"Attentat am Brüsseler Zentralbahnhof", titelt La Libre Belgique. "Brüssel wird erneut Ziel eines Anschlags", so die Schlagzeile von La Dernière Heure. "Ein Terrorakt sorgt für Panik im Zentrum der Hauptstadt", schreibt Le Soir auf Seite eins. "Ein Terrorist schreckt den Brüsseler Hauptbahnhof auf", notiert De Morgen.
Drastische Schlagzeilen heute. Ausnahmslos alle Zeitungen haben es geschafft, den spektakulären Zwischenfall gestern Abend im Zentralbahnhof noch auf die Titelseiten zu heben. Gegen 20:30 Uhr hatte sich im Zwischengeschoss eine Explosion ereignet. Viele Blätter bringen heute ein Foto, das eine helle Stichflamme zeigt. Das Bild hat ein Augenzeuge durch Zufall geschossen. Es zeigt offenbar den Zeitpunkt der Explosion. Wie unter anderem Het Nieuwsblad berichtet, war es wohl ein Rollkoffer, der da explodiert ist.
Die zur Bewachung des Bahnhofs abgestellten Soldaten haben aber schnell und geistesgegenwärtig reagiert: "Soldaten haben Terroristen im Zentralbahnhof niedergeschossen", schreiben De Standaard, Het Laatste Nieuws und L'Avenir auf Seite eins. Het Belang van Limburg präzisiert: "Die Soldaten haben einen Anschlag vereitelt", schreibt das Blatt. "Die Soldaten haben Schlimmeres verhindert", unterstreicht auch Het Nieuwsblad. Anscheinend hatte der Mann nämlich noch eine größere Bombe bei sich, die nicht explodiert ist. "Es gab viel Lob für die Soldaten", hält Gazet van Antwerpen fest.
Der Täter ist jedenfalls seinen Schussverletzungen erlegen. Es soll sich um einen 30- bis 35-jährigen Mann handeln. "Als er die Explosion auslöste, rief er 'Allahu akbar'", sagen Augenzeugen in vielen Zeitungen. Die Tat wurde noch am Abend von der Föderalen Staatsanwaltschaft als "Terrorakt" eingestuft.
Schluss mit den ideologischen Scheingefechten!
Die Bedrohung ist ungebrochen, konstatiert La Libre Belgique in ihrem Leitartikel. Und es grenzt an ein Wunder, dass es gestern Abend im Zentralbahnhof keine unschuldigen Opfer gab. Und das haben wir offensichtlich den Soldaten zu verdanken. Damit hat sich die Diskussion über Sinn und Unsinn der Militärpräsenz in den Straßen wohl erübrigt.
Unsere Soldaten haben den Beweis erbracht, dass sie perfekt auf solche Extremsituationen trainiert und vorbereitet sind, lobt La Dernière Heure. Eine falsche Entscheidung und es gibt Menschenleben zu beklagen. Man mag es bedauern, aber diese Jungs werden wohl noch für längere Zeit zum Stadtbild gehören.
Und jetzt wäre es auch an der Zeit, endlich mal mit den ideologischen Scheingefechten aufzuhören, fordert De Morgen. Könnten bitte die Linken endlich mal zugeben, dass die Anwesenheit von Soldaten etwa in Bahnhöfen lebensrettend sein kann? Zugleich sollten aber auch die Rechtskonservativen aufhören, bei jedem Zwischenfall gleich die Sicherheitsschraube noch stärker anziehen zu wollen. Das Letzte, was die Bürger jetzt sehen wollen, das sind Politiker nebst Anhang, die versuchen, aus einem Ereignis wie diesem Kapital zu schlagen.
Erst der Bauchtanz, dann die Koalition
Der vereitelte Anschlag im Zentralbahnhof hat eine zweite Geschichte mit Titelseitenpotential in den Hintergrund gedrängt: "Lutgen bekommt seine Regierungen ohne die PS nicht geschenkt", bemerkt etwa Het Laatste Nieuws auf Seite eins. Tatsächlich haben die bisherigen Oppositionsparteien bislang wenig Enthusiasmus gezeigt, um alternative Mehrheiten auf die Beine zu stellen. CDH-Chef Benoît Lutgen hatte ja am Montag den Stecker gezogen und die Koalitionen mit der PS in der Wallonie, in Brüssel und in der Französischen Gemeinschaft aufgekündigt.
Es sind vor allem die kleineren Fraktionen von Ecolo und DéFI, die sich im Moment noch zieren. Allen voran der DéFI-Vorsitzende Olivier Maingain legt die Messlatte hoch. Von der CDH und auch von der MR verlangt er, dass sie die Mitglieder aufs Abstellgleis stellen, gegen die die Justiz ermittelt. Konkret nennt er Joëlle Milquet und Armand De Decker.
"Maingain gibt den weißen Ritter und verlangt eine öffentliche Erniedrigung", so bringt es De Standaard auf den Punkt. Auch die Grünen haben durchblicken lassen, dass sie sich längst nicht zu allen Bedingungen auf eine Koalition einlassen wollen. "Wir lassen die CDH erstmal einen Bauchtanz aufführen", so formuliert es ein ungenannter Beteiligter in L'Echo.
"Unbegreiflich!"
Viele Leitartikler reagieren mit einer Mischung aus Verzweiflung und Kopfschütteln auf die jüngsten Entwicklungen. Der frankophone Politikbetrieb hat gestern eine ohrenbetäubende Kakophonie veranstaltet, beklagt etwa Le Soir. Das erhöht noch einmal den Druck auf Benoît Lutgen. Ohne rasche Lösungen könnte ihm seine waghalsige Aktion zum Verhängnis werden. Denn der frankophone Landesteil braucht jetzt eine Perspektive, und zwar schnell.
Wir haben keine Zeit zu verlieren, warnt auch L'Echo. Insbesondere die Wallonie kann sich eine lähmende Krise nicht leisten. Gerade jetzt muss man die gute Konjunktur mitnehmen.
"Unbegreiflich!", empört sich derweil Het Belang van Limburg. Es sieht also tatsächlich so aus, als hätte Lutgen hier einfach den Stecker gezogen, ohne sich im Vorfeld auch nur im Ansatz um Alternativen bemüht zu haben. "Die totale Improvisation", wettert auch L'Avenir. Das Einzige, was Lutgen jetzt noch hoffen kann, das ist, dass das dissonante Getröte nicht noch lauter wird.
De Standaard stellt sich schließlich immer noch die Frage, wie es so weit kommen konnte. Es ist ja beileibe nicht der erste Skandal, der insbesondere die Sozialisten erschüttert. Und immer dachte man, dass man das Übel nun endlich an der Wurzel gepackt hatte. Es gibt aber einen Trost: Der Hebel, über den wir Bürger alle verfügen, der ist stärker denn je. Die jüngsten Wahlen in Frankreich haben es gezeigt: Eine Partei kann tatsächlich einfach so von der Bildfläche verschwinden.
RoP - Foto: Laurie Dieffembacq, belga