"Belgien unterstützt Saudi-Arabien in der UN-Kommission für Frauenrechte", schreibt Het Nieuwsblad auf Seite eins. "Peinliche Stimme für die Saudis", titelt De Standaard.
Vor einigen Tagen wurde die UN-Kommission für Frauenrechte neu besetzt. Bei der Gelegenheit bekam Saudi-Arabien einen Sitz in dem Gremium. Die Entscheidung hat schon viel Staub aufgewirbelt; schließlich sind Frauenrechte in der Golfmonarchie quasi inexistent.
Inzwischen verdichten sich aber die Hinweise darauf, dass Belgien die umstrittene Entscheidung mitgetragen hat. Zwar hat Außenminister Didier Reynders das bislang nicht ausdrücklich bestätigt. Allerdings habe der MR-Vizepremier in der Kammer grundsätzlich eine Ja-Stimme verteidigt, was wohl einem Geständnis gleichkomme, schreibt De Standaard.
De Morgen stellt denn auch auf Seite eins eine unbequeme Frage: "Wie dehnbar ist die belgische Moral?". Fakt ist: Die Opposition ist angesichts der vermeintlichen Unterstützung Saudi-Arabiens durch Belgien auf die Barrikaden gegangen. Und selbst innerhalb der Mehrheit sind viele offensichtlich peinlich berührt, wie De Standaard und De Morgen berichten.
Saudi-Arabien vom Bock zum Gärtner
Ausgerechnet Saudi-Arabien!, kritisiert La Libre Belgique in ihrem Leitartikel. Dass ausgerechnet Saudi-Arabien im nächsten Jahr Mitglied der UN-Kommission für Frauenrechte wird, sorgt bei vielen Beobachtern für blankes Entsetzten. Jeder weiß, dass sich das Leben von Frauen in dem Land mit einem Wort zusammenfassen lässt: "Unterwerfung". Und wahrscheinlich hat Belgien also diese Entscheidung mit zu verantworten.
Das schlägt dem Fass den Boden aus, wettert auch Het Laatste Nieuws. Saudi-Arabien in der UN-Kommission für Frauenrechte! Bekloppter geht doch gar nicht! Doch! Man könnte ja auch Nord-Korea zum Vorsitzenden einer UN-Arbeitsgruppe über nukleare Abrüstung bombardieren.
Klar! In der UNO gelten andere Regeln als etwa innerhalb der EU oder bei der Nato. Da muss man aus diplomatischen Gründen auch schon mal eine Fünf gerade sein lassen. Aber alles hat Grenzen, meint HLN.
Wir kennen doch den Schmierstoff, der solche Entscheidungen möglich macht, schreibt Het Nieuwsblad. Hier geht es um Petro-Dollars! Neben Belgien haben gleich vier weitere EU-Staaten ihre demokratischen Prinzipien auf dem Altar ihrer Wirtschafts- und Handelsbeziehungen geopfert.
Und aus denselben Gründen akzeptiert man auch seit Jahren den erwiesenermaßen giftigen Einfluss der Saudis auf unser Zusammenleben und zwar über die "große Moschee" in Brüssel. Die Beziehungen zwischen Belgien und Saudi-Arabien sind ein Musterbeispiel für Doppelmoral so Het Nieuwsblad.
Kasachgate: Was wusste Reynders?
Außenminister Didier Reynders gerät aber auch noch in einer anderen Geschichte zunehmend unter Druck. "Neue Erkenntnisse in der Kasachgate-Affäre weisen auf Didier Reynders", so bringt es De Standaard auf den Punkt. Im Mittelpunkt der Kasachgate-Affäre steht ja der Verdacht, dass das belgische Parlament manipuliert wurde.
Der frühere Senatspräsident Armand De Decker soll – grob zusammengefasst – Straffreiheit für seinen Klienten erwirkt haben, den belgo-kasachischen Geschäftsmann Patokh Chodiev. Das Nachrichtenmagazin Le Vif-L'Express veröffentlicht heute aber neue Dokumente, die darauf hindeuten, dass Didier Reynders mit einigen Akteuren in der Akte mindestens Kontakt hatte. Genau das hatte der MR-Politiker bislang aber bestritten.
Föderalismus ohne Schiedsrichter
Einige Zeitungen kommen zurück auf den anhaltenden Streit über den haushaltspolitischen Fahrplan des Landes. Die Föderalregierung hat sich gestern zunächst nicht mit den Gemeinschaften und Regionen auf eine gemeinsame finanzpolitische Linie einigen können. Streitpunkt ist die Frage, wie strategische Investitionen künftig in den Haushalten verrechnet werden sollen.
Laut EU-Regeln ist eine längerfristige Abschreibung nicht mehr möglich. Dadurch geraten aber Großprojekte wie der geplante Ausbau des Antwerpener Autobahnrings in Gefahr.
Das ist absolut nicht nachvollziehbar, findet Het Belang van Limburg. Oder kennen Sie jemanden, der sein Haus bar bezahlt? Dass man größere Projekte über einen längeren Zeitraum abstottert, ist eigentlich das Normalste der Welt; Unternehmen machen das schließlich genauso. Warum dürfen Regierungen das nicht?
L'Écho analysiert den Streit zwischen den verschiedenen Machtebenen des Landes einmal aus prinzipieller Sicht. In diesem Land, und im Besonderen im so genannten Konzertierungsausschuss, gibt es ein Problem: Es gibt keinen Schiedsrichter.
Es ist eine Eigenheit des belgischen Föderalismus, dass sich Föderalstaat und Teilstaaten auf Augenhöhe begegnen; es gibt keine Normenhierarchie. Heißt also: Im belgischen Cockpit sitzen gleich mehrere Piloten. Das kann auf Dauer nicht funktionieren.
Marine Le Pen als Schreckgespenst
Viele Blätter schauen auch heute nach Frankreich, wo der Wahlkampf auf Hochtouren läuft. In weniger als zehn Tagen findet ja der zweite Durchgang der Präsidentschaftswahl statt; dabei werden sich der Newcomer Emmanuel Macron und die Chefin des rechtsextremen Front National, Marine Le Pen, gegenüberstehen.
Le Pen hatte gestern ihrem Gegner "die Show gestohlen", wie Het Nieuwsblad auf seiner Titelseite feststellt. Macron hatte im nordfranzösischen Amiens eine Firma besucht, die von der Schließung bedroht ist; und plötzlich tauchte dort unangekündigt auch Le Pen auf. Fotos des Zusammentreffens sieht man unter anderem auf den Titelseiten von Het Belang van Limburg und Het Nieuwsblad.
La Libre Belgique ist ihrerseits davon überzeugt, dass der Schlüssel bei den geschlagenen Kandidaten liegt. Entscheidend wird sein, wer seinen Wählern welche Wahlempfehlung mitgibt. Einige weigern sich ja, zur Wahl von Macron aufzurufen, um die rechtsextreme Marine Le Pen zu verhindern.
Genau davor warnt auch L'Avenir in seinem Kommentar. Leute wie der Linksextreme Jean-Luc Mélenchon, die Macron partout nicht unterstützen wollen, spielen mit dem Feuer. Man bestätigt dadurch eigentlich nur Marine Le Pen in ihrer Überzeugung, dass es die viel gerühmte "Republikanische Front" gar nicht gibt.
Europa, das Bollwerk der Demokratien
Für Schlagzeilen sorgt schließlich noch der gestrige Überraschungsauftritt des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban im EU-Parlament. Der für seinen autoritären Regierungsstil kritisierte Premier musste sich heftige Angriffe von Parlamentarier gefallen lassen. "Kalte Dusche für Orban", schreibt denn auch etwa La Libre Belgique.
Gestern hat ja auch die EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn eingeleitet. Das ist eine Botschaft an alle EU-Skeptiker, meint Le Soir in seinem Leitartikel. "Stopp Brüssel", das hört man von der ungarischen Regierung, das hört man auch aus dem Mund von Marine Le Pen.
Zugleich richten aber immer noch Journalisten, Nicht-Regierungsorganisationen oder Hochschuldirektoren aus Ungarn oder Polen Hilferufe an eben dieses Brüssel. All diejenigen, die sich immer wieder die Frage stellen, wofür Brüssel, genauer gesagt die EU-Institutionen, eigentlich gut sind, die sollten sich an eins erinnern: Eben dieses "Brüssel" ist das Bollwerk der Demokratien.
rop - Bild: Fayez Nureldine (afp)