"Francken, der Brandstifter", titelt Le Soir. "Theo Francken, der verwundete Kronprinz der N-VA", schreibt De Standaard auf Seite eins.
Die Polemik um die abgeschobenen sudanesischen Migranten hat sich unerwartet noch einmal zugespitzt. Hintergrund ist ja, dass diese sudanesischen Migranten nach ihrer erzwungenen Rückkehr in ihre Heimat gefoltert worden sein sollen. Nach Bekanntwerden dieser Berichte hatte Premier Charles Michel ein Moratorium angekündigt: Bis Ende Januar dürfe niemand mehr in den Sudan abgeschoben werden. Francken nannte das "absurd", es seien ohnehin keine Ausweisungen in den Sudan vorgesehen. Das allerdings stimmte nicht. Mindestens eine Abschiebung war programmiert, wurde aber kurzfristig von Francken annulliert.
Francken wankt...
Die Opposition reagierte empört und berief noch für gestern Abend eine Sondersitzung des zuständigen Ausschusses ein. Und eben dabei hat sich auch gezeigt, dass die Mehrheit zunehmend gespalten ist. "Auch die CD&V bezichtigt Francken der Lüge", schreibt De Morgen. "Die CD&V hat ein Problem mit Franckens Lügen", schreibt Het Laatste Nieuws. Het Nieuwsblad und Gazet van Antwerpen sind drastischer: "Die CD&V entzieht Francken das Vertrauen und lässt ihn fallen", so kann man die Schlagzeilen beider Blätter in einer zusammenfassen. Ausdrücklich unterstützt wird Francken nur noch von seiner eigenen Partei, also der N-VA, und von der frankophonen MR von Premier Michel. "Francken wankt", schreiben denn auch De Standaard und Le Soir in ihrem Innenteil.
...aber die Regierung dürfte die Krise überleben
Dass Francken vielleicht am Ende zurücktreten muss, dass womöglich sogar die Regierung stürzt, dieser Ansicht sind die Leitartikler aber nicht.
Erstens, so meint Gazet van Antwerpen: Seine Partei, die N-VA, steht weiterhin wie ein Mann hinter Francken. Parteichef Bart De Wever persönlich hat gestern den Feuerwehrmann gegeben. Mit seinen Aussagen hat der dann gleich den Rahmen abgesteckt für einen eventuellen Wahlkampf. "Wer Francken fallenlässt, der unterstützt de facto eine Rückkehr zur Politik der offenen Grenzen", so lautete sinngemäß ein Argument. De Wever weiß, dass er mit solchen Sprüchen viel Applaus in der Bevölkerung erntet. Und eben, weil im Falle einer Regierungskrise der nächste Wahlkampf um diese Themen drehen dürfte, genau aus diesem Grund werden es die beiden anderen flämischen Koalitionspartner wohl kaum auf einen Sturz der Regierung anlegen.
De Wever hat Francken gerettet, analysiert auch De Morgen. Eben mit seiner Botschaft, wonach letztlich allein die N-VA die Grenzen geschlossen halte. Nach dem Motto also: Der Zweck heiligt die Mittel. Im Sinne einer strikten Asylpolitik ist auch mal eine kleine Lüge erlaubt. Aus N-VA-Sicht könnte man sagen: "Gut gemacht, Herr De Wever!". Doch sieht Premierminister Charles Michel das genauso? Oder wagt er doch die Konfrontation mit De Wever? Die Antwort auf diese Frage wird zugleich zeigen, wer letztlich der Boss in dieser Regierung ist.
Wer ist der Boss? Und was darf er?
Für De Standaard ist das schon geklärt. Denn: Francken ist doch schon ziemlich weit gegangen. Er hat den Premierminister nicht nur respektlos behandelt, sondern dann auch noch hinters Licht geführt. Ein Regierungschef kann das eigentlich nicht durchgehen lassen. Doch hat Charles Michel keine Wahl. Hier rächt sich die Erbsünde dieser Koalition. Selbst wenn die stärkste Partei nicht den Premier stellt, dann hat sie natürlich de facto immer noch das Sagen. Francken hat gerade das Märchen zerstört und diese Wirklichkeit ans Licht gebracht. Francken sitzt also fest im Sattel. Nur, wenn sich Charles Michel irgendwann auf sein Selbstwertgefühl besinnt und an die politische Hygiene denkt, kann sich das noch ändern.
L'Echo sieht in alledem eine drohende Gefahr für die Demokratie. Demokratie, das darf nicht auf die Diktatur der Mehrheit hinauslaufen. Allein die Tatsache, über die Mehrheit der Stimmen zu verfügen, gibt einer Regierung keinen Freifahrtschein. Quintessenz der Demokratie ist nicht nur eine Zahl, etwa der Anteil der Parlamentssitze, Quintessenz sind auch die Werte, auf denen die Demokratie ruht. Diese Werte kann man nicht mit einer einfachen Parlamentsmehrheit vom Tisch fegen. Diejenigen, die aufgrund einer rein arithmetischen Logik die Demokratie als Diktatur der Mehrheit betrachten, werden aber leider immer zahlreicher.
Katalonien – Blockade in Beton gegossen
Einige Leitartikler kommen derweil noch einmal auf die Regionalwahl in Katalonien zurück. Dabei haben die separatistischen Kräfte ja in der Summe die absolute Mehrheit erzielt. Zwar müssen sich die drei Parteien immer noch erst auf ein Regierungsprogramm einigen, die Rechnung der Madrider Zentralregierung ist aber offensichtlich nicht aufgegangen. Ministerpräsident Mariano Rajoy hatte das separatistische Lager wohl eigentlich eher schwächen wollen.
Rajoy hat offensichtlich unterschätzt, wie sehr die Polizeigewalt beim "illegalen" Unabhängigkeitsreferendum die Menschen in Katalonien geprägt hat, glaubt Le Soir. Statt der von Madrid gewollten "Wiederherstellung der Ordnung", haben die Wahlen denn auch eigentlich nur die bisherige Blockade noch einmal in Beton gegossen. Weil Rajoy aber im Vorfeld angekündigt hat, das Wahlergebnis in jedem Fall zu respektieren, wird er jetzt wohl nicht mehr an einem Dialog mit den politischen Vertretern Kataloniens vorbeikommen. Und es ist schwer vorstellbar, wie Madrid aus dieser Geschichte herauskommen kann, ohne am Ende Zugeständnisse zu machen.
La Dernière Heure glaubt, dass die Katalanen womöglich für viele als Vorbild durchgehen könnten. Nach dem Motto: Heute Katalonien, morgen Schottland und Flandern, übermorgen Sardinien und das Elsass. Überall in Europa werden die regionalen Identitäten stärker. Aus dem Europa der 27 könnte bald eine Union der 55 Staaten werden. Einfacher würde das allerdings nicht.
"Es ist noch nicht alles über die Wupper"
Viele Zeitungen schließlich widmen ihren Leitartikel dem anstehenden Weihnachtsfest. Und der Tenor ist da häufig der gleiche. Auf den Punkt bringt es etwa L'Avenir: Klar kann man im Lichte des ausklingenden Jahres den Eindruck haben, dass die Welt langsam aber sicher den Kopf verliert. Klar muss man nur an Donald Trump oder Kim Jong-Un, oder vielleicht nur an die Provokationen eines Theo Francken denken, um ein mulmiges Gefühl für die Zukunft zu bekommen. Man sollte aber nicht allzu schwarz sehen. Wir alle können dazu beitragen, dass die Welt besser wird; durch simple Gesten der Menschlichkeit. Genau das schreibt sinngemäß auch Het Nieuwsblad.
Und im Übrigen kann man die auch schon jeden Tag beobachten, hakt La Libre Belgique ein. Neben Trumps gibt’s auch Macron. Neben der Armut gibt es auch die Solidarität. Neben der Dummheit existiert auch Großzügigkeit.
"Es ist noch nicht alles über die Wupper", meint auch Het Belang van Limburg und zitiert damit den Songtext einer niederländischen Band. Und sei die Tagesaktualität auch noch so düster, tagtäglich sieht man auch immer noch warme Gesten der Menschlichkeit. Genau dafür plädiert auch das GrenzEcho. Und L'Avenir meint: Im Gründe müsste jeden Tag Weihnachten sein.
In diesem Sinne wünscht Ihnen auch das ganze Team des BRF-Studios Brüssel schon jetzt frohe und friedliche Weihnachten!
Roger Pint