"Österreich mit Rechtsruck", titelt De Standaard. "Sebastian Kurz, 31 Jahre, wird Europas jüngster Regierungschef", schreibt Het Belang van Limburg. "'Wunderkind Kurz hat in Österreich geliefert", so das GrenzEcho auf Seite eins.
Der Ausgang der Parlamentswahlen gestern in Österreich beschäftigt die Zeitungen sowohl in ausführlichen Berichten, als auch in den Kommentaren. Die bürgerlich-konservative ÖVF von Kurz hat die Wahl mit gut 31 Prozent gewonnen, die Sozialdemokraten und die rechtspopulistische FPÖ liegen fast gleich auf, bei rund 27 Prozent.
Dazu meint La Libre Belgique: Kurz hat es mit einer Strategie wie Macron in Frankreich geschafft: jung, dynamisch, ein frisches Gesicht, ein klares Programm. Und so wird es auch nicht verwundern, wenn Kurz jetzt tatsächlich mit der FPÖ ein Regierungsbündnis eingehen wird, so wie er es schon angedeutet hat. Angst vor den Rechtsextremen hat Kurz nicht. Schon Anfang der 2000er Jahre ist sein Vorgänger Wolfgang Schüssel eine Regierung mit dem Extremisten Jörg Haider eingegangen. Bei der nächsten Wahl ging die ÖVP gestärkt hervor, die FPÖ rutschte ab. Wahrscheinlich will Kurz diesen Coup wiederholen. Das ist bedauerlich, denn Rechtsextreme an der Macht sind immer eine Niederlage für die Demokratie, urteilt La Libre Belgique.
Kurz kopiert N-VA
De Standaard analysiert: Kurz hat erfolgreich die Strategie der N-VA kopiert. Er hat bei den Wählern der FPÖ mit rechten Parolen geworben und sie überzeugt. Damit konnte ein möglicher Sieg der FPÖ zwar verhindert werden, aber gute Neuigkeiten sind das nicht. Österreich wird jetzt eine Politik führen, die stark auf die eigene Identität setzt. Kurz zeigt keinen Willen, die Europäische Union zu vertiefen. Außerdem wird er sich vehement gegen Pläne wehren, Flüchtlinge auf alle EU-Mitgliedstaaten zu verteilen. Ungarn und Polen wird er dabei an seiner Seite haben. Deutschland wohl weniger, glaubt De Standaard.
Le Soir bedauert: Die nationale Frage und die Abgrenzung gegen andere scheinen die Menschen weiterhin zu faszinieren. Der Erfolg der rechten Parteien in Österreich zeigt das erneut. Das ist aber kein Schicksal, das man einfach so akzeptieren muss. Vielmehr muss man an Alternativen dazu arbeiten. Erstens müssen sich die demokratischen Parteien erneuern, um den Bürgern wieder Lust zu machen, sie zu wählen. Macron in Frankreich hat gezeigt, wie das geht.
Zweitens muss Europa den Menschen zeigen, dass es bessere Antworten auf ihre Sorgen hat, als Populisten und Extremisten. Bei der EU müssen entsprechende Entscheidungen getroffen werden. Die kommenden zwölf Monate werden dafür richtungsweisend sein. Drittens muss die Zivilgesellschaft selbst Mittel finden, um zu zeigen, dass Extremismus dem Zusammenleben schadet, rät Le Soir.
De Morgen findet: Die bürgerlichen Parteien in Europa vollziehen gerade einen Rechtsruck. Indem sie sich auf die Fahne schreiben, härter gegen Fremde vorgehen zu wollen, greifen sie Positionen der Rechtsextremen auf. Die Rechte wird wieder rechts. Für die Linke muss das bedeuten, sie muss auch wieder links werden. Sie muss sich vor allem ein klares wirtschafts- und gesellschaftspolitisches Profil geben, das sich deutlich von rechten und liberalen Ideen unterscheidet. Dadurch wird die Politik wieder politischer werden, ist sich De Morgen sicher.
Ein schlechter Start für Rot-Grün
Zum Bündnis von Grünen und Sozialisten in Antwerpen für die kommenden Kommunalwahlen meint Het Nieuwsblad: Am Wochenende haben die Parteimitglieder ihren Segen zu diesem Bündnis gegeben. Bei der SP.A geschah das ohne Probleme. Bei Groen war das eine schwierige Geburt. Nach stundenlanger Debatte stimmten nur 76 Prozent für das Bündnis. Ein wahrlich schlechter Start für eine Koalition, die den gewieften Wahlkämpfer Bart De Wever aus dem Rathaus werfen möchte, urteilt Het Nieuwsblad.
Het Laatste Nieuws schreibt: Bart De Wever hat schon mitgeteilt, dass er nicht traurig über das neue Bündnis ist. Wieso sollte er auch? So eine Konstellation, nämlich er gegen einen klar definierten Herausforderer, ist sein Lieblingsszenario. Man kann davon ausgehen, dass Bart De Wever die Wahl wieder gewinnt. Die Frage wird nur sein, wie sich nach den Wahlen die möglichen Koalitionspartner CD&V und OpenVLD verhalten werden. Ihre Entscheidungen für die N-VA oder das Bündnis Groen-SP.A werden auch weitreichende Folgen für die neuen Regierungen in Flandern und auf föderaler Ebene haben, prophezeit Het Laatste Nieuws.
Ein bisschen Hollywood in Belgien
Beim föderalen Entsorgungsunternehmen für nukleare Abfälle, Ondraf, sind an Verwaltungsratsmitglieder ohne deren Anwesenheit Sitzungsgelder gezahlt worden. Zu dem neuerlichen Skandal schreibt L'Avenir: Erstmals sitzen jetzt auch die Grünen auf der Anklagebank. Die Partei, die sich bislang als Saubermann dargestellt hat. Aber auch CD&V und MR sind betroffen. Die föderalen Minister Kris Peeters und Marie-Christine Marghem haben die oberste Aufsicht bei Ondraf. Es muss schnell Licht in den Skandal gebracht werden. Gerade bei einer Einrichtung, die so wichtig für unsere Sicherheit ist, findet L'Avenir.
La Dernière Heure vergleicht: Bei diesen Skandalen um Sitzungsgelder ist es wie mit dem aktuellen Hollywood-Skandal, den sexuellen Machenschaften des mächtigen Filmproduzenten Weinstein: Alle wussten davon, doch keiner hat was gesagt. In Belgien hat das Schweigen allerdings nichts mit Scham zu tun, sondern vielmehr mit der Hoffnung, möglichst lang noch von dem System zu profitieren, das einige als mafiös bezeichnen, schimpft La Dernière Heure.
Kay Wagner - Foto: Vladimir Simicek/AFP