"Angela Merkel gewinnt, ist aber sehr geschwächt", titelt Le Soir. "Es ist ein Sieg mit bitterem Beigeschmack", schreibt La Libre Belgique auf Seite eins. "Merkel verliert und gewinnt", so die paradoxe Schlagzeile von De Morgen.
Ausnahmslos alle Zeitungen blicken am Montag nach Deutschland. Bei der gestrigen Bundestagswahl ist die CDU/CSU von Angela Merkel zwar stärkste Kraft geworden, die Union musste aber herbe Verluste hinnehmen. Het Laatste Nieuws formuliert es diplomatisch: "Die unschlagbare Angela Merkel hätte wohl auf ein besseres Ergebnis gehofft". Die SPD mit ihrem Spitzenkandidaten Martin Schulz hat ihrerseits das schlechteste Ergebnis der Nachkriegszeit eingefahren.
"Die Deutschen strafen die Regierung ab", so denn auch das Fazit von Gazet van Antwerpen. De Standaard bringt es auf Deutsch auf den Punkt: "Die Große Koalition hat es nicht geschafft". Das ist natürlich eine Anspielung auf das vielzitierte "Wir schaffen das" von Angela Merkel.
Warnschuss
Auf Platz drei kommt schon die rechtsextreme AfD, die 12,6 Prozent der Stimmen einfährt und um die 90 Abgeordneten in den Reichstag nach Berlin entsenden wird. Für viele Zeitungen ist das der eigentliche Blickfänger. De Standaard schreibt zum Beispiel auf Seite eins: "Merkel überlebt den deutschen Schwarzen Sonntag". "Schwarzer Sonntag", das ist ein Verweis auf die Parlamentswahl in Belgien 1991, bei der der rechtsextreme Vlaams Belang seinen Durchbruch schaffte. Das GrenzEcho spricht seinerseits auf seiner Titelseite von einer "Zeitenwende für die deutsche Politik".
Deutschland ist also nicht immun gegen dieses ekelerregend stinkende Gedankengut, stellt La Libre Belgique etwas erschrocken fest. Ganz offensichtlich hat man die Tragweite des Problems erst zu spät erkannt. Für die eigentlich soliden und stabilen deutschen Institutionen ist das ein Warnschuss. Insbesondere in Ostdeutschland, wo im Durchschnitt jeder Fünfte für die AfD gestimmt hat, müssen die traditionellen Parteien diese Wähler zurückgewinnen. Und dabei wird man wohl auch explosive Themen wie die Einwanderung ansprechen müssen.
Die "Erben der Nazis" zurück im Reichstag
Woran hat es gelegen? Het Belang van Limburg glaubt seinerseits, dass die Analyse von SPD-Spitzenkandidat Martin Schulz nicht ganz falsch ist. Der kritisierte Merkel dafür, dass sie, mit einer Ausnahme, jegliche direkte Konfrontation mit ihm verweigert hatte. Damit habe sie eine Debatte zwischen den linken und den rechten Demokraten unmöglich gemacht. Und das wiederum habe den Weg erst freigemacht für die AfD.
Die Erben der Nazis ziehen wieder ins Reichstagsgebäude ein, notiert auch das GrenzEcho. Das ist wohl das sichtbarste Zeichen dafür, dass das Vertrauen in das politische System nachhaltig erschüttert ist. Die Herausforderung ist jetzt nicht nur, eine handlungsfähige Regierung hinzubekommen, sondern auch die Demokratie zu verteidigen.
Die Anführerin der Freien Welt ist verwundet, konstatiert De Morgen. Die rechtsextreme AfD hat eine Bresche in Angela Merkels Partei geschlagen. Das Wahlergebnis ihrer Union kommt beinahe einer persönlichen Blamage gleich. Jetzt gilt es zu hinterfragen, warum sich insbesondere in Ostdeutschland die Menschen massiv der AfD zugewandt haben. Das hat wohl nicht nur mit der Einwanderungspolitik zu tun, sondern auch mit sozialwirtschaftlicher Frustration. Für Angela Merkel ist die Herausforderung in ihrer letzten Amtsperiode jedenfalls gigantisch. Sie muss extrem Rechts in Deutschland aufhalten und nebenbei Europa vor dem Untergang bewahren.
Ähnlich sieht das Het Nieuwsblad: Zwar ist die Apokalypse für Europa zunächst ausgeblieben. In den Niederlanden, Frankreich und Deutschland haben die Rechtspopulisten zwar Erfolge erzielen können, die große Welle ist aber zum Glück ausgeblieben. Die Gefahr ist damit aber nicht gebannt. Die Südeuropäer verlieren ihr Vertrauen in die EU. Und einige der ehemaligen Ostblockstaaten drohen schon, die europäischen Ideale über Bord zu werfen. Hier warten gigantische Aufgaben, die eigentlich eher auf eine "Super-Frau" zugeschnitten sind, als auf jemanden, der mal den Beinamen "Das Mädchen" trug.
Schlechte Nachrichten für Macron
"Mutti muss jetzt ihr wahres Gesicht zeigen", so resümiert es Le Soir. Denn auch innenpolitisch wird es für die alte und neue Kanzlerin haarig. Ihre CDU wird wohl eine Koalition unter anderem mit der euroskeptischen FDP eingehen müssen. Genau aus diesem Grund herrscht denn auch bei den Pro-Europäern auf dem ganzen Kontinent spürbare Unruhe. Fraglich ist jedenfalls, ob Merkel ihre vierte Amtszeit tatsächlich nutzen kann, um Europa stärker und solidarischer zu machen. Möglich ist nämlich auch, dass die politische Pragmatikerin unter dem Druck der erstarkenden rechtskonservativen Kräfte die EU künftig auf ein Minimum zurückfährt.
De Standaard ist eher pessimistisch: Merkel wird in jedem Fall über zu wenig Macht verfügen, um große Gesten zu vollziehen, die dem Kontinent Impulse geben könnten. Der wahrscheinliche Koalitionspartner FDP ist unverhohlen europaskeptisch. Ein Beispiel: Die deutschen Liberalen haben die Griechenland-Rettung immer vehement abgelehnt. Die ehrgeizigen Pläne, die der französische Staatspräsident Emmanuel Macron am Montag vorstellen wird und die etwa die Schaffung eines Finanzministers für die Eurozone beinhalten dürften, diese Ideen dürften wohl plötzlich in Berlin nicht mehr so gut ankommen.
Jetzt hängt alles an Angela Merkel, sind sich also die Zeitungen einig. De Morgen formuliert es so: Wenn sie es schafft, dass die EU in vier Jahren noch mehr oder weniger stabil ist, dann verdient Merkel ein Standbild in Berlin und auch auf dem Brüsseler Schuman-Platz. Gelingt ihr das nicht, dann kann man ihre 16-jährige Amtszeit mit einem Satz zusammenfassen: Es war Angela Merkel, die die Populisten groß werden ließ.
Roger Pint - Bild: Odd Andersen/AFP