"Unabhängigkeit ausgerufen und ausgesetzt", titelt Het Nieuwsblad. "Katalonien verschiebt die Unabhängigkeit, um den Dialog mit Madrid doch noch zu ermöglichen", schreibt L'Echo auf Seite eins. Und De Morgen meint: "Jetzt ist Spanien wieder am Zug".
Viele Zeitungen greifen die Rede des katalanischen Ministerpräsidenten Puidgemont von Dienstagabend auf ihren Titelseiten und in ihren Kommentaren auf. Puidgemont hatte das "Recht Kataloniens auf Unabhängigkeit" betont, aber angekündigt, die Unabhängigkeitserklärung noch einige Wochen aufzuschieben.
Le Soir fragt sich, warum Puidgemont diesen zweideutigen Kurs fährt: Ist es die Angst vor einem Bürgerkrieg? Die Angst vor dem Wegzug von Unternehmen? Die Angst vor internationaler Isolation? Das alles mag eine Rolle gespielt haben. Festzuhalten ist: Puidgemont hat es vermieden, sich auf ein extrem gefährliches Abenteuer einzulassen. Er versucht, sich weiter als glaubwürdiger Gesprächspartner zu zeigen. Der Ball liegt damit jetzt im Feld von Spaniens Premierminister Mariano Rajoy. Der hat das Wort "Unabhängigkeit" aus dem Mund von Puidgemont gehört, aber auch die Aufforderung zum Dialog. Rajoy muss jetzt entscheiden, welchen Weg er einschlagen will, analysiert Le Soir.
Die Rede, die jeder interpretieren kann, wie er will
De Morgen schreibt: Es wird spannend sein, zu beobachten, was jetzt kommt. Kann Spanien dazu gebracht werden, den Dialog mit Katalonien aufzunehmen? Ist ein Kompromiss möglich? Oder wird es zu einer neuen Demütigung Kataloniens durch Spanien kommen? Werden sich die europäischen Mächte einmischen? Kommt es zu Neuwahlen in Katalonien? Das ist das Gute an der Rede von Dienstagabend, die jeder im Grunde interpretieren kann, wie er will: Neue Auswege bleiben möglich, so De Morgen.
De Standaard findet: Dienstagabend wurde in Barcelona Geschichte geschrieben. Das erste Mal in der Geschichte der Europäischen Union hat ein Teil eines Mitgliedsstaats seine Unabhängigkeit erklärt. Wie konnte es dazu kommen? Durch Abwarten und durch das Unterschätzen der Situation. Das muss sich ändern. Die Europäische Union ist jetzt gefragt. Sie muss sich in den Konflikt einmischen. Katalonien ist zu einer europäischen Angelegenheit geworden, behauptet De Standaard.
Auch La Libre Belgique sieht die EU jetzt in der Pflicht und begründet: Die Rede hat nichts gelöst. Das Problem bleibt bestehen. Das "Referendum" zur Unabhängigkeit, auf das sich der katalanische Ministerpräsident beruft, bleibt verfassungswidrig. Trotzdem möchte Katalonien mit Madrid verhandeln. Doch Madrid verweigert jegliche Diskussion, so lange die Forderung nach Unabhängigkeit nicht vom Tisch ist. Die Situation ist festgefahren. Kann Europa dabei einfach zuschauen? Auch, wenn die Situation aus dem Ruder laufen sollte?, fragt sich besorgt La Libre Belgique.
Was wird im Gedächtnis bleiben?
L'Avenir beschäftigt sich in seinem Leitartikel sowohl mit dem Streik der CGSP, als auch mit der Regierungserklärung von Premierminister Charles Michel, und fragt: Welches der beiden Ereignisse wird im Gedächtnis der Menschen bleiben? Die Forderung der Gewerkschaftler oder die Worte des Premiers? Das wird vor allem auf Michel ankommen. Denn seine Arbeit als Regierungschef ist noch nicht beendet. Er hat schon gute Erfolge vorzuweisen. Doch erst am Ende seiner Amtszeit wird sich zeigen, ob die Bürger mit seiner Arbeit zufrieden sind, oder die Forderungen der Gewerkschaften nach mehr sozialer Gerechtigkeit wieder breitere Unterstützung finden, notiert L'Avenir.
Die Wirtschaftszeitung L'Echo schreibt zu Michel: Zu Recht konnte der Premier sagen, dass es Belgien zurzeit ganz gut geht. Wichtige Weiche wurden gestellt und Reformen eingeleitet. Aber es bleiben auch noch Baustellen offen. Neben den sozialwirtschaftlichen Problemen gilt es auch noch, sich um die Mobilität, die öffentliche Gesundheit und die Umwelt zu kümmern. Sie dürfen nicht länger als zweitrangige Probleme betrachtet werden, fordert L'Echo.
Het Laatste Nieuws hält fest: Michel ist erstaunlich bescheiden aufgetreten. Nichts zu hören davon, dass seine Regierung die erfolgreichste der vergangenen 25 Jahre ist. Vielmehr hat Michel die Aufgaben selbst genannt, die es noch anzugehen gilt: Energie, Renten, die Bahn. Armut, Steuern und der Haushalt. Die Niederlande haben diese Punkte schon alle geregelt. Die am Dienstag neu verkündete Regierung Rutten III kann, nachdem gespart und reformiert wurde, jetzt investieren. Zum Beispiel in Bildung, Verteidigung, Dienstleistungen und grüne Energie. Die Niederlande sind Belgien um eine Legislaturperiode voraus, bedauert Het Laatste Nieuws.
Europäischer Rekord
La Dernière Heure schreibt zum 4:0-Sieg der Roten Teufel im letzten WM-Qualifikationsspiel gegen Zypern: Damit haben die Roten Teufel 43 Tore in der Qualifikation geschossen. Ein europäischer Rekord, den Belgien jetzt zusammen mit Deutschland hält. Das macht aus Belgien nicht automatisch einen Favoriten für den Weltmeistertitel. Aber es zeigt auch: Um die Offensive müssen wir uns wohl keine großen Sorgen machen, jubelt La Dernière Heure.
Kay Wagner - Bild: Nicolas Maeterlinck (belga)