"Das belgische Steuergeschenk an Nike", titelt Le Soir. Die Brüsseler Zeitung setzt heute ihre Artikelserie über die sogenannten Paradise Papers fort. Das Blatt gehört zu dem internationalen Konsortium von Enthüllungsjournalisten, die die Dokumente ausgewertet haben. Heute bringt Le Soir die ersten Namen von in Belgien aktiven Unternehmen, die systematisch Steuervermeidung betrieben haben sollen.
Da ist allen voran der amerikanische Sportartikelhersteller Nike, der in der Nähe von Antwerpen sein europäisches Logistikzentrum unterhält. Dort sind 3.000 Mitarbeiter beschäftigt, das Unternehmen zahlt aber so gut wie keine Steuern. Genannt wird ebenfalls das Pharmaunternehmen Janssen Pharmaceutica, das die zu versteuernde Summe um 4,3 Milliarden Euro gedrückt haben soll. Die Firma gehört inzwischen der Multinationalen Johnson & Johnson. In den Paradise Papers taucht auch der Versicherer Ageas auf.
Da haben wir also wieder einen neuen Skandal, wieder neue "Leaks", meint Het Belang van Limburg. Wieder geht es also um Unternehmen und Superreiche, die mehr oder weniger legale Hintertürchen gefunden haben, um Steuern zu vermeiden. Damit verbunden ist dann auch gleich wieder die entsprechende Empörung, wobei das irgendwie müßig erscheint, gilt da doch die Maxime: Wo ein Wille, da ein Weg.
Andere Zeitungen sind da nicht ganz so pessimistisch. Es ist nicht so, als wäre in den letzten Jahren nichts passiert, glaubt etwa De Morgen. Natürlich kann man den Eindruck haben, dass wir uns in einer Endlosschleife befinden. Zumal jetzt auch noch vermeintliche Saubermänner wie der U2-Sänger Bono in den Papieren auftauchen. Insbesondere in Europa wird Steuervermeidung aber immer schwieriger, auch unter dem Druck der öffentlichen Meinung. Und das ist letztlich ein Verdienst dieser journalistischen Herkules-Arbeit.
Es tut sich was, meint auch L'Echo. Unter Führung der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, OECD, wurde der Kampf gegen Steuerhinterziehung drastisch verschärft. Schon 50 Staaten beteiligen sich daran, weitere 50 werden bald folgen. Bei der Umsetzung hapert es allerdings noch. Hier bedarf es einheitlicher Regeln, die wirklich für alle gelten.
Katalanische Separatisten und Loyalisten in Brüssel
Die katalanische Krise bleibt uns übrigens auch heute erhalten. "Brüssel wird jetzt wirklich zur Bühne für den innerspanischen Konflikt", titelt etwa De Morgen. Zunächst einmal ist es so, dass 200 katalanische Bürgermeister heute nach Brüssel kommen, um gegen das Vorgehen der spanischen Behörden zu protestieren. Ebenfalls für heute hat sich eine Abordnung eines katalanischen Unternehmerverbandes in Brüssel angesagt, die ihrerseits vor den Risiken der derzeitigen politischen Instabilität warnen will.
Parallel dazu sorgt das Ganze aber auch für immer mehr innenpolitische Spannungen in Belgien. "Die katalanische Krise ist definitiv in Belgien angekommen", schreibt sinngemäß La Libre Belgique. Le Soir spricht von einer "föderalen Kakophonie". "Die belgischen Parteien vollziehen einen Spagat", so formuliert es De Morgen.
"Ein ganz klein bischen Krieg"
Insbesondere N-VA-Spitzenpolitiker haben in den letzten Tagen scharfe Kritik an der spanischen Haltung geübt. Aus Madrid gab es das Gleiche mit barer Münze zurück: "Ein ganz klein bisschen Krieg", bemerkt dazu Het Laatste Nieuws. Selbst PS-Chef Elio Di Rupo unterstellte dem spanischen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy, "wie ein autoritärer Franquist" gehandelt zu haben.
Das ist fast schon einmalig, bemerken dazu mehrere Blätter. Es ist höchst selten, um nicht zu sagen eine Premiere, dass Bart De Wever und Elio Di Rupo mal einer Meinung sind. Di Rupo ist da im Übrigen nicht der einzige Kronzeuge, analysiert Het Laatste Nieuws.
Auch Leute wie der sozialistische Ex-Minister Johan Vande Lanotte oder der frühere liberale EU-Kommissar Karel De Gucht würden die N-VA-Kritik grundsätzlich unterschreiben. Di Rupo, Vande Lanotte und De Gucht sind der Ansicht, dass es sich hier durchaus um ein politisches Problem handelt, bei dem man nicht wegschauen darf. Und alle drei gehen mit Sicherheit nicht als radikale Nationalisten durch.
Das mag vielleicht ein Indiz dafür sein, wie verfahren die Lage ist, findet Het Nieuwsblad. Die Moralisten sind jetzt schon bei Franco- oder Hitlervergleichen angelangt; tiefer kann man kaum noch sinken. Und die anderen, die schauen einfach weg. Dabei muss doch längst klar sein, dass irgendjemand den beiden innerspanischen Konfliktparteien aus dem Morast helfen muss. Beide Seiten schaukeln sich nämlich in ihrer Sturheit immer weiter hoch. Weder selektive Empörung, noch strategische Blindheit können hier helfen.
Gazet van Antwerpen sieht das ähnlich: Die europäischen Behörden und auch die EU-Regierungschefs haben im Grunde nur erreicht, was sie eigentlich vermeiden wollten. Durch ihr Schweigen hat sich die Situation nur noch weiter zugespitzt. Europa hätte viel Unheil vermeiden können, wenn man beide Streithähne an einen Tisch gesetzt hätte. Das wird eines Tages so oder so passieren müssen.
Charles Michel in der Unterhose
Die belgische Haltung in der Krise wird jedenfalls immer verworrener, kann derweil Le Soir nur feststellen. Zugleich steht Premierminister Charles Michel derzeit in der Unterhose da. Hatte er nicht seine Minister dazu angehalten, sich in Zurückhaltung zu üben? Der einzige, der sich noch an diese Vorgabe hält, das ist er selbst. Die N-VA-Leute, die in den letzten Tagen deutliche Kritik an Spanien geübt haben, hat der Regierungschef gar nicht mehr zurückgepfiffen.
Die Haltung der N-VA ist da im Übrigen fast schon schizophren: Im Zusammenhang mit der Katalonien-Krise steht die Partei wie ein Mann hinter den Menschenrechten, dieselben Leute also, die vor Kurzem noch die Genfer Konvention zerreißen wollten oder mit der Diktatur im Sudan zusammengearbeitet haben. Die Menschenrechte gelten nicht nur, wenn es einem gerade in den Kram passt.
Roger Pint