De Wever out, Di Rupo in: Ausnahmslos alle Tageszeitungen berichten heute in großer Aufmachung über die jüngsten politischen Entwicklungen.
N-VA-Chef Bart De Wever hat gestern nach einer dreiwöchigen Sondierungsmussion seinen Abschlussbericht vorgelegt. Wenige Stunden später schickte König Albert II. dann PS-Chef Elio Di Rupo in die Arena. Di Rupo wird allerdings nicht mit der eigentlichen Regierungsbildung beauftragt, sondern nur mit der Vorbereitung dieses Prozesses.
Die Kernfragen lauten jetzt: Wie ist die Mission von De Wever zu bewerten? Und warum betritt Di Rupo schon jetzt die Bühne?
Eine Frage der Wortwahl: Der Prä-Regierungsbildner
"Jetzt muss Di Rupo es richten" titelt heute Gazet van Antwerpen. De Tijd meint auf Seite 1: "Di Rupo muss sich selbst den Weg ebnen", während La Dernière Heure sich schon die Frage stellt, ob es sich bei dem königlichen Auftrag nicht um ein "vergiftetes Geschenk" handelt.
Der Palast hat gestern im Zusammenspiel mit den beiden Wahlsiegern vom 13. Juni die nächste Stufe auf dem Weg zur Bildung einer neuen Regierung gezündet. Zunächst hatte N-VA-Chef Bart De Wever nach einer dreiwöchigen Sondierungsmission seinen Abschlussbericht vorgelegt. Sein Fazit: Es gibt zwar durchaus Konvergenzen zwischen einzelnen Parteien. Doch seien die eben noch nicht groß genug, um bereits zum jetzigen Zeitpunkt mit der eigentlichen Regierungsbildung zu beginnen.
Gemäß dieser Empfehlung schickt König Albert II. also keinen Regierungsbildner in die Arena. PS-Chef Elio Di Rupo soll diesen Prozess lediglich vorbereiten. Dabei hat der Palast, wie unter anderem Het Laatste Nieuws hervorhebt, wieder einen neuen Begriff aus dem Hut gezaubert: Nach dem Informator, dem Kundschafter, dem königlichen Vermittler, dem Minenräumer, jetzt also: Der Prä-Regierungsbildner.
Ein positives Klima
Wie ist das Ganze nun zu deuten? Das fragen sich nahezu alle Zeitungen in ihren Leitartikeln. Bart De Wever sprach immer wieder von Konvergenzen zwischen einzelnen Parteien. Das heißt viel und nicht viel, notiert etwa De Morgen. Welche Parteien gemeint sind, wie groß die Schnittmengen sind, darüber verlor De Wever kein Wort. Das ist an sich aber ein gutes Zeichen. Zumindest kann man die Verhandlungen diesmal nicht wie im unseligen Sommer 2007 per SMS mitverfolgen. Die derzeitige Diskretion aller Beteiligten mag darauf hinweisen, dass es noch genug Leute gibt, die tatsächlich eine Lösung anstreben.
Ähnlich sieht das auch Het Laatste Nieuws. Die Chronologie ist vielleicht dieselbe wie vor drei Jahren, auch seinerzeit endete die erste Sondierungsmission rund dreieinhalb Wochen nach der Wahl. Doch gibt es jetzt einen entscheidenden Unterschied: Die Verhandlungen werden nicht auf dem Marktplatz geführt. Besonnenheit ist Trumpf. Man will augenscheinlich mit allen Mitteln ein Remake der Krise von 2007 verhindern.
Zwischen Anspruch und Wirklichkeit
Doch wie ist die Mission von Bart De Wever zu bewerten? Eine Beurteilung ist angesichts der wenigen Einzelheiten, die bekannt geworden sind, schwierig, meint Het Nieuwsblad. Doch darf man nicht vergessen, mit welchen Ambitionen De Wever in seine Sondierungsmission gestartet war: Er wollte ein Rahmenabkommen mit den frankophonen Sozialisten und hatte damit die Messlatte hoch angesetzt. Er ist erwiesenermaßen unter der Latte durchgelaufen - ein Abkommen gibt es bislang nicht. Die Verhandlungen sind schwierig, vielleicht noch schwieriger als befürchtet. Jetzt gilt es nur, den Eindruck von Stillstand zu vermeiden.
Für die Gegner von De Wever mag es jetzt sehr einfach sein, ihm ein Scheitern zu bescheinigen, meint De Standaard. Damit tut man ihm aber Unrecht. De Wever hat noch keinen Fehler gemacht. Er ist seine Sondierungsmission sehr vernünftig und besonnen angegangen. Man darf nicht vergessen: Mit seiner N-VA und der sozialistischen PS müssen zwei Parteien zusammengebracht werden, die sich bislang gegenüberstanden wie Feuer und Wasser.
Staatsmännisch oder geläutert?
Auch die frankophone Zeitung La Libre Belgique gibt sich von Bart De Wever positiv überrascht. Man muss ja nicht gleich einen Mann, dessen gefährliche separatistische Neigungen bekannt sind, zum Heiligen verklären. Dennoch muss man zugeben, dass De Wever seine Mission korrekt erfüllt hat. Er hat das föderale Spiel, das seiner Partei bislang fremd war, mitgespielt. Er hätte auch schlussfolgern können, dass seine Aufgabe unmöglich sei und Belgien unregierbar. Er hat es nicht getan und ist damit dem Ernst der Lage gerecht geworden.
La Dernière Heure attestiert De Wever ihrerseits fast schon eine Läuterung. Es ist die alte Geschichte: Immer wieder kommt da ein aufgedrehter flämischer Nationalist daher, gewinnt eine Wahl und muss dann die föderale Bühne betreten. Und dieses Pflaster verändert einen Menschen. Bislang hat noch jeder flämischer Löwe seine Zähne verloren.
Di Rupos Mission: Beweis, Signal, Risiko
Objektiv gesehen hat De Wever vielleicht sein Ziel verfehlt, notiert Het Belang van Limburg. Man sollte sich aber hüten, die Sondierungsmission für gescheitert zu erklären. Der Beweis ist, dass Elio Di Rupo jetzt in den Ring steigt. Gäbe es keinen Fortschritt, dann wäre das mit Sicherheit nicht passiert. Die Verhandlungen mit Blick auf die Bildung einer neuen Regierung sind jetzt in einer kritischen Phase angelangt.
Ähnlich sieht das Gazet van Antwerpen. Dass der König jetzt Elio Di Rupo mit einer Mission betraut hat, ist ein wichtiges Signal. Bart De Wever durfte nicht zu viele Einzelheiten seiner Mission preisgeben, um die Verhandlungen nicht zu gefährden. Hätte er aus dem Nähkästchen geplaudert, dann wären sämtliche Vorabkommen auf der Straße gelandet und zerpflückt worden. Er konnte nicht beweisen, dass er Fortschritte erzielt hat. Erst der König lieferte die Bestätigung: Elio Di Rupo betritt die Arena.
Elio Di Rupo setzt sich jetzt selbst unter enormen Druck, unterstreicht auch Le Soir. Warum ein solches Risiko? Weil er glaubt, dass die Bürger irgendwelche Zwischenspiele nicht verstanden hätten. Di Rupo bringt die Verhandlungen jetzt in eine Stromschnelle und pokert hoch: Scheitert er, dann erleben wir wieder eine Krise wie im Sommer 2007.
Bild: belga