"Das Rentenchaos wird immer nur noch größer", titelt Het Nieuwsblad. Alles dreht sich immer noch um die neue Regelung der Pensionsberechnung für Über-50-Jährige. Ursprünglich stand folgende Maßnahme im Raum: Menschen, die über 50 sind, und länger als ein Jahr arbeitslos, sollte die Rente gekürzt werden. Und zwar um bis zu 140 Euro pro Monat. Die OpenVLD wollte aber plötzlich nichts mehr von der Maßnahme wissen und Kritik gab es auch von den flämischen Christ-Demokraten CD&V. Am Donnerstagabend beschloss das Kernkabinett daraufhin, die Maßnahme erstmal zurückzuziehen. Doch haben die Koalitionspartner da immer noch verschiedene Lesarten. Für die CD&V sind die Pläne "definitiv vom Tisch". Die N-VA hingegen unterstrich, dass die Maßnahme allenfalls auf Eis liegt, nach dem Motto: Aufgeschoben ist nicht aufgehoben.
Das sind ja mal fantastische Neuigkeiten, meint De Morgen mit beißender Ironie. Es gibt also jetzt eine Einigung darüber, dass es keine Einigung gibt über Einigung, auf die man sich eigentlich nie geeinigt hatte. Haben Sie was verstanden? Keine Sorge! Wir auch nicht. Lachen ist gesund. Nur geht es hier leider nicht um die Farbe der Müllsäcke, sondern mal eben um die Zukunft des Rentensystems. Gleich welche Regierung am Drücker ist, für die Bürger ist das immer der ultimative Vertrauenstest. Den hat die Regierung Michel definitiv nicht bestanden.
Die Regierung macht hier das, was sie insbesondere den Sozialisten immer vorgeworfen hat. Wollte diese Regierung nicht alles besser machen? Nach dem Motto: Schluss mit den Frickeleien, jetzt wird mal professionell gearbeitet. Stattdessen legt die Koalition hier einen Schleuderkurs hin. Und weil es hier ausgerechnet um die Altersversorgung geht, sorgt das für Unruhe. Es ist aber von entscheidender Bedeutung, dass Arbeitnehmer daran glauben, dass sie auch in 40 Jahren noch Rente bekommen.
"Was für eine himmelschreiende Leichtsinnigkeit!", tobt auch Het Nieuwsblad. Immer, wenn man glaubt, dass die Regierung Michel tiefer nicht mehr sinken kann, liefert sie erfolgreich den Gegenbeweis. Jetzt sind wir ohne Zweifel an einem Tiefpunkt angelangt. Nach zehn Tagen totaler Kakophonie hat die Regierung zwei Tage über eine Klarstellung beraten. Danach ist die Botschaft aber nur noch diffuser geworden. Herausgekommen ist in jedem Fall die allerschlechteste aller möglichen Lösungen. Keine Reform zur Sicherung der Rentensysteme, das ist mit Sicherheit die Letzte aller Optionen.
Ähnlich sieht das Het Laatste Nieuws. Eine Regierung muss auch schon mal unpopuläre Maßnahmen treffen können. Im vorliegenden Fall kann man zwar leidenschaftlich darüber diskutieren, ob die Reform nun ungerecht ist oder nicht. So wie es jetzt läuft, kann es aber nicht mehr weitergehen. Zwischen den Zeilen steht hier im Übrigen eine desaströse Botschaft: Auch die Regierung scheint davon auszugehen, dass Leute über 50 keinen Job mehr finden. Diese Menschen werden buchstäblich abgeschrieben.
Gazet van Antwerpen glaubt, die Erklärung für das ganze Theater zu kennen. Die Parteien leiden offensichtlich an Wahlkampf-Fieber. Anders ist nicht zu erklären, dass jede Partei inzwischen ihren eigenen Kurs zu fahren scheint. Im Moment kann man nicht mal mehr erkennen, wer nun in der Mehrheit und wer in der Opposition sitzt. Das ist umso befremdlicher, als die nächsten Wahlen frühestens in einem Jahr anstehen. Die Frage ist jedenfalls erlaubt, ob dieses Land in den nächsten Monaten überhaupt noch regiert wird. Die Parteien sollten nicht vergessen, dass die Bürger Taten sehen wollen, effiziente Politik.
Apropos Sommerabkommen. Weil ja offensichtlich selbst die beteiligten Politiker nicht mehr zu wissen scheinen, worauf sie sich Ende Juli geeinigt haben, dröselt L'Echo heute das Maßnahmen-Paket einmal auf. "Welche Konsequenzen haben die Reformen der Regierung für Sie?", so die Schlagzeile auf Seite eins. Der Sonderteil umfasst immerhin 44 Seiten.
Steuer-Diebstahl der Online-Riesen
"Der Steuer-Diebstahl der Online-Riesen", so derweil die Aufmachergeschichte von Le Soir. Auch die Belgier shoppen inzwischen ziemlich viel und ziemlich oft im Netz. Da wird natürlich viel Geld ausgegeben. Der Punkt, schreibt Le Soir: Dieses Geld wandert ins Ausland; und die Steuern, die da anfallen würden, ebenfalls. Heißt: Dem Staat brechen die entsprechenden Einnahmen weg.
Genau hier liegt eine der wichtigsten Herausforderungen der EU, meint das Blatt in seinem Leitartikel. Konkret: Es bedarf einer europaweiten Regelung, die besagt, das Geld, das in einem Land umgesetzt wird, auch eben dort versteuert wird. Beispiel: Wenn ein belgischer Kunde bei Amazon bestellt, dann bekommt er eine Rechnung aus Luxemburg. Unternehmen wie Netflix oder Airbnb haben keine Adresse in Belgien. Es ist nicht, weil Google, Apple, Facebook, Amazon und Co unser Leben einfacher gemacht haben, dass sie dafür keine Steuern zahlen müssen. Die Fiskal-Systeme müssen komplett neu ausgerichtet werden. Das allerdings ist eine Herkules-Arbeit.
Interview mit Maxime Prévot
La Libre Belgique bringt heute ein Interview mit dem CDH-Spitzenpolitiker Maxime Prévot. Der war bis vor Kurzem noch wallonischer Regionalminister, konzentriert sich jetzt aber auf sein Amt als Bürgermeister von Namur. Prévot verteidigt noch einmal die Entscheidung seiner Partei, die PS fallen zu lassen und eine Koalition mit der MR zu bilden. Er plädiert unter anderem für eine Reform des wallonischen Arbeitsamtes Forem, das zu einem "Staat im Staat" geworden sein.
Auf die Frage, ob er sich ein Belgien zu viert vorstellen kann, also mit Ostbelgien als vierter Region, sagt Prèvot kurz und knapp: "Die Idee stört mich prinzipiell nicht." Allerdings müsse erst geprüft werden, ob die Deutschsprachigen über die haushaltspolitischen Möglichkeiten verfügten, um die neuen Zuständigkeiten auszuüben.
Roger Pint - Illustrationsbild: Bild: Siska Gremmelprez/BELGA