"Die CGSP will die Anti-Michel-Front wiederbeleben", titelt Le Soir. "Alle sind wütend über den 'sinnlosen Bahnstreik'", so die Schlagzeile von Het Nieuwsblad.
Der sozialistische Gewerkschaftsbund FGTB hat für den 10. Oktober zu einem "Aktionstag" aufgerufen. Die CGSP, die sozialistische Gewerkschaft für den öffentlichen Dienst, nahm das zum Anlass, um gleich auch einen Streik bei der nationalen Eisenbahngesellschaft SNCB anzukündigen. Damit will die CGSP unter anderem gegen die Sparpolitik der Regierung und auch gegen die mögliche Privatisierung der Staatsbahn protestieren. Es war der N-VA-Finanzminister Johan Van Overtveldt, der die Idee einer Öffnung des Kapitals der SNCB für einen privaten Partner in den Raum gestellt hatte. Transportminister François Bellot und danach auch Premierminister Charles Michel hatten aber postwendend versichert, dass eine Privatisierung der SNCB derzeit nicht zur Debatte stehe. "Die Gewerkschaften wollen die Bahn wieder mal lahmlegen; doch warum eigentlich?", fragt sich denn auch Het Nieuwsblad.
Aller Dementis zum Trotz gibt die sozialistische Gewerkschaft also wieder mal Vollgas, meint L'Echo in einem giftigen Leitartikel. Es reicht, dass die N-VA auch nur mal ansatzweise mit dem roten Tuch wedelt, um die CGSP dazu zu bringen, wie ein wilder Stier loszupreschen. Damit geht die Gewerkschaft den Nationalisten blindlings in die Falle, liefert quasi frei Haus den Beweis, dass die Gewerkschaften unverantwortlich und damit unnütz sind.
Gewerkschaften machen sich zur Karikatur
Die Bahngewerkschaften machen sich selber zur Karikatur, findet auch Het Nieuwsblad. Da muss nur mal einer das Wort "Privatisierung" in den Mund nehmen, damit die Roten gleich wieder einen Streik vom Zaun brechen. Dabei scheint die Gewerkschaft nicht zu merken, dass der Rückhalt in der Bevölkerung mit jeder neuen Protestaktion weiter schwindet. Im Grunde schadet die CGSP sich selbst und allen Gewerkschaften mehr, als der Regierung Michel. Insofern darf man die CGSP fast schon als Kamikaze-Gewerkschaft bezeichnen.
Die genauen Motive für den Streikaufruf sind unklar, stellt auch Le Soir in seinem Leitartikel fest. Deswegen zwingt sich fast schon der Verdacht auf, dass es sich einmal mehr um rein politischen Streik handelt. Zugleich scheint inzwischen auch den Gewerkschafts-Bossen aufzugehen, dass man gerade dabei ist, seine Sympathien bei der Bevölkerung zu verspielen. Die Verunsicherung insbesondere bei den sozialistischen Gewerkschafts-Führern ist spürbar. Aus diesem Grund ist es gar nicht mal so sicher, dass der Aktionstag vom 10. Oktober wirklich der Auftakt für den viel beschworenen "heißen Herbst" sein wird.
De Morgen wünscht sich seinerseits mehr Kreativität. Es ist wohl ein Zeichen der Zeit, dass immer mehr Bürger jegliches Verständnis für klassische Streikaktionen fehlt. Deswegen ist es jammerschade, dass sich insbesondere die sozialistische Gewerkschaft nach wie vor weigert, einmal über alternative Protestaktionen nachzudenken. Denn eines ist sicher: Jetzt wieder die Bahnreisenden als Geisel zu nehmen, das ist im wahrsten Sinne des Wortes und in höchstem Maße kontraproduktiv.
"Raus aus den Schützengräben!"
Geradezu pünktlich startet Bart De Wever einen "Frontalangriff auf die Gewerkschaften", wie Gazet van Antwerpen auf ihrer Titelseite hervorhebt. Das Blatt veröffentlicht am Donnerstag ein großes Interview mit dem N-VA-Chef. Geführt wurde das Gespräch schon Anfang der Woche, als von einem Bahnstreik also noch keine Rede war. Dennoch lässt De Wever kein gutes Haar an den Gewerkschaften, die, "nur ihren eigenen Nabel im Blick hätten und nicht in die Zukunft schauten".
Könnten sich nicht beide Seiten mal ein bisschen mäßigen, fragt sich Gazet van Antwerpen fast schon fordernd in ihrem Leitartikel. Auf der einen Seite fällt den Gewerkschaften nichts Besseres ein, als gleich wieder einen Streik vom Zaun zu brechen. Und auf der anderen Seite feuert der Vorsitzende der größten Partei des Landes wieder aus allen Rohren auf die Arbeitnehmervertreter. Beides bringt uns keinen Schritt weiter. Wir verlieren allenfalls unsere Zeit. Beide Seiten sollten endlich aus ihren Schützengräben herauskommen.
Keine "stürmischen Umarmungen" im südlichen Landesteil
Apropos Interview. La Libre Belgique bringt am Donnerstag ein Gespräch mit Premierminister Charles Michel zum Auftakt des neuen politischen Jahres. La Libre hebt auf Seite eins eine Kernaussage hervor: "Es wird kein Vermögenskataster geben", sagt der föderale Regierungschef. Die Botschaft richtet sich also an die Gutbetuchten. Michel nimmt auch den CDH-Vorsitzenden Benoît Lutgen in Schutz. Der habe keine Krise ausgelöst, sondern viel mehr insbesondere dem südlichen Landesteil neue Hoffnung gegeben, auf einen wirklichen Neuanfang.
Die Rechnung von Benoît Lutgen ist ja nur sehr bedingt aufgegangen. In der Region Brüssel und in der Französischen Gemeinschaft ist seine CDH bis auf Weiteres dazu verdammt, mit der PS weiter zu regieren. Wie sich das anfühlt, davon konnten sich alle Beteiligten am Mittwoch ein Bild machen, bei der ersten Sitzung der Regierung der Französischen Gemeinschaft nach der Sommerpause. "Stürmische Umarmungen" habe es nicht gegeben, so fasste der PS-Ministerpräsident Rudy Demotte leicht sarkastisch die Atmosphäre zusammen.
Zugegeben, die Situation ist komplex, bemerkt L'Avenir in seinem Leitartikel. Der eine oder andere wird sich da fast schon psychisch verbiegen müssen, bis hin zur Schizophrenie. Schon am Mittwoch hat man gemerkt, wie stark die Rachegelüste insbesondere bei den Sozialisten sind. Allerdings: Glaubt irgendwer, dass man für einen solchen politischen Zirkus am Ende noch Applaus erntet? Vielmehr hat das Publikum von solchen Kindereien gehörig die Nase voll.
Roger Pint - Illustrationsbild: Thierry Roge/BELGA