"Abschied in Tränen", titeln Het Nieuwsblad, Het Belang van Limburg und La Dernière Heure. "Die mächtigste PS-Politikerin zieht einen Schlussstrich", schreibt De Standaard auf Seite eins. Die Schlagzeile von L'Echo ist ein abgewandelter Song-Titel von Serge Gainsbourg: "Ich bin gekommen, um Ihnen zu sagen, dass ich gehe".
Die PS-Spitzenpolitikerin Laurette Onkelinx hat am Mittwoch ihren Abschied aus der Politik angekündigt. Bis 2019 will Onkelinx all ihre Ämter aufgegeben haben. Für viele kommt der Abgang überraschend. Über ihre Motive blieb die 58-Jährige vage. "Sie will der jungen Generation Platz machen", zitiert L'Avenir die PS-Gallionsfigur. Das allerdings ist allenfalls die halbe Wahrheit. La Libre Belgique verspricht auf Seite eins die "wahren Gründe für den unerwarteten Rückzug von Laurette Onkelinx". Le Soir wird konkreter: "Onkelinx bezahlt für die parteiinterne Krise bei der PS", schreibt das Blatt auf Seite eins.
"Der letzte Schuss von Laurette Mitraillete"
Einige Zeitungen können es sich nicht verkneifen, auf einen Spitznamen anzuspielen, den Onkelinx seit einiger Zeit trägt: "Es ist der letzte Schuss von 'Laurette Mitraillete'", titelt etwa Het Laatste Nieuws; "Mitraillete", das bedeutet ja Maschinengewehr. Im Interview mit den Zeitungen Le Soir und De Standaard wirkt Onkelinx irgendwie fast schon erleichtert, nach dem Motto: Jetzt ist es über die Lippen. Ihre Entscheidungsfindung beschreibt sie so: "Eine unwiderstehliche Kraft hat mir gesagt: Jetzt ist der Moment."
Viele Leitartikler ziehen eine gemischte Bilanz der 30-jährigen politischen Kariere von Laurette Onkelinx. Selbst politische Gegner bescheinigen der Frau ein hohes Maß an Professionalität und Engagement, bemerkt etwa De Standaard. Ihr Talent und ihr Kampfgeist haben aus Laurette Onkelinx eine der wohl einflussreichsten Politikerinnen in Belgien gemacht. Das Parlament wird diese Charakter-Frau vermissen. Allerdings: Der Abgang kommt keine Sekunde zu früh. Onkelinx stand nämlich auch stellvertretend für eine PS, der es einfach nicht gelingen wollte, zukunftsweisende Alternativen aufzuzeigen.
Laurette Onkelinx hat nie jemanden unbeeindruckt gelassen, bilanziert auch La Libre Belgique. Man erinnere sich etwa an die epischen Auseinandersetzungen mit dem damaligen liberalen Premierminister Guy Verhofstadt. Der hat übrigens am Mittwoch die Frau in höchsten Tönen gelobt und dabei vor allem ihre Loyalität hervorgerufen. Wenn man sich einmal mit Laurette Onkelinx geeinigt hatte, dann stand sie nämlich zu ihrem Wort.
Man könnte Vieles über Laurette Onkelinx sagen, meint L'Echo. Etwa, dass sie eine schwere Verantwortung trägt, für die Krise, die ihre Partei durchlebt. Sie hat die Missstände nicht gesehen. Auch die Rolle der Oppositionsführerin hat sie nie wirklich glaubwürdig gespielt, hat zudem mit ihren wortgewaltigen Schimpftiraden dafür gesorgt, dass gewisse drastische Begriffe fast schon banalisiert wurden. Man könnte ihr vieles vorwerfen. Nur eines muss man ihr lassen: Onkelinx hat immer Staatsmännischkeit an den Tag gelegt.
Ein bittersüßer Abgang
Dabei hat sie eines aber sträflich vernachlässigt, meint De Morgen. Transparenz und gute Amtsführung waren ihr offensichtlich nicht wichtig. In diesem Punkt gab sie sich wohl mit dem Status Quo zufrieden. Was in Brüssel schief lief, das hat sie nicht gesehen. Dabei hätte sie es sehen können, sehen müssen. Laurette Onkelinx ist eine schmerzliche Illustration für allzu viele Machtpolitiker, die zu spät, manchmal als Letzte, einsehen, dass ihre Zeit gekommen ist. Das hat sie im Übrigen mit Elio Di Rupo gemeinsam.
Einst personifizierte Laurette Onkelinx den Neuanfang, erinnert sich L'Avenir. Anfang der 90er Jahre, als die PS im Sumpf der Agusta-Dassault-Affäre versank, brachte die junge Onkelinx frischen Wind, zumal sie auch noch aus Lüttich kam. Jetzt, 25 Jahre später, wird sie selbst durch eine Affäre mitgerissen. Im Grunde hatte sie gar keine andere Wahl, als ihre Konsequenzen zu ziehen.
Es ist ein bittersüßer Abgang, so resümiert es Het Nieuwsblad. Auf der einen Seite gebührt Laurette Onkelinx absoluter Respekt. Ihr Abschied ist gemessen an ihrer Laufbahn allerdings unglücklich. Nicht auf dem Zenit, auch nicht kurz nach einer brillanten politischen Karriere, sondern auf dem absoluten Tiefpunkt tritt sie ab. Die Partei, die Onkelinx maßgeblich mitgestaltet und sogar bis zu einem gewissen Maß personifiziert hat, liegt in Trümmern. Während PS-Chef Elio die Rupo auf der Suche nach einer vierten Jugend ist, stürzt die Parti Socialiste ins Bodenlose. Das Ende hätte schöner sein können.
Apropos Di Rupo. In einem Punkt sind sich alle Blätter einig: Irgendwie weist Laurette Onkelinx mit ihrer Entscheidung dem PS-Chef den Weg. Le Soir formuliert es so: "Jetzt wo Laurette weg ist, richten sich alle Blicke auf Elio. In seinem Leitartikel sieht das Blatt im Abgang von Laurette Onkelinx ein Zeichen an der Wand, und zwar für die Sozialdemokraten in ihrer Gesamtheit. Die Parteien sozialistischer Prägung sind in ganz Europa in der Krise. Das wird auf Dauer den sozialen Zusammenhalt unserer Gesellschaften in Gefahr bringen.
Ein träumender Juncker
Zweites großes Thema ist die gestrige "Rede zur Lage der Union" von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. "Die Bürger wollen, dass Europa schneller entscheidet", zitiert Le Soir aus der Rede. Juncker fordert ja unter anderem mehr Mehrheitsentscheidungen, damit nicht einzelne Länder die Beschlüsse immer wieder blockieren können.
Juncker bleibt seinem europäischen Ideal treu, meint La Libre Belgique. So mancher mag seine Vision von Europa als veraltet empfinden, träumerisch. Juncker weiß aber genau: Europa macht nur Fortschritte, wenn es mutig nach vorne blickt.
Roger Pint - Bild: Benoit Doppagne/BELGA