"Der Schock", titelt La Dernière Heure. "Neuer Schock bei Carrefour", schreibt auch La Libre Belgique auf Seite eins. "Machtlos gegen das französische Hackebeil", so die Schlagzeile von Het Nieuwsblad.
Auf den Titelseiten vieler Zeitungen prangt heute eine Zahl: 1.233. Auf Seite eins von L'Echo und De Tijd steht die Zahl auf einem Preisschild, dass Rot durchgestrichen ist, dies mit dem Zusatz: minus elf Prozent. Bis zu 1.233 Stellen will die französische Supermarktkette Carrefour in Belgien abbauen. Dies entspricht tatsächlich mehr als zehn Prozent der aktuellen Belegschaft. Zwar war der Umstrukturierungsplan angekündigt, dass es die belgischen Niederlassungen so hart treffen würde, damit hat aber niemand gerechnet. Viele Mitarbeiter legten spontan die Arbeit nieder. "Die Märkte bleiben wohl bis Montag geschlossen", notiert L'Avenir.
Ein "schmerzhaftes Signal"
Die Direktion will nach eigenen Angaben das Unternehmen zukunftsfähig machen. Der Umstrukturierungsplan sei im Wesentlichen eine Reaktion auf die Digitalisierung. De Morgen spricht auf seiner Titelseite denn auch von einem "schmerzhaften Signal". Het Laatste Nieuws ist konkreter: "Das wird wohl nicht die letzte Entlassungswelle sein." So ist denn auch die Formulierung von Le Soir und La Dernière Heure zu verstehen: "1.233 Angestellte werden geopfert", "geopfert" für eine neue Strategie.
Die Mitarbeiter bezahlen für die Fehler des Managements, analysiert Le Soir in seinem Leitartikel. Die diversen Begründungen für den Umstrukturierungsplan lesen sich wie die Liste aller Entwicklungen, die die Konzernführung in den letzten Jahren verschlafen hat. Bei Carrefour hatte man keine Vision. Die Verantwortung dafür übernimmt niemand. Resultat ist eine neue, gesichtslose Umstrukturierung.
Gerade bei Carrefour muss man den Eindruck haben, dass der Konzern immer den aktuellen Entwicklungen hinterherhinkt. Nicht zum ersten Mal muss das Unternehmen indirekt zugeben, dass es den Zug Richtung Zukunft verpasst hat. Und längst müssen die Mitarbeiter das unangenehme Gefühl haben, dass sie eigentlich nur Stellschrauben sind. Damit verbunden ist die ständige Angst vor einem neuen sozialen Blutbad.
Eine Welt ohne Hypermärkte
Wenn der Umstrukturierungsplan eines ist, dann der Beweis, dass die Carrefour-Strategie missglückt ist, meint auch De Tijd. Das Unternehmen hat die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Im eigentlichen Einzelhandel hat man es nicht geschafft, Carrefour ein klares Profil zu geben, auch vor dem Hintergrund des permanenten Drucks, den die deutschen Preisbrecher ausüben. Obendrauf kommt dann der Online-Handel. In einer solchen Welt gibt es keinen Platz mehr für Hypermärkte, diese gigantischen Geschäfte, wo man alles kriegt, von Lebensmitteln über Kleidungsstücke bis hin zu Elektroartikeln.
Das Konzept Hypermarkt hat sich überlebt, analysiert auch Het Belang van Limburg. Vorbei die Zeit, als man einmal pro Woche einkaufen ging, die Kinder in der Comic-Abteilung parkte, um dann zwei Stunden später mit vollgepacktem Kofferraum wieder nach Hause zu fahren. Der moderne Verbraucher kauft nicht mehr so sehr auf Vorrat, er geht lieber mehrmals die Woche zum kleinen Supermarkt um die Ecke. Carrefour hat das zu spät erkannt.
Und die Rechnung, die bekommen die Mitarbeiter präsentiert, hakt L'Echo ein. Das gilt aber vor allem für Belgien. De Standaard stellt schon auf seiner Titelseite fest: "Belgien muss stärker bluten als Frankreich". Das ist unübersehbar, meint auch L'Echo. Für die belgischen Carrefour-Mitarbeiter ist es die dritte Entlassungswelle innerhalb von zehn Jahren. Im Verhältnis kommen die französischen Niederlassungen deutlich besser weg. Nur zwei Zahlen: In Frankreich werden zwei Prozent der Stellen abgebaut, in Belgien sind es elf Prozent. Man wird den Eindruck nicht los, dass Belgien die Zeche zahlt für den Mangel an strategischer Vision in der schicken Pariser Chefetage, wo man sich viel zu lang an die alte Welt mit ihren Hypermärkten geklammert hat.
Facebook und Amazon als Vorbild?
Wenn vielleicht auch nicht so akut, so haben doch alle Einzelhandelsketten mit diesen Problemen zu kämpfen, sind sich viele Zeitungen einig. Wie wird die Zukunft aussehen?, fragt sich etwa La Libre Belgique. Seien wir ehrlich: Wir leben nicht mehr wie vor zehn Jahren, wir kommunizieren nicht mehr so, konsumieren nicht mehr so, informieren uns anders. Und wer weiß, wie das in zehn Jahren aussehen wird. Gerade auf den Einzelhandel kommen da große Herausforderungen zu. Die einzige Möglichkeit ist, sich an den Internetgiganten wie Facebook oder Amazon ein Beispiel zu nehmen. Die müssen nicht nur auf Trends reagieren, sie setzen sie. Das nennt man Innovation.
Es sind auch wir selbst, die Umstrukturierungspläne wie jetzt bei Carrefour quasi nötig machen, meint auch Het Laatste Nieuws. Wer sucht nicht nach dem besten Preis? Wer bevorzugt nicht den komfortablen, zeitsparenden Einkauf per Mausklick? Die Gefahr ist dabei, dass das zu einem heillosen Tiefstapeln führt, einer Abwärtsspirale.
Was bei Carrefour passiert, das ist wohl nur ein Vorbote, orakelt auch De Morgen. Wir erleben hier gerade einen Paradigmen-Wechsel. Der Fachmann spricht von einer disruptiven Entwicklung. Im Wesentlichen bedeutet das, dass neue Technologien oder Entwicklungen das Bestehende verdrängen. Das wird die ganze Gesellschaft vor neue Herausforderungen stellen. Die Digitalisierung zu verfluchen, das bringt uns keinen Meter weiter. Wir müssen lernen, mit ihr umzugehen.
Het Nieuwsblad schlägt in dieselbe Kerbe. Wir brauchen unbedingt eine klare Vision. Was wir hier erleben, das ist der Beginn eines Erdrutsches. Wer hier nur kurzfristig denkt, der hat schon verloren. So zynisch es klingen mag, aber Carrefour macht genau das: Das Unternehmen versucht, sich auf die neuen Zeiten einzustellen. Das müssen wir alle tun, Politik, Unternehmer, Gewerkschaften. Sonst haben wir am Ende den Arbeitsmarkt des 19. Jahrhunderts, aber dann mit coolen Handy-Apps.
Roger Pint