"Erst Politikstil reformieren, dann neue Koalitionen", titelt Le Soir. "Die großen Stunden des Verrats in der belgischen Politik", schreibt La Libre Belgique auf Seite eins. Und Schlagzeile bei De Morgen: "Krise jenseits der Sprachengrenze".
Die politische Situation im französischsprachigen Landesteil beschäftigt auch viele Kommentare. Am vergangenen Montag hatte CDH-Präsident Benoît Lutgen die Regierungsbeteiligungen mit der PS aufgekündigt und damit eine politische Krise ausgelöst.
Dazu schreibt De Morgen: Nach einer Woche mit viel Aufregung und politischem Getöse ist eigentlich erst eins klar, nämlich, dass nichts klar ist. Höchstens, dass dieser Coup von Benoît Lutgen das Ende des PS-Staats bedeuten könnte. Das erinnert an das Ende des CVP-Staats im Norden des Landes.
Damals hatte der Wähler das Ende herbeigeführt. Das hat nicht alles verbessert in Flandern, und auch die neuen Politiker haben schnell den Weg in die Hinterzimmer der Macht gefunden. Aber immerhin gibt es seitdem mehr als eine Machtoption.
Das Spiel zwischen Regierung und Opposition funktioniert. Das hat der Regierungskultur gutgetan. So eine Gesundung könnte auch dem frankophonen Landesteil nützlich sein, meint De Morgen.
Gazet van Antwerpen wertet in ihrem Kommentar eine Umfrage von RTL im südlichen Landesteil aus und notiert: Die Umfrage fördert viele interessante Tatsachen zu Tage. Unter anderem diejenige, dass Arbeitnehmer aus Bastogne gerne in Luxemburg arbeiten, wo sie 1.000 Euro netto mehr verdienen und später auch 1.000 Euro mehr Rente bekommen.
Das hat nichts direkt mit Politik zu tun, aber es öffnet die Augen. Unsere Politiker sollten sich lieber um Steuersenkungen und die wirklichen Prioritäten der Menschen kümmern als um ihre eigenen Machtspielchen und Nebenverdienstmöglichkeiten, schimpft Gazet van Antwerpen.
Für PS-Machterhalt: FGTB nimmt Urlauber ins Visier
Ähnlich empört gibt sich La Libre Belgique – aber aus einem anderen Grund – und führt aus: Als Protest gegen die Entscheidung von Benoît Lutgen will die Gewerkschaft FGTB am Freitag jetzt einen großangelegten Streik organisieren. Ja, tatsächlich am kommenden Freitag, dem Start in die Ferien. Und wer wird darunter leiden? Benoît Lutgen? Nein. Aber die Bürger, die ungeduldig auf diesen 30. Juni warten, um ihren wohlverdienten Urlaub zu beginnen. Vielen Dank, FGTB!, wettert La Libre Belgique.
Ebenfalls zur Streikankündigung der sozialistischen Gewerkschaft schreibt L'Avenir: Nachdem die Sozialpartner zunächst erstaunt und etwas ungläubig die neue Situation zur Kenntnis genommen haben, macht sich jetzt Sorge breit. Der Sprengmeister Lutgen kann darin ein Zeichen sehen, dass sein Vorhaben Chancen auf Erfolg hat.
Aber er kann auch schon erkennen, dass er mit großem Widerstand der wallonischen Gewerkschaften rechnen muss, wenn er sich auf das Abenteuer einer Koalition mit den Liberalen einlässt, analysiert L'Avenir.
Maßnahmen gegen die Ämterhäufung
Die Wirtschaftszeitung L'Echo beschäftigt sich mit der Debatte um das Ende der Ämterhäufung und führt aus: Wäre das eine heilsame Maßnahme? Nur auf den ersten Blick. Dass ein Paul Magnette nicht gleichzeitig Minister und Bürgermeister einer großen Stadt sein kann, scheint logisch. Dass ein Dorfbürgermeister nicht gleichzeitig Abgeordneter sein darf, leuchtet hingegen weniger ein.
Die Abschaffung der Ämterhäufung würde auch bedeuten, dass es mehr Mandatsträger geben würde, also auch höhere Kosten. Genau das Gegenteil von dem, was wir brauchen. Eine gute Maßnahme wäre außerdem, die Zahl der Mandate zeitlich zu begrenzen. Aber die Kombination dieser beiden Maßnahmen, also weniger Mandate und zeitliche Begrenzung, wird momentan leider kaum diskutiert, bedauert L'Echo.
Soldaten auf den Straßen und europäische Verteidigung
De Standaard greift die Debatte um Soldaten auf den Straßen auf und meint: Auch der missglückte Anschlag in Brüssel diese Woche hat keine Antwort auf die Frage geliefert, ob mehr oder weniger Soldaten auf den Straßen gut wären. Fakt ist: Das Militär leidet unter dieser Aufgabe. Und die Militärführung hat dies jetzt auch ausdrücklich gesagt.
Im Sinne der Polizei kann es auch nicht sein, dass Soldaten langfristig die Aufgaben der Polizei erledigen. Es müsste also eine Reform bei der Polizei her. Denn zu wenige Polizisten haben wir nicht. Es geht eher darum, wie und wozu sie eingesetzt werden. Und das ist eine Aufgabe der Politik, findet De Standaard.
Le Soir kommt auf den Beschluss des EU-Gipfels zurück, im Militärbereich eine "ständige strukturierte Zusammenarbeit" zu etablieren und schreibt: Noch ist gar nicht klar, wie diese Zusammenarbeit aussehen, welche Elemente sie umfassen und welchem Zweck sie dienen soll.
Die politische Botschaft ist zwar klar, nämlich: Die EU möchte sich die Möglichkeit geben, eine strategische Autonomie zu schaffen, sich gegenüber den USA abzugrenzen. Doch welcher politischen Macht diese neue militärische Struktur unterstellt sein soll, welchen Willen sie mit Waffengewalt durchsetzen soll, ist völlig offen.
Die Einigung auf diese militärische Zusammenarbeit ähnelt der Erschaffung des Euros. Man lanciert etwas, um die Gemeinschaft zu stärken, aber bis zum Ende gedacht ist das noch nicht, resümiert Le Soir.
kw - Bild: Bruno Fahy (belga)