"Carrefour: Die Verhandlungen werden wohl langwierig und kompliziert", schreibt La Libre Belgique auf Seite eins. "Carrefour schmeißt raus, Lidl stellt ein", notiert La Dernière Heure. Das Carrefour-Drama ist weitgehend von den Titelseiten verschwunden. Viele Zeitungen widmen dem angekündigten Umstrukturierungsplan aber im Innenteil immer noch viele Seiten.
"Wir wollen erst Garantien, bevor wir verhandeln", sagt etwa Myriam Delmée, die Vize-Präsidentin der sozialistischen Angestelltengewerkschaft Setca in Le Soir. Delmée fordert also Sicherheiten was die langfristige Zukunft von Carrefour in Belgien angeht. Das, was die Direktion bislang zu ihrer Strategie gesagt hat, das halten die Gewerkschaften für zu vage.
"Zwischen Hoffnung und Resignation", so fasst La Dernière Heure die derzeitige Stimmung zusammen. Viele Mitarbeiter sind zwar am Boden zerstört, die allgemeine wirtschaftliche Lage und insbesondere die Situation am Arbeitsmarkt könnten aber schlimmer sein. Der deutsche Discounter Lidl etwa will bis 2020 1.000 neue Arbeitsplätze in Belgien schaffen. Das zeigt, dass Carrefour offensichtlich Probleme hat, die andere nicht haben.
De Morgen nennt das wohl sichtbarste: "Der Hypermarkt ist nicht mehr super", bemerkt das Blatt. "Erst musste alles 'hyper' sein, jetzt will jeder wieder 'mini'", sagt auch ein Experte in Het Nieuwsblad.
Jammern allein bringt nichts
Aber vor allem für die Mitarbeiter beginnt jetzt eine Phase der Unsicherheit. Wer einen neuen Job findet, der wird sich vielleicht mit insgesamt schlechteren Bedingungen abfinden müssen, befürchten die Gewerkschaften. Im Raum stehen auch wieder Vorruhestandsregelungen, wobei der N-VA-Finanzminister Johan Van Overtveldt diese Möglichkeit eigentlich schon verworfen hat.
"Hat der wirklich so unrecht?", fragt sich sinngemäß La Dernière Heure. Denn in der Tat: Bei derzeit anscheinend 300.000 offenen Stellen, sollte es doch möglich sein, den Betroffenen neue Jobs zu vermitteln. Das ist der einzig richtige Weg, ist das Blatt überzeugt. Man kann die heutige Zeit verfluchen, man kann wehmütig an die Vergangenheit denken, wir sollten aber eben die früher gemachten Fehler nicht wiederholen.
">Het Laatste Nieuws appelliert seinerseits an das Verantwortungsbewusstsein aller Beteiligten, insbesondere an das der Gewerkschaften. Es reicht nicht, über die "eiskalte und emotionslose" Entscheidung der Carrefour-Direktion zu jammern. Man muss auch die Zukunft vorbereiten. Und das geht nur, wenn man die Vergangenheit loslässt. Carrefour zeigt: Es bringt nichts, alte Jobs zu verteidigen.
Le Soir warnt genau vor solchen Argumentationen. "Man braucht doch nur…", mit diesen vier Worten fangen meistens scheinbar schlaue Sätze an, die suggerieren, dass die Lösungen doch auf der Hand liegen. Die Wahrheit liegt aber in der Nuance. Beispiel: Viele der besagten offenen Stellen befinden sich in Flandern; für die von der Entlassung bedrohten Arbeitnehmer im Hypermarkt von Angleur ist das nicht unbedingt eine Option. Und vielen der Carrefour-Leute ist wohl nicht geholfen, wenn sie ihren jetzigen Job eintauschen müssen gegen eine Stelle mit anderem, prekäreren Statut und schlechterer Bezahlung. Das nur um zu sagen, dass mögliche Lösungen immer auch individuell zugeschnitten werden müssen.
Menschen sind keine Module
Viele Zeitungen sind sich aber auch einig, dass der Umstrukturierungsplan bei Carrefour wohl nur der Anfang ist. Die Digitalisierung mit allem was dazu gehört, wird noch für weitere spürbare Verwerfungen sorgen.
"Carrefour, das ist kein non-Event", analysiert auch De Standaard in seinem Leitartikel. Was wir hier sehen, dass ist das, was der Fachmann eine disruptive Entwicklung nennt. Heißt: Eine Technologie verdrängt quasi das Bestehende und zugleich die damit verbundene Welt. Wer das allein als Chance sieht, der denkt zu kurz. Menschen sind keine Module, die man einfach nur austauschen kann und die man zwecks update zum Arbeitsamt schickt. Die Betroffenen bei Carrefour müssen das Gefühl bekommen, dass der Rest der Gesellschaft begreift, dass jeder irgendwann mal in eine solche Situation kommen kann. Sie sind kein Kollateralschaden, sie tragen keine Mitschuld an ihrem Schicksal, sie sind Zeichen der Zeit.
Elf Ideen für Brüssel und die Wallonie
Mit eben dieser Zeit und ihren Herausforderungen befasst sich auch die Wirtschaftszeitung L'Echo. Das Blatt bringt heute auf Seite eins einen bemerkenswerten Appell: "Elf Unternehmer lancieren elf Ideen, um Brüssel und die Wallonie voran zu bringen". Darunter sind etwa der Chef des Tierparks Pairi Daiza, Eric Domb oder der Gründer des Uhrenherstellers Ice Watch, Jean-Pierre Lutgen. Einige ihrer Vorschläge lassen aufhorchen. "Warum nicht zum Mülleimer der Welt werden", so lautet gleich provokativ die erste Idee. Konkret: Belgien ist Recycling-Weltmeister; die Wiederverwertung betrifft aber bislang den heimischen Müll. Das könnte man industriell ausbauen. Anderer Vorschlag: Eine Fusion der frankophonen Universitäten UCL und ULB, um einen wirklichen Wissenspol zu schaffen.
L'Echo will mit diesem "Appell der Elf" eine nötige, um nicht zu sagen überfällige Debatte anstoßen, legt das Blatt in seinem Leitartikel dar. Wir brauchen Weitsicht. Konkret: Gewerkschaften dürfen sich nicht an die Vergangenheit klammern. Die Unternehmenswelt muss bereit sein für eine Umverteilung des Kapitals; und die Politiker müssen weiter denken als bis zur nächsten Wahl. Wir müssen entschlossen in die Zukunft blicken, ohne Angst, mit dem Mut, neue Wege zu bestreiten. Auch so werden die Bedingungen geschaffen, dass künftige Carrefour-Dramen weniger schmerzhaft ausfallen.
"Die Maurer mobilisieren ihre Politiker"
Der Samstag ist traditionell der Tag der politischen Interviews. Gazet van Antwerpen und Het Belang van Limburg haben sich mit N-VA-Chef Bart De Wever unterhalten. Der gibt sich gewohnt kämpferisch und schließt nicht aus, dass er 2019 das Amt des Premierministers übernimmt.
De Morgen und De Tijd bringen ein Gespräch mit CD&V-Chef Wouter Beke. Der plädiert unter anderem für einen gemäßigteren Ton in der Asyl-Debatte.
Apropos: Le Soir bringt heute auf Seite eins einen ebenso außergewöhnlichen wie seltenen Appell: Die Freimaurer-Loge "le droit humain" ruft alle Freimaurer im Parlament und der Regierung auf, gegen das geplante Gesetz über Hausdurchsuchungen zu stimmen. Das Fazit von Le Soir: "Die Maurer mobilisieren ihre Politiker."
Roger Pint