"Charles Michel will neuen Schwung für Regierungskoalition", heißt es fast gleichlautend bei La Libre Belgique und Le Soir. "Jetzt an die Arbeit", so die Schlagzeile von Het Laatste Nieuws. Und De Morgen schreibt auf Seite eins: "Die große Versöhnung – Wie lange wird das halten?"
Zwei Ereignisse bestimmen heute die Schlagzeilen und Kommentare der Zeitungen: Zum einen ist es das Machtwort, das Premierminister Charles Michel gegenüber den Parteiführern seiner Regierungskoalition gesprochen hat. Dadurch will Michel die Föderalregierung wieder handlungsfähig machen.
Zum anderen ist es die zur Schau gestellte Versöhnung der flämischen Parteichefs von N-VA und CD&V. Bart De Wever und Wouter Beke haben - auch auf Druck von Michel - den seit Wochen offen ausgetragenen Konflikt zwischen ihren Parteien für beendet erklärt.
Dazu meint La Libre Belgique: Premierminister Michel hat die Kritik gespürt. Er hat in seiner Regierungskoalition wieder Ordnung hergestellt und die Präsidenten von CD&V und N-VA dazu gebracht, ihre Streitigkeiten beizulegen. Er kündigt frischen Wind für seine Regierung an.
Es wurde auch Zeit. Denn die Legislaturperiode ist noch lange nicht zu Ende und es mangelt nicht an dringlichen Aufgaben. Einfach quasi untätig im Amt zu bleiben bis zu den nächsten Wahlen reicht nicht. An die Arbeit!, fordert deshalb La Libre Belgique.
Ähnlich positiv versucht es Gazet van Antwerpen zu sehen und schreibt: Die Regierung darf nicht glauben, dass die Wähler plötzlich von der Tatkraft der Regierung überzeugt sind. Das kann nur geschehen, wenn jetzt wirklich Resultate geliefert werden.
Zeit genug dafür gibt es noch. Doch dafür müssen sich Michel und Co. jetzt mächtig ins Zeug legen. Wenn sie das machen und Resultate liefern, könnte das die ersten Jahre ihrer Regierungsverantwortung vergessen machen, glaubt Gazet van Antwerpen.
"Klinisch tote" Regierung wiederbelebt
Die Mehrzahl der Leitartikler wertet die Ereignisse allerdings kritischer. Le Soir fragt: Kann sich Charles Michel jetzt beruhigt zurücklehnen und stolz sein auf sein Machtwort? Nicht wirklich, denn der schwierigste Teil liegt noch vor ihm.
Michel muss dafür sorgen, dass der Frieden zwischen N-VA und CD&V von Dauer ist. Das wird eine Herkulesaufgabe sein. Aber nur so kann es gelingen, wirkliche Ergebnisse zu liefern. Besonders im sozioökonomischen Bereich ist das nötig. Hier gilt es, wirkliche Reformen auf den Weg zu bringen und nicht nur bestehende Gesetze ein bisschen zu ändern, so Le Soir.
Ähnlich sieht es Het Laatste Nieuws und führt aus: "Klinisch tot" lautete die Diagnose für die Föderalregierung. Michel hat sie gestern wieder zum Leben erweckt. Nur für kurze Zeit? Oder doch für die vollen zwei Jahre, die der Regierung noch bleiben bis zu den nächsten Wahlen?
Letzteres wäre zu hoffen, ersteres ist zu befürchten. Die Pendeldiplomatie des Premierministers, der Laufbursche in ihm, hat die streitenden Parteien CD&V und N-VA wieder zusammengebracht.
Aber das reicht natürlich nicht. Und es reicht auch nicht, wie gestern geschehen, anzukündigen, dass der Haushalt bald ausgeglichen sein wird. So, wie bei Regierungsantritt versprochen. Allein mit diesen Maßnahmen wird die klinisch tote Regierung nicht langfristig wieder leben, Herr Premierminister, ätzt Het Laatste Nieuws.
Steuerreformen und Regionalismus
Auch De Standaard sieht in der Ankündigung des ausgeglichenen Haushalts für 2019, ein Jahr später als ursprünglich geplant, kein gutes Zeichen für den Neustart der Regierung. De Standaard führt aus: Unsere Nachbarländer haben sich schon im vergangenen Jahr damit beschäftigt, wie sie sich fit machen können für die Zukunft. Unsere Regierung macht es anders.
Der vermeintliche Neustart beginnt mit einem Vorhaben aus 2014. Dabei ist es gar nicht so wichtig, ob der Haushalt jetzt früher oder später ausgeglichen sein wird. Wichtige Weichen für die Zukunft werden woanders gestellt. Nämlich bei den Steuern. Sie müssen gerechter, transparenter und effektiver werden. Das wird unser Land langfristig voranbringen. Hier muss etwas geschehen. Wir warten immer noch darauf, bedauert De Standaard.
Die Wirtschaftszeitung L'Echo sieht den Regionalismus als den wahren Grund für den schlechten Zustand von Belgien und schreibt: Man hatte uns versprochen, alles wird besser durch mehr Kompetenzverlagerung von der Föderal- auf die Regionalebene. Doch was sehen wir? Zahlreiche und nicht enden wollende Streitigkeiten zwischen den Regionen und Sprachgemeinschaften.
Beispiel Fluglärm in Brüssel. Das ist unnötig und lähmt das Land. Deshalb: Ran an die Reformen!, so auch L'Echo, ohne zu präzisieren, welche Reformen es sein sollen.
Endspurt in Frankreich
L'Avenir blickt nach Frankreich und meint: Es ist bemerkenswert, wie moderat die politischen Reaktionen auf die Aushebung der Terrorzelle in Marseille ausgefallen sind. Im Endspurt des Präsidentschaftswahlkampfs hat sich keiner der Kandidaten zu großen Sprüchen hinreißen lassen.
Vorsicht scheint das Gebot der Stunde zu sein. Alle wollen noch die unentschiedenen Wähler für sich gewinnen. Ein verbaler Fauxpas kann da verheerend wirken. Ein irgendwie komisches Ende für einen ungewöhnlichen Wahlkampf, und wahrscheinlich wird das nicht seine letzte unerwartete Episode bleiben, glaubt L'Avenir.
kw - Bild: Johanna Geron (belga)