"Ein neues Atomkraftwerk? Die Idee steht im Raum.", titelt La Libre Belgique. Diese Meldung, die die Zeitung gestern schon in sozialen Netzwerken vorveröffentlicht hatte, hat schon viel Staub aufgewirbelt. Demnach lässt die Regierung also prüfen, ob beziehungsweise inwieweit der Bau neuer Reaktoren sinnvoll beziehungsweise bezahlbar wäre. "Atomausstieg – ist 2025 wirklich Schluss?", fragt sich denn auch schon das GrenzEcho auf seiner Titelseite. Le Soir macht das Ganze an einer Partei fest: "Atomausstieg – die N-VA treibt die Preise hoch", so die Schlagzeile. Anscheinend sind es vor allem die flämischen Nationalisten, die auf der Prüfung dieser Option bestanden haben. Die N-VA ist die einzige Regierungspartei, die sich klar gegen den Atomausstieg 2025 ausgesprochen hat.
MR-Chef Olivier Chastel hat derweil gestern die Meldung relativiert. Demnach werde die Option neuer Kernkraftwerke nur abgeklopft, um zu beweisen, dass sie unrealistisch, weil unbezahlbar, sei. "Das allerdings wissen wir schon im Vorhinein", sagt ein Experte in De Morgen. Und es sei unsinnig, Geld für ein Gutachten auszugeben, dessen Ergebnis wir schon kennen.
Ein "flämischer" Trump
Im Parlament gab's unterdessen gestern das Nachspiel der Polemik um Asylstaatssekretär Theo Francken und die abgeschobenen sudanesischen Migranten. Die Opposition hatte den Rücktritt des N-VA-Politikers gefordert. "Es gab aber nur Strafpunkte für seinen Stil", notiert Het Laatste Nieuws. Tatsächlich übten auch einige Mehrheitsfraktionen scharfe Kritik an Theo Francken und insbesondere seiner Kommunikation. Der OpenVLD-Fraktionschef Patrick Dewael unterstellte dem Asylstaatssekretär sogar, dass er die Wähler des rechtsextremen Vlaams Belang umgarnen wolle. Der Premierminister will darauf offensichtlich reagieren: "Charles Michel wird Francken noch einmal maßregeln", titelt Het Nieuwsblad. Demnach will der Regierungschef seinen Staatssekretär dazu anhalten, nuancierter zu kommunizieren.
"Endlich!", freut sich Le Soir. Eine Lektion für Theo Francken, das wird auch langsam Zeit. Und Charles Michel hat auch allen Grund dazu. Seine Glaubwürdigkeit hat arg gelitten. Die N-VA hat keine Gelegenheit ausgelassen, den Eindruck zu vermitteln, dass sie ohnehin macht, was sie will. Es wird also höchste Zeit, dass Charles Michel nochmal deutlich macht, dass er der Premierminister ist. Hier geht’s um seine Glaubwürdigkeit und um seine Autorität.
Für Michel ist das eine Mission Impossible, ist demgegenüber Het Laatste Nieuws überzeugt. Francken und auch sein Parteichef Bart De Wever haben ein ziemlich gutes Feeling dafür, wie man die Bürger in Zeiten von Facebook und Twitter erreicht. Dabei nimmt jemand wie Francken das eine oder andere Eigentor geflissentlich in Kauf. Die renommierte New York Times nannte ihn gestern den "flämischen Trump". Zwar reagierte Francken nach außen hin pikiert, er dürfte aber im Stillen mächtig stolz gewesen sein.
N-VA will sich nicht an die Leine nehmen lassen
"Aber Vorsicht", meint Het Belang van Limburg. Man sollte jetzt nicht allen Ernstes glauben, dass sich plötzlich die Amerikaner für unseren "Tweety Theo" interessieren würden. Wie so oft hat sich wohl der Brüssel-Korrespondent der New York Times von der frankophonen belgischen Presse anstecken lassen. Entsprechend oberflächlich und einseitig ist denn auch der Artikel. Nachdem auch schon die Washington Post dem Staatssekretär einen Artikel gewidmet hatte, kann man wohl behaupten, dass Francken sein Ziel erreicht hat, meint das Blatt sinngemäß.
Wohl auch deswegen hat auch L'Avenir seine Zweifel, dass sich Theo Francken künftig in Zurückhaltung üben wird. Es ist nicht das erste Mal, dass Charles Michel versucht, seine Autorität wiederherzustellen. Es wäre aber auch nicht das erste Mal, dass die N-VA klarmacht, dass sie sich nicht an die Leine nehmen lässt.
Der Premierminister weiß haargenau, dass sich eine Geschichte, wie die Polemik der vergangenen Woche nicht wiederholen darf, analysiert De Standaard. Und insbesondere von der Profilneurose seines Staatssekretärs hat er offensichtlich genug. Und für beide gilt allerdings, dass sie die Wirklichkeit nur bedingt beeinflussen können. In der Asyl-Politik bedarf es mehr denn je eines europäischen Ansatzes. Die Aussicht, dass sich die EU-Staaten auf einen gemeinsamen Ansatz einigen können, ist allerdings klein, glaubt Gazet van Antwerpen. Wohl noch kleiner, als die Wahrscheinlichkeit, dass Theo Francken aufhört, in sozialen Netzwerken herumzupoltern. Die Migrationsdebatte ist vielen europäischen Staaten einfach zu heikel.
"Lieschen war Lieschen"
Die flämischen Zeitungen nehmen heute Abschied von Lies Lefever. Das war eine in Flandern sehr bekannte Comedian. Die 37-Jährige ist gestern in ihrer Wohnung tot aufgefunden worden. Sie starb offensichtlich an den Folgen eines Sturzes. Die junge Frau litt unter einer starken Einschränkung ihres Sehvermögens. "Lieschen war Lieschen, fröhlich, entwaffnend und manchmal naiv", schreibt Het Belang van Limburg auf Seite eins. "Sie hatte ein großes Herz und das lag auf ihrer Zunge", schreibt De Morgen. "Und diese Frau gehörte ganz klar auf die Bühne", meint De Standaard.
Diese Frau mit afrikanischen Wurzeln war die beste Antwort auf Rassismus und Vorurteile, würdigt Het Laatste Nieuws die verstorbene Künstlerin. Und dass mit einem Lachen, nicht mit der Faust auf dem Tisch. Heute können wir nur hoffen, dass Lies Lefever andere junge Menschen mit Migrationshintergrund inspiriert hat, eben um Rassisten mit ihren einfältigen Vorurteilen eines Besseren zu belehren.
Roger Pint