"Ein Amok-Fahrer versetzt Antwerpen in Angst", so die Schlagzeile von La Libre Belgique. "Verwirrung nach Höllenritt durch Antwerpen", schreibt L'Echo auf Seite eins. Und L'Avenir stellt die Frage aller Fragen: "Wurde in Antwerpen im letzten Moment ein Attentat vereitelt?"
Ein 39-jähriger Franko-Tunesier hat Donnerstag in Antwerpen einen Terroralarm ausgelöst. Er war mit seinem roten Citroën mit hoher Geschwindigkeit über die zentrale Geschäftsstraße der Scheldestadt gerast. Einen Moment lang konnte es so aussehen, als stehe ein Anschlag bevor - nach dem Vorbild der Aktionen in Nizza, Berlin und, gerade am Tag zuvor, in London.
Der Mann konnte später gestellt werden. In seinem Kofferraum wurden diverse Waffen sichergestellt, darunter ein Schrotgewehr. "Er hatte alles, um ein Blutbad anzurichten, aber war das auch sein Plan?", fragt sich Het Laatste Nieuws auf Seite eins. Denn genau hier gibt es inzwischen "ernste Zweifel", wie De Morgen auf seiner Titelseite festhält. Fakt ist nämlich: Der Mann war sturzbetrunken.
Und offenbar versuchte er auch nicht, Passanten zu überfahren. Streng genommen wurde sein Wagen auch nicht von den Sicherheitskräften gestoppt.
Het Nieuwsblad bringt es auf den Punkt: "Der Terrorverdächtige lag im Wagen und wollte seinen Rausch ausschlafen", so die Schlagzeile auf Seite eins. Het Belang van Limburg formuliert es in Form einer einfachen Frage: "War es jetzt ein Trunkenbold oder doch ein Terrorist?"
De Wevers Alleingang: Übereilt? Nachvollziehbar? Kalkül?
Die ganze Geschichte hat in jedem Fall ihre Wirkung nicht verfehlt, wie La Dernière Heure hervorhebt: "Terror: Die Rückkehr der Psychose", so die Schlagzeile. Nicht unwesentlich dazu beigetragen hat der Antwerpener Bürgermeister Bart De Wever, der kurz nach dem Vorfall schon eine Pressekonferenz einberief.
Und das gegen den ausdrücklichen Willen der föderalen Staatsanwaltschaft und des Antiterrorstabs OCAM. Wie Het Nieuwsblad berichtet, erteilte die Antwerpener Justiz dem örtlichen Polizeichef Serge Muyters sogar Redeverbot; der setzte sich aber darüber hinweg.
Allein Gazet van Antwerpen bringt für die eigenmächtige Aktion Verständnis auf: Es ist nachvollziehbar, dass ein Bürgermeister die Wachsamkeit und Reaktionsschnelligkeit seiner Sicherheitskräfte hervorheben will. Schließlich ist ihm ja daran gelegen, dass sich die Bürger seiner Stadt sicher fühlen. Und dazu gehört auch eine entsprechende Informationspolitik, so das Blatt.
Viele andere Zeitungen üben hingegen scharfe Kritik an dem N-VA-Chef: Die Pressekonferenz des Antwerpener Bürgermeisters und seines Polizeichefs war bestenfalls übereilt, meint etwa Het Laatste Nieuws. Und das ist noch diplomatisch ausgedrückt.
De Wever setzte sich über die Meinung sämtlicher Experten, Justizvertreter und Antiterror-Behörden hinweg und suggerierte, dass seine Stadt haarscharf einem Terroranschlag entgangen war. Damit säte er völlig unnötig Unruhe und Angst. Von unseren Behörden dürften wir doch eigentlich erwarten, dass sie sich zurückhalten und erst dann kommunizieren, wenn auch alle Fakten auf dem Tisch liegen.
Tipp: Kommunikation lieber den Profis überlassen
Denn Spekulationen schüren die Angst, hakt auch Het Nieuwsblad ein. Natürlich darf niemand die terroristische Bedrohung kleinreden. Es ist aber noch weniger sinnvoll, das Unsicherheitsgefühl noch zu befeuern. Tipp an Herrn De Wever: Die Kommunikation über derartige Vorfälle, die mehr oder weniger direkt an Terrorismus erinnern, überlässt man lieber den Profis. Und ganz nebenbei: De Wevers Parteikollege Innenminister Jan Jambon sollte sich den Antwerpener Polizeichef mal zur Brust nehmen.
Auch L'Avenir warnt sinngemäß vor einer Massenpsychose: Man darf jetzt nicht gleich überall Terroristen sehen. Natürlich sind gewaltbereite Verbrecher wie der Antwerpener Verdächtige auch keine Waisenkinder. Terrorismus, das ist aber eine ganz andere Kategorie.
Einige Zeitungen sehen hinter der gestrigen Aktion von Bart De Wever ein deutliches politisches Kalkül. Dass der N-VA-Chef gegen alle Widerstände und Warnungen mit seiner Pressekonferenz vorgeprescht ist, das ist kein Zufall, meint etwa De Morgen.
Hier konnte er schnell und einfach politisch punkten. Der Vorfall konnte als Beweis dafür herhalten, wie recht De Wever doch mit seinen politischen Ideen hat. Stichwort massive Präsenz von Polizei und Armee, Stichwort De Wevers Idee eines Ausnahmezustands. Der N-VA-Chef gibt hier den politischen Trittbrettfahrer.
Le Soir sieht das ähnlich: Bevor die Hintergründe geklärt waren, malte der Antwerpener Bürgermeister schon das terroristische Schreckgespenst an die Wand. Damit wollte er auf einen Schlag die massive Präsenz von Sicherheitskräften in den Straßen seiner Stadt rechtfertigen.
Dass die Glaubwürdigkeit der Behörden damit beschädigt wird, nimmt er dabei in Kauf. Denn: Panikmache sorgt auf Dauer dafür, dass niemand die Warnungen mehr ernst nimmt.
Keep calm and carry on
Viele Zeitungen verweisen in diesem Zusammenhang auf den kühlen Kopf der Briten nach dem Londoner Anschlag vom Mittwoch: "Ganz London geht auf die Straße ohne Angst", bemerkt etwa Het Nieuwsblad auf Seite eins. Einige Blätter beschäftigen sich auch mit dem Profil des Attentäters.
Het Laatste Nieuws bringt es auf den Punkt: "Wieder kam ein IS-Soldat aus dem Nichts". "Plötzlich Terrorist", notiert auch Het Nieuwsblad. Damit verbunden eine beängstigende Feststellung: "Gegen eine Aktion wie der vom Mittwoch sind die Behörden machtlos", bemerkt L'Avenir.
La Libre Belgique blickt schon auf morgen, wenn die EU ihren 60. Geburtstag feiert. Am 25. März 1957 wurden die Römischen Verträge unterzeichnet. La Libre bringt dazu zwölf Sonderseiten, mit vor allem zwei Fragen: Was haben wir erreicht? Und wo steuern wir hin?
rop - Bild: Laurie Dieffembacq (belga)