"Belgien bibbert", titelt La Dernière Heure. La Libre Belgique beantwortet auf Seite eins "Zehn Fragen über die polare Kälte".
Im Fokus ist heute also erstmal das Wetter. Und das macht natürlich in erster Linie denen zu schaffen, die draußen sind. "Der polare Alltag der Obdachlosen", schreibt etwa L'Avenir auf seiner Titelseite. Das Blatt hat mit der 41-jährigen Zazou gesprochen, die seit 14 Monaten auf der Straße lebt. "Selbst den Tag im Bahnhof von Namur zu verbringen ist hart", sagt sie sinngemäß.
Immerhin stellen viele Städte Schlafplätze für Obdachlose zur Verfügung. In einigen Gemeinden in Brüssel und auch in der Wallonie haben die Bürgermeister sogar angeordnet, Obdachlose notfalls unter Zwang in einem Auffangzentrum unter zu bringen. "Hilfe? Nein, danke!", schreibt aber De Morgen auf Seite eins. Eine Roma-Familie verweigert in Brüssel jegliche Unterstützung. Auch Het Laatste Nieuws bringt die Geschichte auf seiner Titelseite. "Lieber mit Kindern in der Kälte, als in einer Auffangstruktur", so die Schlagzeile.
"Hier geht es um Menschenleben"
Es ist ja bestimmt begrüßenswert, wenn die öffentliche Hand dafür sorgt, dass Obdachlose die Nacht im Warmen verbringen können, meint De Morgen in seinem Leitartikel. Doch reicht das? Ist das nicht ein bloßes Feigenblatt, um unser Gewissen zu beruhigen? Am nächsten Morgen landen die Betroffenen nämlich wieder auf der Straße. Diese Politik ist nicht nur teuer, sondern auch noch nutzlos. In dem Sinne, dass die Probleme nicht nachhaltig gelöst werden. Finnland zeigt, dass es auch noch einen anderen Weg gibt. Dort werden Obdachlosen Wohnungen angeboten, mit professioneller Begleitung, versteht sich. Und wissen Sie was? Das funktioniert.
Nichtsdestotrotz ist die derzeitige Herangehensweise richtig, findet Het Laatste Nieuws. Klar: In den USA etwa ist Präsident Donald Trump nicht persönlich verantwortlich für jeden einzelnen toten Schüler, der einem Amoklauf erschossen wurde. Ein Verkehrsminister kann auch nicht haftbar gemacht werden für jedes Opfer im Straßenverkehr. Genauso wenig ist auch ein Bürgermeister verantwortlich für einen Obdachlosen, der auf dem Gebiet seiner Gemeinde der derzeitigen Eiseskälte zum Opfer fällt. Dennoch ist es richtig, Obdachlose notfalls sogar dazu zu verpflichten, die Nacht in einer Notunterkunft zu verbringen. Das ist keine Betüttelung, hier geht es um Menschenleben.
Andere scheinen da weniger Mitgefühl mit ihren bibbernden Mitbürgern zu haben, stichelt De Standaard. Die sozialistische Gewerkschaft CGSP hat heute zum Streik im Öffentlichen Dienst aufgerufen. Resultat: Bahnsteige ohne Züge und das bei Minustemperaturen, Benutzer öffentlicher Verkehrsmittel werden buchstäblich in der Kälte stehen gelassen. Das verursacht bei vielen eine Mischung aus Ohnmacht und Wut. Hier werden die falschen Leute zum falschen Zeitpunkt als Geisel genommen. So etwas bleibt hängen, daran wird man sich auch noch erinnern, wenn die Obdachlosen schon wieder Draußen schlafen dürfen.
"Ein Krieg gegen die Rentenreform"
Viele Zeitungen berichten heute über den Streik im Öffentlichen Dienst. Zu der Protestaktion hat allein die sozialistische Gewerkschaft CGSP aufgerufen. "Die CGSP führt Krieg gegen die Rentenreform", so bringt es L'Echo auf den Punkt. Die rote Arbeitnehmervertretung lehnt die Pläne des MR-Pensionsministers Daniel Bacquelaine durch die Bank ab.
La Libre Belgique bringt dazu einen nachdenklichen Kommentar. Man denke an Leute wie Jane Fonda, Catherine Deneuve oder Sean Connery. Nicht jedem ist es vergönnt, so zu altern, wie diese Menschen. Wir sind eben nicht alle gleich vor Krankheit und Alter. Klar: Unsere Rentensysteme müssen fit für die Zukunft gemacht werden - Stichwort: Vergreisung der Bevölkerung. Eine Anhebung des Rentenalters auf 67 wirkt da vernünftig. Doch muss man hier auch menschliche Faktoren vor Augen haben. Diese Gleichung ist schwer zu lösen.
Andere Zeitungen haben deutlich weniger Verständnis für die Streikaktion der CGSP. Wiedermal protestieren die Roten gegen etwas, das noch gar nicht beschlossen ist, notiert Het Nieuwsblad in einem wütenden Kommentar. Gerade mal eine Woche ist es her, dass der Öffentliche Nahverkehr bestreikt wurde. Selbst die CGSP müsste doch eigentlich einsehen, dass irgendwann das Maß voll ist. Der Punkt ist: Hier geht es allein um Eigeninteressen. Die sozialistische Gewerkschaft will nochmal eindrucksvoll unter Beweis stellen, dass sie die radikalste ist, die sich mehr traut als die Konkurrenz.
"Was für eine Energieverschwendung!", wettert auch L'Echo. Was glauben Sie wohl, was dieser Streik ändern wird? Nichts! Rein gar nichts. Insofern gaukelt die CGSP ihren Mitgliedern auch etwas vor. Die Regierung wird sich nicht bewegen. Dabei scheint die Gewerkschaft nicht zu merken, dass sie einmal mehr ihren Kredit bei der Bevölkerung verspielt und damit der Regierung noch zusätzliche Argumente gibt, um das Streikrecht zu beschneiden.
Mut zur Wahrheit
Einige Zeitungen schließlich blicken nach Brüssel. Die Hauptstadt wird ja durch einen neuen Skandal erschüttert. Diesmal geht es um die Vereinigung GIAL, die die IT-Infrastruktur der Stadt Brüssel verwaltet. Jetzt sind auch Missstände in einer VoE der Gemeinde Schaerbeek bekannt geworden.
Ans Licht gekommen ist das durch ein Audit, dass die Stadtverantwortlichen in Auftrag gegeben hatten. Natürlich ist so etwas riskant, bemerkt L'Avenir. Die Wahrheit tut manchmal weh. Dennoch müssen Politiker den Mut aufbringen, öffentliche Einrichtungen zu durchleuchten. Auf die Gefahr hin, dass sie die Geschichte am Ende doch gleich einem Bumerang abbekommen.
Viele Brüsseler Einrichtungen haben Besserung gelobt, lobt Le Soir. Dabei gilt es darauf zu achten, dass die Strukturen am Ende nicht zu schwerfällig werden. Aber noch wichtiger: Den hehren Worten müssen entschlossene Taten folgen.
Roger Pint