"Spanien zerschlägt das Referendum blutig", titelt Het Laatste Nieuws. "Das Referendum in Katalonien endet in einer Schlacht", schreiben La Libre Belgique und Het Belang van Limburg. "Spanien macht's auf die harte Tour", so die Schlagzeile von L'Avenir.
Auf ausnahmslos allen Titelseiten sieht man Gewaltszenen: Menschen, die ihre Stimme abgeben wollten, die von der Polizei brutal zusammengeknüppelt werden. Die Zahl der Verletzten schwankt, je nach Quelle, zwischen 90 und 800. Gazet van Antwerpen spricht denn auch von der "spanischen Schande". Für La Dernière Heure ist es die "schlimmste Krise für Spanien seit der Franco-Diktatur".
In einem Punkt sind sich viele Zeitungen einig: Die Reaktion der Regierung in Madrid hat die Situation nur noch auswegloser gemacht. De Standaard formuliert es so: "Die Gummiknüppel schlagen die leise Hoffnung auf Dialog kaputt". "Jetzt wollen wir uns erst recht abspalten", fasst Het Nieuwsblad die Meinung vieler Separatisten zusammen.
Den Krieg der Bilder hat Madrid offensichtlich erst einmal verloren, wie unter anderem De Morgen bemerkt. "Spanien gegen Katalonien: 0-1", so die Schlagzeile auf Seite eins. Le Soir formuliert es drastischer: "Madrid hat alles verloren".
Gewalt mit Ansage
Besonders tragisch ist, dass die Gewalt quasi mit Ansage kommt, meint L'Avenir in seinem Leitartikel. Seit Tagen brauten sich die Zutaten zusammen. Die leise Hoffnung auf eine letzte, vernünftige Initiative zur Entschärfung des Pulverfasses hat sich zerschlagen. Natürlich hat jede Regierung das Recht, zur Wahrung der öffentlichen Ordnung Gewalt einzusetzen. Eigentlich sollte sie aber auch alles tun, um genau das zu verhindern. Jetzt hat man allenfalls erreicht, dass sich die katalanischen Separatisten als Opfer hinstellen können.
Jetzt fehlen nur noch die Panzer, giftet Het Laatste Nieuws. Die gestrigen Ereignisse erinnern an die Niederschlagung des Prager Frühlings durch Sowjettruppen im Jahr 1968. In Katalonien hat die spanische Regierung gestern fundamentale europäische und demokratische Werte zertrampelt.
Eine demokratische Nation hat gestern tragische Bilder produziert, findet La Dernière Heure. Polizisten, die mit Gewalt eine Schule stürmen, um Wahlurnen zu beschlagnahmen. Gleich wie man zu dem Referendum steht: Wenn eine Regierung ihre Polizei mit Gummigeschossen auf Andersdenkende schießen lässt, dann sind das Methoden einer Diktatur, die in Europa niemand mehr sehen will.
Wie will man aus dieser Geschichte noch mal herauskommen?, fragt sich La Libre Belgique. Durch ihre Unfähigkeit, mit den katalanischen Separatisten einen Dialog aufzunehmen, geht die Regierung in Madrid jetzt als Hauptverantwortliche für die Krise durch. Und die gestrige Gewalt dürfte viele Unentschlossene jetzt noch in die Arme der Ultranationalisten treiben.
Wie soll man nach solchen Bildern jetzt noch die wahre Geschichte erzählen? Dass das Referendum illegal war, dass die katalanische Regionalregierung die Konfrontation gesucht hat. Mit seiner Unnachgiebigkeit hat der spanische Ministerpräsident Mariano Rajoy eigentlich nur das Bett der Separatisten gemacht.
Indem sie die Guardia Civil auf die Separatisten hetzte, hat die Regierung in Madrid ihre eigenen Fenster eingeschlagen, meint auch Het Nieuwsblad. Wenn auch das Recht auf ihrer Seite ist, so rechtfertigt das in keiner Weise die gestrige Gewalt. Mit 800 Verletzten kann man den Einsatz nicht wirklich als verhältnismäßig bezeichnen. Dadurch entsteht ein Zerrbild. Eine Mehrheit der Katalanen war gegen die Unabhängigkeit. Der Fehler von Madrid war, dem durchaus legitimen Wunsch nach einem Referendum nicht nachzukommen.
Vorbild Belgien
Mit ein bisschen Kaltblütigkeit wäre all das zu vermeiden gewesen, glaubt De Morgen. Noch vor Kurzem haben Umfragen bestätigt, dass eine Mehrheit der Katalanen gar nicht unbedingt die Unabhängigkeit will. Und bei den Regionalwahlen haben die Separatisten nicht einmal eine Mehrheit bekommen.
Mit kühlem Kopf und einem gewissen Maß an Nachgiebigkeit hätte man die katalanischen Autonomieforderungen durchaus kanalisieren können. Das belgische Modell – man mag es noch so verfluchen – ist immerhin ein Garant für eine gewaltlose Staatsreform.
In Madrid hätte man das "Referendum" getrost aussitzen können, ist Het Belang van Limburg überzeugt. Die Abstimmung war durch das höchste spanische Gericht für illegal erklärt worden. Und außerdem war die Art und Weise, wie die katalanische Regionalregierung die Abstimmung beschlossen und organisiert hat, alles andere als sauber. Ministerpräsident Rajoy hätte sich darauf beschränken können, das Referendum im Nachhinein noch einmal für ungesetzlich zu erklären.
Und das Ergebnis dieses Referendums hätte dann durchaus als Grundlage für Verhandlungen dienen können, hakt Gazet van Antwerpen ein. Jetzt hat Rajoy die Separatisten nur noch stärker gemacht. Schlimmstenfalls droht die Situation sogar vollends zu entgleisen. Das Schweigen der Europäer ist in diesem Zusammenhang sträflich, meint Gazet van Antwerpen.
Hoffnung auf den heilsamen Schock
Vielleicht war der gestrige Tag ein heilsamer Schock, hofft De Standaard. Die Regierung in Madrid muss Verständnis haben für den katalanischen Wunsch nach mehr Autonomie. Und die Katalanen müssen begreifen, dass man Unabhängigkeit nicht auf Bestellung bekommt. Das Ganze kann dann durchaus münden in ein wirklich demokratisches Referendum, dessen Modalitäten durch alle Beteiligten bestimmt werden. Schottland und Quebec haben gezeigt, dass das Ergebnis nicht von vornherein feststeht.
Es war ein trauriger Tag, so das Fazit von Le Soir. Ein trauriger Tag für Katalonien, weil die Regionalregierung an ihrem rechtlichen Irrsinn festhält. Ein trauriger Tag für Spanien, weil man Gewalt einer politischen Lösung vorgezogen hat. Und ein trauriger Tag für Europa, weil Menschen wie Nigel Farage oder Wladimir Putin wieder Bilder geliefert bekommen haben, die in ihr Weltbild passen. Und weil die EU-Verantwortlichen nicht dazu imstande sind, Gewalt in Europa zu verurteilen.
rop - Foto: Pau Barrena (afp)