"Katalonien unabhängig: was jetzt?", titelt De Standaard. "Katalonien: die Konfrontation", schreibt Le Soir. Fast alle belgischen Tageszeitungen kommentieren die dramatische Entwicklung in der Katalonien-Krise. Nachdem die autonome Region ihre Unabhängigkeit ausgerufen hatte, hat die spanische Regierung sie unter Zwangsverwaltung gesetzt, das Parlament aufgelöst und Neuwahlen angeordnet.
Für La Libre Belgique ist dieser vermeintliche Sieg der Separatisten in Barcelona in höchstem Ausmaße politisches Versagen. Anstatt in Unabhängigkeit, befindet sich die autonome Region nun unter Verwaltung der Zentralregierung. Die Bevölkerung ist gespalten. Die katalanische Regierung hat ihre politische Unreife unter Beweis gestellt. Die spanische Zentralregierung hat das Recht zwar auf ihrer Seite, trägt aber ebenfalls eine schwere Verantwortung für die Situation. Seit einem halben Jahrhundert stellt sie sich taub gegenüber katalanischen Forderungen. Ministerpräsident Rajoy und die Seinen klammern sich an den Mythos eines unteilbaren Spaniens. Dabei ist das Land ein Viel-Völker-Staat, der mit einem föderalen Modell hätte gewinnen können, so La Libre Belgique.
Das Tor zum Paradies?
De Morgen kommentiert: Nach dem Brexit ist es bereits das zweite Mal in kürzester Zeit, dass politische Anführer in Europa den eigenen Staat vor die Wand fahren. So wie in Großbritannien begann die Krise auch in Katalonien durch unbesonnene Politiker, die das Unglück, dass sich über ihnen zusammengebraut hatte, nicht vermeiden konnten. Hier die unnötige Repression von Spaniens Premier Rajoy, dort der separatistische Flirt des katalanischen Ministerpräsidenten Puigdemont. Die spanische Regierung hat jegliche Chance verpasst, eine Einigung zu erzielen. Und die anderen europäischen Anführer haben sich nicht viel Mühe gegeben, Herrn Rajoy zu mehr Nachsichtigkeit zu bewegen. In Kürze werden wir wissen, wie hoch der Preis für dieses Wegschauen sein wird, meint De Morgen.
De Standaard gibt der frischgebackenen Republik Katalonien wenig Chancen. Juristisch steht das ganze Konstrukt auf wackeligen Füßen. Auch international hat der katalanische Premier Puigdemont nicht viele Freunde. Kein europäisches Mitgliedsland fühlt sich bislang angesprochen, Katalonien anzuerkennen. Und selbst wenn, die EU würde sich auf die Seite Madrids schlagen. Auch die USA haben keine Lust sich daran die Finger zu verbrennen. Das Land verfügt über keine Strategie, daran etwas zu ändern. Einen Plan, wie das Leben außerhalb Spaniens aussehen soll, gibt es nicht. Und die knappe Abstimmung im Parlament lässt vermuten, dass Katalonien selbst beginnt daran zu zweifeln, ob die Unabhängigkeit wirklich das Tor zum Paradies ist.
Katastrophales Krisenmanagement
L'Echo sieht Madrid im Recht, Barcelona im Fehler. Trotzdem dürfe man nicht die Augen vor dem katastrophalen Krisenmanagement der Regierung Rajoy verschließen, so die Zeitung. Indem sie sich in den vergangenen Jahren weigerte, den katalanischen Beschwerden ein Ohr zu schenken, hat die spanische Regierung mitgeholfen, die Mauer hochzuziehen. Eine Region, ja eine Nation unter Zwangsverwaltung zu setzen, die seit Jahrzehnten für mehr Autonomie und seit Jahren für Unabhängigkeit kämpft, ist einer europäischen Demokratie unwürdig, urteilt L'Echo.
Het Belang van Limburg will sich lieber nicht vorstellen, was in den kommenden Tagen und Wochen in den Straßen von Katalonien passieren wird. Der politische Prozess und die Antwort auf die Frage was europäische Werte sind, rückt in weite Ferne. Werte auf die sich sowohl die Spanier als auch die Katalanen berufen. Alle Chancen auf einen politischen Weg, wurden von den Protagonisten dieses Dramas systematisch vermasselt. Rajoy verweigerte den Dialog mit den Separatisten, weil es unter seinen Anhängern ein Zeichen der Schwäche gewesen wäre. Puigdemont entschied sich nicht für Neuwahlen, da dies unter seinen Leuten als Verrat gegolten hätte. Wie Spanien und Katalonien aus dieser Falle entkommen können, ist unklar. Sicher ist nur: Emotionen und Zorn müssen auf beiden Seiten ihren Platz räumen - zugunsten von Sachlichkeit, gegenseitigem Respekt und der Fähigkeit zuzuhören, wünscht sich Het Belang van Limburg.
"Und jetzt?", fragt sich Le Soir. Das einzige was sicher ist, sind Chaos und Konfrontation. In diesem schlechten Theaterstück gibt es nur Verlierer. Die europäischen Völker sollten wissen, dass es mit nationalistischen Rückzügen nichts zu gewinnen gibt. Damit verlieren sie ihre Waffen gegen die wahren Zerstörer ihrer Identität: die Globalisierung und den Finanzmarkt-Kapitalismus. Außerdem: Die EU bietet den verschiedenen Nationen ausreichend Spielraum, um sich zu entwickeln. Einheit in der Verschiedenheit: Wenn es ein großes Versagen in dieser spanisch-katalanischen Affäre gibt, dann ist es der Angriff gegen dieses fundamentale Prinzip, meint Le Soir.
Volker Krings