"Publifin: Der Nebel wird nur noch dichter", titelt Le Soir. "Die Justiz verdächtigt Moreau und Gilles, mit Dokumenten herumzutricksen", so die Schlagzeile von L'Echo.
Die gestrige Anhörung von André Gilles vor dem Publifin-Untersuchungsausschuss begann mit einem Paukenschlag: Kurz vor Beginn der Sitzung war bei der Ausschussvorsitzenden eine Mitteilung der Lütticher Justiz eingegangen. Demnach wird gegen André Gilles und den Nethys-Chef Stéphane Moreau wegen mutmaßlicher Urkundenfälschung und der Vernichtung von Beweisen ermittelt.
Beide sollen, trotz Krankschreibung, in den Räumlichkeiten von Publifin-Nethys gewesen sein, um dort Akten zu manipulieren beziehungsweise verschwinden zu lassen. Het Nieuwsblad resümiert es in einer Frage: "Lagen sie nun krank im Bett oder waren sie dabei, Beweise zu vernichten?"
De Morgen formuliert es beißender: "Zu krank für die Anhörung, aber doch fit genug für Betrug?" Vor dem Ausschuss wies Gilles die Vorwürfe zurück. "Ansonsten lieferte er aber nicht wirklich erhellende Antworten", schreibt L'Avenir sinngemäß auf Seite eins.
Festzuhalten ist immerhin eine Tatsache: "André Gilles tritt zurück", schreiben das GrenzEcho und Het Belang van Limburg. Der PS-Politiker gibt seine Ämter als Publifin-Chef und Provinzabgeordneter auf.
Ein Kreuzweg für die wallonische Politik
Für die wallonische Politik-Landschaft ist dieser Untersuchungsausschuss ein veritabler Kreuzweg, meint resigniert Le Soir in seinem Leitartikel. Der eine oder andere mag es bitterlich bereuen, dass man die Interkommunalen und insbesondere das undurchsichtige Nethys-Publifin-Geflecht nicht an eine kürzere Leine genommen hatte. Mit jeder Anhörung vor der Untersuchungskommission wird jetzt das Image der Politik desaströser. Besonders verstörend ist da die Feststellung, dass offensichtlich die Omertà, also das Gesetz des Schweigens, weiterhin zu gelten scheint.
Schlimmer noch, meint L'Avenir, wie schon seine Mitstreiter stellt sich auch André Gilles als Opfer dar; beklagt etwa das allgemeine "Publifin-Bashing". Und die Tatsache, dass quasi "pünktlich" zu seiner Anhörung neue Vorwürfe auftauchen, mag ihn in dieser Haltung noch bestätigen. Mit dem gestrigen Schmierentheater wurde jedenfalls ein vorläufiger, trauriger Höhepunkt in dieser verrückten Akte erreicht.
Einige Leitartikler heben eben diese neuerlichen Betrugsvorwürfe gegen Gilles und Moreau besonders hervor: Die Mitteilung der Justiz war ein gehöriges Störsignal, meint etwa La Libre Belgique. Wieder einmal wurde der eigentlich vorgesehene Verlauf der Sitzung auf den Kopf gestellt. Problematisch sind da gleich zwei Punkte. Erstens: Bis auf Weiteres steht hier Aussage gegen Aussage, wobei dann die Unschuldsvermutung gilt. Und zweitens: Die Vorwürfe gegen Gilles und Moreau stammen aus einer anonymen Quelle. Niemand hindert andere daran, in den nächsten Tagen ebenfalls Anschuldigungen in den Raum zu stellen und damit die Kommission ins Schwimmen zu bringen.
Die Justiz sollte sich hier ihrer Verantwortung bewusst sein, mahnt L'Echo. Nicht nur, dass solche Vorwürfe den Untersuchungsausschuss destabilisieren, hier geht es auch um die Zukunft der Holding Nethys. Die Frage sei jedenfalls erlaubt, ob es hier nicht eine versteckte Agenda gibt. Konkret: Will jemand erreichen, dass Nethys unter externe Aufsicht gestellt wird?
Da droht aber anscheinend schon wieder ein neuer Skandal: "Ein ehemaliger wallonischer Kabinettschef verdient 600.000 Euro pro Jahr", so jedenfalls die Aufmachergeschichte von La Libre Belgique. Genauer gesagt handelt es sich um einen gewissen Jean-Sébastien Belle, den ehemaligen Chefberater des wallonischen PS-Ministers Jean-Claude Marcourt. Der Mann sitzt in den Verwaltungsräten diverser wallonischer Unternehmen wie der FN in Herstal und des Luftfahrtkonzerns Sonaca.
"Stahlhartes" FOREM lässt VDAB blass aussehen
Bemerkenswerte Schlagzeile auf Seite eins von Het Nieuwsblad: "Die Wallonen sind strenger bei Arbeitslosen als Flandern", schreibt das Blatt auf Seite eins. Infolge von Kontrollen mit Blick etwa auf die tatsächliche Verfügbarkeit von Arbeitslosen hat das flämische Arbeitsamt VDAB rund 700 Sanktionen verhängt. Das wallonische FOREM hat seinerseits 5.000 Arbeitslose bestraft.
Da soll mal einer sagen, die Wallonen würden grundsätzlich beide Augen verschließen, meint Het Nieuwsblad. Im vorliegenden Fall kommen sie eher "stahlhart" daher. Die Vorurteile und Klischees insbesondere der N-VA und der OpenVLD scheinen hier jedenfalls nicht zu greifen. Allerdings: Eine Strafe ist im Grunde eine Niederlage. Erwerbslose wieder ins Arbeitsleben zu bringen, das erreicht man in der Regel nicht, indem man den Stecker zieht.
Türkischer Auslandswahlkampf: Nicht überreagieren
Einige Zeitungen schließlich beleuchten die Problematik um die Wahlkampfauftritte türkischer Politiker im Ausland. De Standaard etwa warnt vor Überreaktionen: Wer hier gleich die Gesetze ändern will, der muss aufpassen, dass er nicht übers Ziel hinausschießt. Ausländische Politiker sind auch bei unseren heimischen Parteien gern gesehene Gäste. Man sollte das Problem denen überlassen, die dafür zuständig sind. Konkret: Wenn es Sicherheitsbedenken gibt, dann ist es Sache der Gemeinden, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen.
Grundsätzlich ist es aber so, macht Gazet van Antwerpen ihrerseits klar: Türkische Politik gehört auf das türkische Staatsgebiet. Und von den türkischstämmigen Mitbürgern hierzulande würde man sich eigentlich wünschen, dass sie sich für die Politik des Staates interessieren, in dem sie wohnen und arbeiten. In jedem Fall ist es höchste Zeit, dass die belgischen Behörden hier klar Position beziehen und diesen Standpunkt dann auch dem Herrn Erdoğan mitteilen.
Roger Pint - Foto: Benoit Doppagne/BELGA