"Die EU darf sich nicht kaputtsparen", titelt die flämische Tageszeitung De Standaard und kommt auf die am Mittwoch vorgestellten Reformpläne der EU-Kommission zurück. Die möchte die Eurozone vertiefen und krisenbeständiger machen. Dazu gehört unter anderem, dass die Staaten auch in Krisenzeiten investieren. Oder ein europäischer Fonds, bei dem sich die Mitgliedsstaaten rückversichern können, sollte die Arbeitslosigkeit stark zunehmen. Oder beispielsweise die gemeinsame Ausgabe von europäischen Schuldtiteln.
Dazu meint die Zeitung: Das Papier der EU-Kommission beinhaltet Vorschläge, die bis vor Kurzem noch tabu waren. Nach einer kritischen Betrachtung der viel zu harten Sparpolitik in verschiedenen Mitgliedsstaaten und der daraus resultierenden Verarmung liefert die Kommission einen ganzen Haufen Ideen, die zeigen, dass Europa diese Gelegenheit ergreifen will, den Integrationsmotor noch einmal anzuwerfen.
Doch der Weg ist noch lang, so die Zeitung. Gefragt sind mehr Solidarität und weniger Souveränität. Das geht nicht ohne Annäherung. Was nicht das gleiche ist wie Harmonisierung. Man kann das Ganze vergleichen mit Bergsteigerseilschaften: Wer unterwegs strauchelt, muss aufgefangen werden. Aber jeder Teilnehmer hat die Pflicht, fit und gut vorbereitet zu sein, fordert De Standaard.
"Jetzt ist der Moment", schreibt die Wirtschaftszeitung L'Echo zum selben Thema. Jetzt muss die Eurozone den großen Sprung nach vorne machen. Die Gründerväter des Euro hatten nicht die Kraft zur politischen Union, die ja für das Gleichgewicht innerhalb der Währungsunion notwendig wäre.
Die Euroländer benötigen eine gemeinsame Kasse, um öffentliche Investitionen zu unterstützen, wenn die Wirtschaft schwächelt. Sie brauchen einen richtigen europäischen Finanzminister, der vor dem EU-Parlament Rechenschaft ablegen muss, um damit die getroffenen Entscheidungen demokratisch zu legitimieren.
Soweit wie mit ihren Vorschlägen vom Mittwoch ist die EU-Kommission noch nie gedanklich gegangen. Jetzt müssen die Mitgliedsstaaten dringend diese Debatte führen und so den Bürgern zeigen, dass ihre Union zu mehr Kohärenz und Transparenz fortschreitet. Und auch zu mehr Vertrauen. Es ist ohne Zweifel die letzte Chance, mahnt L'Echo.
Trump gegen die Klima-Koalition der Willigen
"Beendet Trump das Klimaschutzabkommen von Paris?", fragt sich De Morgen und meint: Zieht sich die größte Industrienation der Welt aus dem Rettungsplan zurück, dann ist das die schlechteste Nachricht seit Jahren. Nicht nur würden die Paris-Ziele damit schwieriger zu erreichen sein, auch die Gefahr, dass andere zweifelnde Länder eine laxere Haltung einnehmen, würde größer.
Man kann nur hoffen, dass jemand Trump noch deutlich machen kann, dass ein Paris-Exit auch für die USA besonders gefährlich ist. Denn das Einzige, was die europäischen Länder dann tun können, ist, die Kontakte mit Pro-Paris-Ländern zu intensivieren – und so eine Koalition der Willigen zu bilden.
China und Kanada haben bereits zu verstehen gegeben, dass sie die Klimavereinbarungen einhalten wollen. Wenn jetzt noch aufstrebende Volkswirtschaften wie Indien, Brasilien und Indonesien dieser Koalition beitreten, könnte eine neue wirtschaftliche Ordnung entstehen. Länder, die sehr wohl auf hochtechnologische, klimaneutrale Wirtschaft setzen, die Arbeitsplätze schafft.
Wenn Trump aus Paris aussteigt, setzt er nicht nur sich selbst aufs Spiel, sondern auch Hunderte grüne amerikanische Unternehmen und Zehntausende Arbeitsplätze, warnt De Morgen.
Ähnlich sieht es auch Het Laatste Nieuws: Jetzt schon schaffen Sonne, Wind und Wasser in Amerika mehr Jobs als Kohle und Gas. Mit einem Ausstieg aus dem Klimaschutzabkommen schadet Trump höchstwahrscheinlich mehr seiner eigenen Wirtschaft als dem Klima. Denn das erwärmt sich sowieso – mit oder ohne ihn. Trump ist dabei nur ein Detail, irgendetwas hinter dem Komma, so Het Laatste Nieuws.
Kasachgate vs. Ferienpläne
La Libre Belgique beschäftigt sich in ihrem Leitartikel mit dem Kasachgate-Ausschuss: Die Mehrheit aus MR, N-VA, CDH und OpenVLD möchte alle Zeugen in einem Rutsch bis zum Beginn der parlamentarischen Ferien am 21. Juli vernehmen. Doch Transparenz darf sich nicht einem Kalender unterordnen, so die Zeitung. Transparenz verlangt Seriosität und gute Arbeit. Egal, ob der Terminplan eingehalten wird, oder nicht.
Vor allem betrifft das die Anhörungen von Didier Reynders und Stefaan De Clerck, die Anfang Juli geplant sind. Die Mehrheit mag das Gegenteil behaupten, aber es ist klar, dass der Beginn der Sommerferien die Resonanz in den Medien und bei der Bevölkerung dämpfen wird.
Kasachgate ist keine leichte Urlaubslektüre, die man am Strand dösend in der Sonne liest. Es ist wahrscheinlich der bislang größte Staatsskandal in Belgien seit der Agusta-Affäre. Wenn die Mehrheit tatsächlich Licht in die Akte bringen will, dann ohne Zeitdruck, verlangt La Libre Belgique.
Die Scheinheiligkeit hinter dem wallonischen Glyphosatverbot
L'Avenir kommentiert das ab dem 1. Juni geltende Verkaufsverbot von Glyphosat in der Wallonie: Die Nutzung von Glyphosat ist in der Landwirtschaft weiterhin erlaubt. Das bedeutet: Falls das Molekül tatsächlich krebserregend ist, dann nimmt man es mit jedem Butterbrot und jeder Kartoffel in den Körper auf.
Die Logik dahinter muss man schon suchen. Mit dem Verbot für Privatpersonen ist die wallonische Regierung inkohärent. Und scheinheilig: Sie verschafft sich ein gutes Gewissen und präsentiert sich dem Bürger gegenüber als Garant seiner Gesundheit, während sie gleichzeitig die Lobbyinteressen der Landwirtschaft und der Chemieindustrie wahrt, kritisiert L'Avenir.
vk - Bild: Sascha Steinach (dpa)