"Krawalle in Brüssel – ein Polizist beklagt: Nichts war vorbereitet", schreibt La Dernière Heure auf Seite eins. "Befehlshabender Offizier saß bei sich zu Hause", so die Schlagzeile bei Het Laatste Nieuws. Und De Morgen titelt: "Herrscht in Brüssel Straflosigkeit?"
Die Randale in der Brüsseler Innenstadt am Samstagabend nach der WM-Qualifikation der marokkanischen Fußball-Nationalmannschaft beschäftigt die Zeitungen weiterhin in zahlreichen Artikeln und Kommentaren.
L'Avenir stellt fest: Jetzt hagelt es wieder Anschuldigungen, Meinungen und Behauptungen. Schnell wird Partei ergriffen. Objektivität ist kaum zu finden. Dabei dürfen zwei Kernpunkte nicht vergessen werden: Erstens ist es zu bedauern, dass die Sicherheit der feiernden Menschen, der Anwohner und Geschäftsinhaber augenscheinlich nicht oberste Priorität hatte. Zweitens: Die Hauptverantwortlichen für das Chaos sind die Chaoten, die eine friedliche Feier in Krawalle verwandelt haben, unterstreicht L'Avenir.
Eine Schande für Brüssel
Het Laatste Nieuws ist sehr hart in ihrem Urteil und schreibt: Wer waren diese Krawallmacher eigentlich? Fußballfans? Hooligans? Vandalen? Vielleicht trifft die Bezeichnung von Yves Desmet von vor 15 Jahren am besten zu: "Kleine Scheißmarokkaner", diesen Ausdruck benutzte der Chefredakteur. Nehmen wir das "kleine" weg und sagen: Es waren Scheißmarokkaner. Aber solche Menschen gibt es natürlich in allen Volksgruppen. Auch unter Belgiern.
Legen sie los, darf für die Polizei nur eines gelten: Schlagstock raus, Schilder hoch und festnehmen. Die brennenden Autos, die geplünderten Geschäfte und das Chaos auf Brüsseler Straßen sind eine Schande für die Brüsseler Polizei. Sie muss sich genauso schämen, wie die Brüsseler Stadtverwaltung. Unwürdig ist es, wie sie unsere Hauptstadt verrotten lässt, wettert Het Laatste Nieuws.
De Morgen fragt: Warum haben sich solche Szenen wie in Brüssel nicht auch in Paris und Amsterdam abgespielt? Auch dort gibt es große marokkanische Gemeinden. Doch in Frankreich und den Niederlanden werden soziale Randgruppen gerne in Vorstädte gepackt, weit von den Stadtzentren entfernt.
In Brüssel ist das anders. Hier findet die Verelendung im Herzen der Stadt statt. Dass die Sache dann aus dem Ruder läuft, ist auch bzw. gerade auf eine jahrelang falsch geführte Politik zurückzuführen, für die vor allem frankophone Parteien verantwortlich sind, behauptet De Morgen.
Das GrenzEcho schreibt: Die Krawall-Nacht hat gezeigt, worauf sich die Hautstadt im kommenden Jahr gefasst machen muss. Mit lockerem Public-Viewing ist da nicht mehr zu rechnen. Das Zusatzrisiko – wir befinden uns weiterhin auf Terrorwarnstufe 3 – wird den politischen Verantwortlichen der Stadt und den Polizeikorps nach dem Proll-Terror zu groß sein.
Es ist davon auszugehen, dass die drei Spiele Marokkos in der WM-Gruppenphase zu Hochsicherheitsspielen in Brüssel ausgerufen werden. Nach den Ereignissen vom Samstag dürfte niemand daran zweifeln, notiert das GrenzEcho.
30er Zone zum Scheitern verurteilt?
Zum Vorhaben von Brüsseler Verkehrspolitikern, die Höchstgeschwindigkeit für Autos in der gesamten Hauptstadtregion auf 30 Stundenkilometer zu begrenzen, kommentiert La Libre Belgique: Grundsätzlich ist die Idee nicht schlecht, aber wie so oft in Brüssel, erscheint die Umsetzung hanebüchen. 30er Zonen führt man nicht pauschal auf einen Schlag überall ein. Das macht man schrittweise, zuerst dort, wo es nötig ist, und weitet die Zonen dann langsam aus. Wenn Brüssel die Pläne tatsächlich umsetzen sollte, sind sie quasi im Vorfeld schon zum Scheitern verurteilt, glaubt La Libre Belgique.
Ähnlich sieht es L'Echo und schreibt: Mit der Maßnahme soll die Zahl der Verkehrstoten gesenkt werden. Das Ziel ist natürlich nobel, doch wer glaubt schon, dass 30 Stundenkilometer überall in Brüssel funktionieren wird. Unzählige Kontrollen müssten organisiert werden. Und welcher Autofahrer fährt nachts um 23 Uhr bei leerer Straße schon 30 Stundenkilometer, fragt rhetorisch L'Echo.
Für De Standaard liegt der Schlüssel zum Erfolg in einem Mentalitätswandel. Die Zeitung führt aus: In Japan, Schweden und den USA regiert im Straßenverkehr die Höflichkeit. Vorsichtiges Autofahren mit Rücksicht auf die anderen Verkehrsteilnehmer ist dort der Alltag. Bei uns hingegen werden Autofahrer, die zuvorkommend, sicher und umweltfreundlich fahren als Weicheier und Schnecken beschimpft. Diese Mentalität müsste man ändern und dafür in den Fahrschulen anfangen. Das erscheint uns nachhaltiger zu sein, als überall Tempo-30-Schilder aufzustellen, findet De Standaard.
Öffentliche Investitionen gefragt
Le Soir macht sich Gedanken zu den fehlenden öffentlichen Investitionen in Belgien und führt aus: Belgien ist einer der Staaten Europas, die am wenigsten investieren. Regelmäßig bemängeln das auch die Europäische Kommission und der Internationale Währungsfonds. Dabei ist das Geld auf privater Seite durchaus vorhanden. 300 Milliarden Euro schlummern auf belgischen Sparbüchern. Sie warten nur darauf, mobilisiert zu werden. Der Monat Dezember wird entscheidend für die öffentlichen Investitionen werden. Dann präsentieren die Wallonische Region und auch der Premierminister ihre Investitionspläne, weiß Le Soir.
Kay Wagner