"Anderlecht blamiert", titelt La Dernière Heure. "Die Demütigung", so die beißende Schlagzeile von Le Soir. "Brügge wirft Anderlecht auf die Matte", schreibt De Standaard auf Seite eins. Selbst "seriöse" Zeitungen beschäftigen sich heute mit der Klatsche, die Rekordlandesmeister Anderlecht gestern kassiert hat. Die Veilchen wurden beim FC Brügge mit 5:0 vom Platz geschickt.
"Brügge war nicht zu halten", notiert Het Nieuwsblad auf seiner Titelseite. Het Laatste Nieuws gibt beiden Mannschaften eine Bewertung in Form einer Schlagzeile: "Grandios beziehungsweise beschämend", schreibt das Blatt.
"Wer schweigt, stimmt zu"
La Dernière Heure bringt derweil heute ein Exklusivinterview mit dem PS-Vorsitzenden Elio Di Rupo. Der übt zunächst harsche Kritik an der Politik der Regierung Michel: "Die Rentenreform, das ist die destruktivste Aktion der Regierung", zitiert das Blatt den PS-Chef auf seiner Titelseite. Für Di Rupo bringt die Mitte-Rechts-Koalition das Rentensystem insgesamt in Gefahr. Für morgen haben die Gewerkschaften übrigens in Brüssel zu einer Großkundgebung aufgerufen. Zwischen 30.000 und 50.000 Menschen wollen dann eben gegen diese Rentenreform protestieren.
In La Dernière Heure reagiert Elio Di Rupo aber auch auf das neuerliche Rumoren innerhalb seiner Partei. Am Samstag hatte der ehemalige PS-Minister und Vorsitzende der Sozialistischen Krankenkassen, Jean-Pascal Labille, ungewöhnlich scharfe Kritik geübt: "Wenn die PS bei der nächsten Wahl 30 Prozent erreichen will, dann geht das nur ohne Di Rupo", sagte Labille in der RTBF und in der Zeitung Le Soir. "Herr Labille möge sich doch bitte um seine Krankenkasse kümmern", giftete Di Rupo in La Dernière Heure zurück.
Auch ohne Interview mit dem PS-Chef stellen einige Zeitungen fest, dass der Vorsitzende der Sozialisten standhaft bleibt. "Di Rupo widersteht dem Schienbeintritt von Labille", analysiert etwa Le Soir. Demnach sei zu beobachten, dass die Sozialisten mehr denn je – zumindest nach außen hin – hinter ihrem Vorsitzenden stehen. "Der PS-Präsident sitzt nach wie vor fest im Sattel", konstatiert auch La Libre Belgique. Beide Zeitungen sind sich einig: Ein Putsch gegen Di Rupo ist eher unwahrscheinlich.
Dann darf im Nachhinein auch keiner meckern, meint sinngemäß L'Avenir in seinem Leitartikel. Jean-Pascal Labille hatte sozusagen eine Steilvorlage gegeben. Der Einzige, der sich seiner Analyse anschloss, das war der Chef der wallonischen FGTB, Thierry Bodson. Ansonsten: Funkstille. Innerhalb der Partei war keine einzige Stimme gegen Di Rupo zu hören. Die Steilvorlage wurde also nicht angenommen. Dabei gilt: Wer schweigt, stimmt zu.
Die sozialdemokratische Krise dauert an
Für andere Zeitungen sind die neuerlichen Misstöne eher ein Symptom – und zwar für eine Krise, die alle sozialdemokratischen Parteien in Europa erfasst hat. Der Sozialismus hat es bislang nicht geschafft, sich auf die neuen Zeiten mit ihren neuen Herausforderungen einzustellen, glaubt etwa Le Soir. Inhaltlich hat man bisher nicht die Kurve in das 21. Jahrhundert gekriegt. Bestes Beispiel ist die französische PS, die von Emmanuel Macron dem Erdboden gleichgemacht wurde. Und obendrauf leistet sich die frankophone PS in Belgien jetzt noch eine Führungskrise. Insbesondere im heutigen Kontext ist das ein Spiel mit dem Feuer.
Het Laatste Nieuws sieht das ähnlich: Die Sozialisten zweifeln. Sie sind im Augenblick nur mit sich selbst beschäftigt. Ihren Spitzenleuten vertrauen sie nicht oder nicht genug. Und so wollen sich die Roten irgendwann dem Wähler präsentieren? Wenn nicht einmal die Sozialisten selbst an sich glauben, warum sollte das der Wähler tun?
Österreich macht Ex-Neonazi zu Vizekanzler
Viele Zeitungen blicken heute auch nach Österreich, wo die neue Regierung vereidigt wird. Es ist eine Koalition zwischen der konservativen ÖVP und der rechtsextremen FPÖ. "Ein Ex-Neonazi wird Vizekanzler", so die alarmierende Schlagzeile von De Standaard. "Die Armee, die Polizei und das Außenministerium sind ab jetzt in Österreich in den Händen der extremen Rechten", notiert auch La Libre Belgique.
Wie sich die Zeiten doch ändern, meint resigniert Het Nieuwsblad in seinem Leitartikel. Als die FPÖ im Jahr 2000 zum ersten Mal in Wien an der Regierung beteiligt wurde, gab es noch einen Aufschrei der Empörung. Der damalige belgische Außenminister Louis Michel rief sogar dazu auf, nicht mehr nach Österreich in den Skiurlaub zu fahren. Und heute? Keinerlei Reaktion, nicht mal Sorgenfalten. Das ist bezeichnend. Viele haben wohl geglaubt, dass nach den Wahlen in den Niederlanden, in Frankreich und in Deutschland die Gefahr gebannt sei. Das sieht aber nur so aus.
De Standaard macht dieselbe Analyse: In Österreich wird jetzt jemand Vizekanzler, der noch vor einigen Monaten von einem Parteifreund mit dem Hitlergruß empfangen wurde. Dieser Heinz-Christian Strache müsste eigentlich mehr Reaktionen, mehr Unbehagen hervorrufen, als Jörg Haider vor 17 Jahren. Aber offensichtlich überwiegt derzeit immer noch die Erleichterung über die Wahlergebnisse in den Niederlanden, Frankreich und Deutschland. Dass Europa die Gefahr von rechts abgewendet hätte, das ist allerdings gefährliches Wunschdenken.
Österreich wirft einen zusätzlichen Schatten auf die Europäische Union, glaubt denn auch La Libre Belgique. Überall auf dem Kontinent sind populistische und nationalistische Kräfte auf dem Vormarsch. Die europäischen Demokratien bezahlen den Preis dafür, dass sie brennende Probleme wie die Massenarbeitslosigkeit oder auch die Zuwanderung nicht gelöst bekommen.
Obendrauf kommt dann noch das Phänomen der Desinformation, der Lügen, die in sozialen Netzwerken verbreitet werden. Resultat ist jedenfalls, dass die EU ihre Aura verliert, vielleicht sogar schon ihre Seele. Statt Unmengen Energie bei den Brexit-Verhandlungen zu verschwenden, muss jetzt alles getan werden, um den Lauf der Geschichte zu verändern.
Roger Pint