Dreh- und Angelpunkt der Inlandspresse sind die spektakulären Hausdurchsuchungen im Zusammenhang mit Pädophilie-Vorwürfen gegen Kirchenmänner, sowohl am Sitz des Erzbistums in Mechelen als auch bei Kardinal Danneels.
Sogar bei der Kommission Adriaenssens, die sich im Auftrag der Kirche mit Fällen von Kindesmissbrauch durch Priester oder Ordensleute befasst, wurden fast 500 Akten beschlagnahmt.
Pädophilie-Vorwürfe: Heart of Darkness…?
Sämtliche Zeitungen unterstreichen den großen Aufwand, mit dem die Justiz ihre Ermittlungen durchführte. Sogar der Computer von Kardinal Daneels wurde beschlagnahmt und in der Kathedrale von Mechelen die Krypta, die die Gräber verstorbener Kardinäle beherbergt, aufgebrochen. Daher wohl der Titel in L'avenir: "Das Herz der Kirche Belgiens im Visier der Justiz". Nicht weniger als 30 Ermittler waren mit Spezialwerkzeug und mehreren Lastwagen an der Aktion beteiligt, so hebt die Zeitung hervor.
Durchsuchungen am Bischofssitz und bei Kardinal Danneels
Nach Darstellung des Belang van Limburg gingen die Hausdurchsuchungen nicht auf eine gerichtliche Pädophilie-Klage zurück, sondern auf einen einfachen Hinweis, dass die katholische Kirche eine gewisse Anzahl von Akten über den sexuellen Missbrauch Minderjähriger durch Priester angeblich zurückgehalten hat. Dieser Hinweis kam wahrscheinlich von einem dissidenten Priester, der seit Jahren bereits Pädophilie-Opfer begleitet, und der Kardinal Danneels beschuldigt, dass er seine entsprechenden Hinweise an ihn nicht weiterverfolgt hat.
Überreaktion oder gerechtfertigte Justizaktion?
Gazet van Antwerpen spricht von einer Überreaktion der Justiz, die höchstens zu rechtfertigen sei, wenn diese wirklich über äußerst schwerwiegende Anschuldigungen verfüge, denn ohne solche sei der gestern betriebene Aufwand nicht zu rechtfertigen.
Het Laatste Nieuws schreibt unter dem Titel "Schwarzer Humor in der Kathedrale", das Vorgehen der Ermittler war wohl deutlich übertrieben. Sogar die Kathedrale zu durchkämmen, die Bischöfe, die sich zufällig zu ihrem monatlichen Treffen in Mechelen aufhielten, den ganzen Tag festzuhalten und ihnen solange ihr Handy abzunehmen, das hatte wohl kaum etwas mit dem Zweck dieser Durchsuchung zu tun. Besonders schlimm ist jedoch nach Auffassung der Zeitung, dass die Justiz auch fast 500 Aktenstücke bei der Kommission Adriaenssens beschlagnahmte, die seit Jahren Pädophilie-Fälle im Auftrag der Kirche untersucht, und der sich gerade in jüngster Zeit Hunderte von Opfern anvertrauten, die Gehör und Verständnis suchten, aber keine gerichtliche Klage einreichen wollten. Diesen Personen gegenüber droht jetzt ein nicht wieder gut zu machender Vertrauensbruch.
Auch Kommission Adriaenssens betroffen
Genau dies beurteilt De Morgen allerdings vollkommen anders. Dazu heißt es unter anderem, das Gericht betrachtet die Kommission Adriaenssens als einen Versuch der Kirche, sexuelle Vergehen von Kirchenmännern sozusagen hausintern zu regeln und der weltlichen Justiz vorzuenthalten. Deshalb kann man dem gestrigen Auftreten der Ermittler nur zustimmen. Die katholische Kirche Belgiens muss lernen, dass sie nicht allein sich selbst gegenüber verantwortlich ist. Jedenfalls beweisen die Hausdurchsuchungen, dass das Gericht nicht allein die Täter jagt, sondern auch und vor allem die Verantwortlichen in der Kirche, die sie über Jahre hinweg in Schutz genommen haben.
Ein ähnliches Urteil fällt auch die Brüsseler Zeitung Le Soir, wenn sie schreibt, die katholische Kirche hatte offenbar geglaubt, dass sie ihre schmutzige Wäsche sozusagen hausintern waschen könne. Über Jahre hinweg herrschte über das sexuelle Fehlverhalten von Kirchenmännern das Gesetz des Schweigens. Durch dieses Verhalten hat sie sich eine der schlimmsten Vertrauenskrisen ihrer Geschichte sozusagen selbst eingebrockt. Die gestrigen Durchsuchungen zeigen, dass die Justiz nicht der Kirche die Aufklärung von Missbrauchsfällen überlassen will, sondern sich dieser Aufgabe lieber selbst annimmt. Auch die Kirche selbst kann dadurch nur gewinnen, so schlussfolgert Le Soir.
Kirche in selbstgemachter Vertrauenskrise
La Libre Belgique zieht aus dem Ganzen zwei wesentliche Schlussfolgerungen. Das spektakuläre Vorgehen der Justiz ist nichts weiter als die logische Konsequenz der in jüngster Zeit stark gestiegenen Anzahl von Anzeige gegen Angehörige der Kirche wegen sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen. Insofern tut die Justiz nichts weiter als ihre Pflicht. Zum anderen handelt es sich dabei allerdings eindeutig um eine einen schweren Schlag gegen das Ansehen der katholischen Kirche Belgiens, denn die Durchsuchungen lassen vermuten, dass die katholische Hierarchie nach wie vor nicht bereit ist, die Pädophilievergehen von Kirchenmännern schonungslos offenzulegen und sie der Justiz zu übermitteln.
Letzteres ist jedoch nach Ansicht von De Standaard die unerlässliche Vorbedingung zu der von Erzbischof Léonard noch kürzlich versprochenen Offenheit und Transparenz. In diesem Sinne ist die gerichtliche Untersuchung nur normal, doch sollte man sich hüten, daraus eine Hexenjagd zu machen.
Bild: belga