"Der 22. März, für immer der Tag, an dem sich alles veränderte", titelt Het Nieuwsblad. "Ein Jahr danach", so die Schlagzeile von Het Laatste Nieuws. "Belgien vergisst nicht", schreibt La Dernière Heure auf Seite eins.
Vor exakt einem Jahr wurde das Land ins Herz getroffen. Am 22. März 2016 um 07:58 Uhr explodierte die erste Bombe in der Abflughalle des Brussels Airport; kurz danach gab es eine zweite Explosion. Etwa eine Stunde später wurde ein U-Bahnzug in der Metrostation Maelbeek von einer Bombe buchstäblich zerrissen. Bei dem Doppelanschlag kamen 32 Menschen ums Leben, 324 weitere wurden zum Teil schwer verletzt.
De Morgen bringt eine ganz nüchterne Titelseite: Man sieht die Umrisse des Landes, einen roten Punkt, dort, wo sich Brüssel befindet; davor Menschen, die sich gegenseitig den Arm auf die Schulter legen. Auf den Titelseiten von Het
Nieuwsblad und Gazet van Antwerpen ist eine Rose abgebildet, Relikt der improvisierten Gedenkstätte, die über Wochen hinweg an der Brüsseler Börse entstanden war. Heute wird das Leben für einen Moment stillstehen, notiert Het
Laatste Nieuws auf Seite eins. Am Vormittag sind insgesamt drei Gedenkfeiern geplant, erst an den zwei Anschlagsorten, also in Zaventem und Maelbeek, und dann wird am Schuman-Kreisel, im Herzen des Europaviertels, ein Mahnmal eingeweiht zum Gedenken an die Opfer. "Ein Jahr danach, der Tag des Gedenkens", so denn auch die nüchterne Schlagzeile von L'Echo.
"Das Leben ist immer stärker als alles andere"
"Ist der Plan der Terroristen aufgegangen?", fragt sich derweil De Standaard auf Seite eins. Die Zeitung lässt 22 Akteure aus dem politischen und gesellschaftlichen Leben zu Wort kommen, die ein Jahr nach den Anschlägen ein erstes Fazit ziehen. Eine Schlussfolgerung kommt immer wieder: Die Polarisierung der Gesellschaft hat mit Sicherheit nicht abgenommen.
Hinzu kommt, so bemerkt La Libre Belgique: "Drei von vier Belgiern haben Angst vor einem neuen Anschlag". Insofern scheint es den Terroristen zumindest gelungen zu sein, eben Angst und Schrecken zu säen.
Le Soir scheint diesen Feststellungen aber widersprechen zu wollen: "Das Leben ist immer stärker als alles andere". Dies ist auch die Botschaft der Familien der Opfer der Anschläge, die einen gemeinsamen Appell für Toleranz und gegenseitigen Respekt lancieren. Der Ehemann einer getöteten belgo-marokkanischen Frau ruft sogar zu einem "Dschihad der Liebe" auf.
"Nie haben wir so viel Liebe erfahren", sagt auch der Vater einer umgekommenen jungen Frau auf Seite eins von L'Avenir.
Gibt es ein Vor und ein Nach dem 22. März 2016?
Mehr denn je ist es wichtig, dass an einem Tag wie heute die Erinnerung im Mittelpunkt steht, glaubt La Libre Belgique in ihrem Leitartikel. Es gibt Leute, die Gedenkfeiern prinzipiell für langweilig und unnütz halten. Amnesie, Gedächtnisverlust, das ist aber der größte Feind der Geschichte. Jede Gesellschaft muss sich an Tragödien erinnern, um zu verhindern, dass sie sich wiederholen.
Ein Tag wie heute ist aber nicht nur ein Tag der Erinnerung, es ist auch ein Anlass für eine erste Bilanz, sind sich viele Zeitungen einig. De Morgen bringt es in seinem Kommentar auf den Punkt: Gibt es ein Vor und ein Nach dem 22. März 2016? Klar, für die Opfer bestimmt. Doch auch in den Köpfen derer, die nicht unmittelbar von den Anschlägen betroffen waren, hat sich etwas verändert. Ganz tief im Inneren gibt es ein diffuses Angstgefühl, etwa, wenn man die Metro nimmt, oder sich im Flughafen aufhält. Obgleich uns die Vernunft sagt, dass das Risiko, bei einem Autounfall verletzt oder getötet zu werden, bedeutend größer ist. Die Art und Weise, wie wir mit diesem beklemmenden Gefühl umgehen, wird mit entscheidend sein für unsere Zukunft.
Tiefere Gräben, neue Bruchlinien – und Zeit zum Innehalten
Und was ist, wenn wir uns doch vom Hass der Terroristen haben anstecken lassen, fragt sich besorgt Le Soir. In den letzten zwölf Monaten haben sich Gräben eher noch vertieft. In derselben Zeit sind wir in die Welt der Trumps, Le Pens, Orbans und Erdoğans geschlittert. Und die Antworten der demokratischen Politiker auch in Belgien waren längst nicht immer die richtigen. Sagen wir mal so: Kaum jemand wird wohl behaupten, dass sich die dritte Generation der Menschen mit Migrationshintergrund heute besser integriert fühlt als vor einem Jahr.
Het Laatste Nieuws wird konkreter: Es gibt eine neue Bruchlinie in diesem Land. Die verläuft nicht mehr zwischen Flamen und Frankophonen, sondern zwischen Moslems und Nicht-Moslems. Man muss hier den Realitäten mal ins Auge sehen: Beide Seiten begegnen sich mit zunehmendem Misstrauen. Und diese Feststellung ist schlichtweg traurig. Insofern haben die Terroristen durchaus erreicht, was sie wollten.
Ja, es hat sich etwas verändert, glaubt auch L'Echo. Die politische Debatte ist giftiger geworden. In ganz Europa reden wir noch über Sicherheit. Vielerorts haben Populisten Oberwasser, die Dramen wie die Anschläge missbrauchen, um Vorurteile zu bedienen, Sündenböcke zu stempeln und die angebliche Ineffizienz Europas zu brandmarken. Mehr denn je müssen wir unsere Werte von Freiheit, Toleranz und Brüderlichkeit verteidigen.
Die Aufrufe zu Frieden, Solidarität und Toleranz von vor einem Jahr, sie klingen irgendwie nur noch wie ferne Echos, meint auch Het Nieuwsblad. Wie die Blumen, die an der Börse hinterlegt wurden, die längst verwelkt sind. Die Politik hat zwar Antworten geliefert, aber auch häufig genug selbst die Polarisierung angeheizt. Inzwischen läuft jeder Gefahr, sich zu radikalisieren. Ein Tag wie heute bietet uns die Gelegenheit, einmal innezuhalten und darüber nachzudenken, wie es weitergehen soll.
RoP - Foto: Benoit Doppagne (belga)