"Anschlag auf linken Promi überschattet Kundgebungen zum ersten Mai", titelt Gazet van Antwerpen. "Blutroter erster Mai in Lüttich", schreibt De Standaard. "Ein Messerstich und eine heldenhafte Reaktion", so La Dernière Heure auf Seite eins.
Der Messerangriff auf den Ex-Sprecher der linken Arbeiterpartei PTB, Raoul Hedebouw, gestern in Lüttich bei einer Kundgebung zum ersten Mai beschäftigt heute die meisten Zeitungen auf ihren Titelseiten. In ihren Kommentaren gehen sie darauf ebenso ein wie allgemein auf die politischen Botschaften der Mai-Kundgebungen.
L'Avenir meint zur Attacke: Raoul Hedebouw hat das alles noch locker genommen. Scherzend hat er gemeint: "Jetzt habe ich ein Loch in meiner Jeans". Trotzdem dürfen wir diesen Angriff nicht verharmlosen. Egal, ob man den Sprecher der PTB mag oder nicht, die Attacke ist inakzeptabel. Wir haben es hierbei nicht mehr mit symbolischer Gewalt zu tun. Ein Messer im Bein, das ist keine Sahnetorte im Gesicht eines Politikers, keine Mehldusche auf Kopf und Anzug, kein Shitstorm in sozialen Medien. Hier handelt es sich um direkte physische Gewalt und damit um eine Straftat, betont L'Avenir.
La Dernière Heure führt aus: Raoul Hedebouw hat heldenhaft reagiert. Er hat sich durch den Angriff nicht klein kriegen lassen. Er ist trotz Verletzung ans Mikrofon gegangen und hat gesagt: "Auch wenn man uns angreift, bringt man uns nicht zum Schweigen." Darüber hinaus hat der Angriff aber auch noch einmal gezeigt: Politik ist gewalttätig. Aber sonst? Ein fast gewöhnlicher 1. Mai. Die PS träumt ihren sozialen Gleichheitstraum, CDH, Ecolo und DéFi denken über eine gemeinsame Zukunft nach, die MR verspricht mehr Kaufkraft – alles wie gehabt, bilanziert La Dernière Heure.
Die Sozialisten im Tal der Tränen
Das sehen andere Zeitungen anders. Het Laatste Nieuws schreibt: Armer Elio Di Rupo. Der 1. Mai sollte für seine PS eine Art Neuanfang sein nach all den Skandalen der vergangenen Wochen, Stichwort "Publifin". Monatelang hatte Di Rupo also Brainstorming gemacht, um neue und weniger neue Ideen zu finden, die er schön am 1. Mai präsentieren konnte. Und dann kommt so ein Irrer daher und sticht dem Knuddel-Kommunisten Raoul Hedebouw ins Bein. Das war es dann mit den Kameras und den Schlagzeilen für Di Rupo, so Het Laatste Nieuws.
Auch andere Zeitungen sehen die Sozialisten im Tal der Tränen. De Standaard führt aus: Die PS hatte gestern wenig Grund zur Freude. Die Skandale rund um die Interkommunalen haben die Partei in eine tiefe Krise gestürzt. Bei der flämischen Schwesterpartei SP.A sieht es nicht besser aus. Sie leidet, wie die meisten sozialdemokratischen Parteien Europas, unter schwindender Zustimmung der Bevölkerung. Auch wenn Parteichef John Crombez für seine Partei das Gegenteil behauptet, bemerkt De Standaard.
Ein vernichtendes Zeugnis stellt auch Gazet van Antwerpen den Sozialisten aus und schreibt: Am Samstag stand in dieser Zeitung: "Das wird der dunkelste 1. Mai für die Sozialisten werden". Am 2. Mai können wir diese Prognose bestätigen. Die Reden zum 1. Mai brachten viele fetzige Sprüche und kämpferisches Geschrei gegen alles, was die Regierung macht. Aber wenig Inspiration. Keinen realistischen Plan für die Zukunft. Und schon gar nicht neue Gesichter, die sich als Hoffnungsträger eignen würden, urteilt Gazet van Antwerpen.
Sozialbonus vs. Tax-Shift
Die Wirtschaftszeitung L'Echo beschäftigt sich trotzdem mit dem Inhalt der Ideen, die gestern vorgetragen wurden und stellt fest: Sowohl die PS als auch die MR wollen die Kaufkraft der Bürger ankurbeln. Die PS möchte das durch einen allgemeinen Sozialbonus von 1.100 Euro im Monat erreichen, quasi eine Erhöhung der Beihilfe. Die MR hingegen setzt weiter auf den Tax-Shift. Von beiden Modellen ist das der MR das bessere. Denn es fördert Arbeit. Und arbeiten trägt zum Selbstwertgefühl der Menschen bei. Das ist wichtig für eine gut funktionierende Volkswirtschaft, meint L'Echo.
Für De Morgen ist der Sozialbonus zu wenig, um die Armut wirklich zu bekämpfen. Die Zeitung kommentiert: Auch bei den Sozialisten fehlt der Wille, ein politisches Programm zur Bekämpfung der Armut aufzustellen. Heutzutage lassen sich damit in Belgien keine Stimmen gewinnen.
Denn jeder aus der Mittelklasse wird sofort fragen: Was bringt das für mein Portemonnaie? Die Antwort ist natürlich: nichts. Und im heutigen gesellschaftlich-politischen Klima ist damit das Programm gestorben. Von Mitte-Rechts-Parteien sind wir so etwas gewohnt. Dass auch linke Parteien sich diesem Geist opfern, ist bedauerlich, findet De Morgen.
In Frankreich gibt es eigentlich keine Wahl
La Libre Belgique schaut auf das Duell zwischen Macron und Le Pen bei den französischen Präsidentschaftswahlen und schreibt: Es ist verständlich, dass Macron nicht jedem gefällt. Unverständlich jedoch ist, dass einige wichtige Persönlichkeiten, Bewegungen und Einrichtungen sich weigern, eine klare Wahlempfehlung für Macron auszusprechen.
Zu diesen gehören Jean-Luc Mélenchon, die katholische Kirche und die Gewerkschaft CGT. Bei der Wahl zwischen einem möglicherweise rechtsextrem geführten Frankreich und einem Frankreich unter Macron dürfte es eigentlich keine Wahl geben, denn es gibt nur eine Wahl: Macron, meint La Libre Belgique.
Kay Wagner - Foto: Nicolas Lambert/BELGA