"Europa wartet mit Spannung auf die Wiederwahl von Angela Merkel", so die etwas paradoxe Schlagzeile von Le Soir. "Warum Angela Merkel nicht verlieren kann", schreibt Het Nieuwsblad auf Seite eins. La Libre Belgique versucht auf seiner Titelseite, das "Rätsel Angela Merkel" zu ergründen.
Fast alle Zeitungen blicken heute in die benachbarte Bundesrepublik Deutschland, wo ja morgen gewählt wird. Was den Wahlsieger angeht, so besteht wohl kaum ein Zweifel. "Riesenvorsprung für die CDU vor der Wahl", notiert etwa das GrenzEcho auf Seite eins. Het Laatste Nieuws schreibt der CDU-Spitzenkandidatin Superkräfte zu: Zu sehen ist Angela Merkel im Superman-Kostüm, besser gesagt im Supergirl-Kostüm. Statt des ikonischen "Superman-S" prangt ein großes "M" auf ihrer Brust.
Die Deutschen setzen auf Bewährtes, analysiert La Libre Belgique in ihrem Leitartikel. "Keine Experimente", das Leitmotiv der scheidenden Kanzlerin scheint vielen Wählern aus der Seele zu sprechen. Trotz ihrer zwölf Jahre im Kanzleramt hat es Angela Merkel geschafft, von einer deutlichen Mehrheit der Bürger nicht gehasst zu werden.
Da spielt ihr natürlich die gute wirtschaftliche Gesundheit in die Karten, was dem Wahlslogan Substanz gibt: "Für ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben". Bleibt jetzt noch zu hoffen, dass Frau Merkel in ihrer vierten Amtszeit freier aufspielt, sich von politischem Kalkül befreit, um Deutschland und damit Europa eine neue Vision zu geben.
Hoffnung auf Impulse
De Morgen nennt die scheidende und wohl auch neue Kanzlerin respektvoll "Lady Merkel". Man erinnere sich auch an ihren berühmten Satz: "Wir schaffen das". Die deutsche Haltung in der Flüchtlingskrise verdient Respekt. Doch ist nicht alles rosig. Man denke an den Flüchtlingsdeal mit Erdoğan. Man denke an die knallharte Haltung Deutschlands gegenüber Griechenland, wo es im Wesentlichen darum ging, die Interessen deutscher Banken zu schützen - und das auf Kosten von Millionen von Griechen, die in die wirtschaftliche Misere gestürzt wurden. Es ist wohl diese paradoxe Mischung aus Standfestigkeit, Machiavellismus, politischem Mut, einem dicken Fell und humanistischen Werten, die ihre wahrscheinliche Wiederwahl erklären.
Wenn es an der Wiederwahl von Angela Merkel auch kaum einen Zweifel gibt, dann stellen sich viele Zeitungen doch die Frage, mit wem Merkel die nächsten vier Jahre regieren wird. Das gilt auch für viele EU-Partner, die sich neue Impulse aus Berlin wünschen, wie Le Soir bemerkt. "Europa wartet ungeduldig darauf, dass Deutschland sich bewegt", so die Schlagzeile. Das wird aber im Wesentlichen davon abhängen, "mit wem die Chefin Europas regieren wird", fügt das Blatt hinzu. De Morgen scheint ebenfalls einiges zu erwarten: "Mutti hat schon Deutschland gerettet, jetzt fehlt noch Europa".
Auch Le Soir benutzt in seinem Leitartikel den Kosenamen "Mutti" und gibt dieser "Mutti" gleich auch noch den Titel "Anführerin der Freien Welt". In Zeiten, in denen das Schicksal der Welt von den Gemütsschwankungen von Leuten wie Trump, Putin, Erdoğan oder Kim Jong-un abhängt, wirkt das Deutschland der Angela Merkel fast schon wie ein Stabilitätsanker. Für Belgien, gar für Europa insgesamt, ist die Wahl in Deutschland von wegweisender Bedeutung. Europa braucht eine "Führungsnation", die davon überzeugt ist, dass "Deutschland first" nur über internationale Kooperation funktioniert.
"Europa zuerst"
Het Laatste Nieuws formuliert seine Hoffnung in einem Slogan auf Deutsch: "Europa zuerst". Nach der Bundestagswahl kommt die Zeit der Taten. Dann muss Angela Merkel zusammen mit ihren jungen Kollegen Macron oder auch Michel den europäischen Dampfer wieder flottmachen. Herausforderungen gibt es genug. Frau Merkel muss den Beweis erbringen, dass sie es mit ihrem europäischen Engagement ernstmeint. Das beinhaltet auch, dass man in Berlin ein bisschen weniger an sich und auch mal mehr an die anderen denkt. Man denke nur an die ungesunde Außenhandelsbilanz. Oder an die Tatsache, dass deutsche Autobauer nach wie vor Europa mit Dieselfahrzeugen inklusive Schummelsoftware überschwemmen.
Auf der einen Seite kann Europa froh sein, meint Gazet van Antwerpen. Froh und erleichtert darüber, dass es in Deutschland immer noch integre Politiker gibt wie Angela Merkel oder auch Martin Schulz. Denn die populistische Welle hat auch vor Deutschland nicht haltgemacht. Die rechtspopulistische AfD, die von den Linken oft als Nazi-Partei geschmäht wird, wird wohl den Durchbruch schaffen. Umfragen sehen die Partei bei zwölf Prozent; das wären 85 Sitze. Deutschland droht morgen also ein "Schwarzer Sonntag". Das ist wohl in erster Linie eine Folge der Haltung der Bundeskanzlerin in der Flüchtlingskrise. Über ein Thema wird seltsamerweise nicht geredet: Millionen von Deutschen müssen mit 450 Euro im Monat überleben. Das scheint man einfach zu vergessen.
Flügellahm
Es gibt aber auch noch andere Themen heute: "Bummelstreik der Ryanair-Piloten; mit Verspätungen ist zu rechnen", so etwa die Aufmachergeschichte von L'Avenir. Beim Billigflieger Ryanair hängt der Haussegen ziemlich schief. Die Piloten wollen jetzt gegen ihre Arbeitsbedingungen protestieren, indem sie eben Dienst nach Vorschrift machen.
Flügellahm ist sie, meint das Blatt in seinem Leitartikel. Flügellahm ist die Gesellschaft, die die europäische Luftfahrtbranche über Jahre hinweg aufgemischt hat, die Hin- und Rückflüge anbot für den Preis einer Pizza Margarita mit einem Viertelliter Rotwein. Die Krise bei Ryanair wirkt im Moment wie ein Abgesang auf das Lowcost-Modell, für das der Billigflieger stand. Die Zeiten in denen der Ryanair-Chef Michael O'Leary mit seinen Fluggästen und seinem Personal machen konnte, was er wollte, diese Zeiten sind wohl vorbei. Auf die Gefahr hin, dass die Preise steigen werden. Denn auch die Fluggäste müssen einsehen: Wer auf die Niedrigpreise pocht, der akzeptiert das bisherige arrogante Management.
RoP - Foto: Jasper Jacobs, belga