie Belgien, ist das eine existenzielle Frage. Unser Land hat seit Jahren so stark auf die EU gesetzt, dass es ein großes Problem ist, wenn die EU ihre Krise nicht in den Griff bekommt. Die Antwort auf einen drohenden Handelskrieg mit den USA muss von der EU kommen. Nicht von belgischen Politikern, meint De Tijd.
Auch Het Laatste Nieuws nimmt Bezug auf Belgien. Die Fünf-Sterne-Bewegung und die Lega sind aufeinander angewiesen. Gemeinsam ist ihnen, wogegen sie sind. Wofür sie stehen, darin unterscheiden sie sich wie Tag und Nacht. Diese beiden in einer Regierung, das wäre in Belgien das Gleiche wie eine Koalition aus PTB, Ecolo, N-VA und Vlaams Belang.
Das zeigt, wie gespalten Norditalien und Süditalien sind. Mehr noch als Flandern und die Wallonie, so Het Laatste Nieuws.
Begrenzte Wirkung
De Morgen kommentiert die erste Verurteilung nach der Einführung eines Antisexismus-Gesetzes in Belgien. Ein Mann war zu einer Geldstrafe von 3.000 Euro verurteilt worden, weil er eine Polizistin beleidigt hatte. Befürworter sehen in dem Urteil einen Präzedenzfall.
Sie glauben, dass das Gesetz im Kampf gegen Sexismus effektiv sein kann. Doch wir müssen skeptisch bleiben. Die erste Verurteilung offenbart, was diesem Gesetz fehlt. Dass es dreieinhalb Jahre bis zur ersten Verurteilung gedauert hat, zeigt viel mehr, dass sich die Wirkung in Grenzen hält.
Der Einfluss auf das Zusammenleben ist minimal. Es ist nicht so, dass Frauen plötzlich sicherer, freier oder ungestörter über die Straße laufen könnten. Das Problem besteht immer noch, und das Gesetz hat da wenig ändern können, meint De Morgen.
vk/jp