"Bracke out, Sleurs in, Problem gelöst", titelt Gazet van Antwerpen. "Ist die Akte wirklich geschlossen?", fragt sich derweil Het Laatste Nieuws.
Fast alle Zeitungen berichten heute in großer Aufmachung über die Affäre um den Beratervertrag des N-VA-Kammerpräsidenten Siegfried Bracke. Der zog gestern seine Konsequenzen und trat von seinem Posten als Fraktionsvorsitzender der N-VA im Genter Stadtrat zurück.
Das bedeutet, dass er bei den Kommunalwahlen im kommenden Jahr nicht als Spitzenkandidat für seine Partei ins Rennen gehen wird. Bracke übergab gestern den Stab an seine Parteikollegin Elke Sleurs. Die war bislang Staatssekretärin in der Föderalregierung, zuständig unter anderem für Chancengleichheit und Wissenschaftspolitik, stellt ihr Amt aber jetzt zur Verfügung.
Hämische Schlagzeile dazu von Het Laatste Nieuws: "Es ist wohl der unauffälligste Abgang aller Zeiten", frotzelt das Blatt und verweist damit auf die Tatsache, dass Elke Sleurs als Staatssekretärin weitgehend unsichtbar war. Ihren neuerlichen Aufstieg zur N-VA-Bürgermeisterkandidatin in Gent nennt Het Nieuwsblad "den Triumph der grauen Maus".
Die N-VA, eine Partei wie jede andere
"Es ist in jedem Fall der erste Fauxpas der N-VA, notiert Le Soir auf Seite eins. Und der liefert zugleich den Beweis dafür, dass die N-VA inzwischen doch eine Partei wie jede andere ist, führt das Blatt in seinem Leitartikel aus. Nein! Die Partei von Bart De Wever ist doch nicht besser als die anderen.
De Standaard sieht das genauso. Die Magie des Newcomers, die Aura des Underdogs: Puff! Weg! Die Partei, die das System herausfordern wollte, ist den Verlockungen eben dieses Systems erlegen. Die N-VA darf sich inzwischen brav bei den traditionellen Parteien einreihen. Und sie verliert damit ihren größten Trumpf.
Siegfried Bracke sorgte derweil gestern bei seiner Pressekonferenz für Verwunderung, als er angab, dass er seit 2014 für seine Beratertätigkeit bei Telenet nicht mehr entlohnt worden sei. Het Nieuwsblad bringt es auf den Punkt: "Der angebliche Geldscheffler Bracke arbeitete zwei Jahre gratis für Telenet". "Als er das gehört habe, sei er fast gestorben", erklärt N-VA-Chef Bart De Wever unter anderem auf Seite eins von De Standaard. Denn in der Tat: Hätte Bracke diese Klarstellung gleich geliefert, dann hätte er sich und seiner Partei die ganze Geschichte wohl erspart.
Bracke als Kammervorsitzender noch zu retten?
Klassisches Beispiel für "in den Fuß geschossen", meint Het Belang van Limburg in seinem Leitartikel. Zauberlehrling Bracke hat alle Geister buchstäblich selbst gerufen. Hätte er nicht den Sozialisten so nachdrücklich eine "Gierkultur" unterstellt, dann wäre seine Beratertätigkeit wohl nicht dermaßen in den Vordergrund gerückt. Dass er dafür gar kein Geld bekommen hat, dass ändert letztlich nichts. Der Eindruck, der hier entstanden ist, ist einfach nur desaströs.
Und auch als Kammerpräsident ist Siegfried Bracke nicht zu halten, wettert L'Écho. Ein Parlamentspräsident, der nebenbei ein Telekom-Unternehmen berät, das ist doch wohl ein schlechter Witz. Dass Siegfried Bracke in Gent seine Ämter aufgibt, das ehrt ihn vielleicht. Allerdings: Eine solche Person ist auch als Kammerpräsident fehl am Platz. Jemand wie Bracke ist jedenfalls nicht förderlich für das Vertrauen und die Glaubwürdigkeit der demokratischen Institutionen.
Siegfried Bracke hat gestern seinerseits behauptet, dass er beileibe nicht der erste Parlamentsvorsitzende ist, der sich im Privatsektor ein Zubrot verdient, dass das vielmehr alle seine Vorgänger auch getan hätten. De Standaard kommt in einem Faktencheck zu einem nuancierteren Urteil. "Stimmt nur halb", meint das Blatt. Leute wie Herman De Croo und auch Herman Van Rompuy hatten als Kammerpräsidenten tatsächlich Nebenverdienste, andere, wie Patrick Dewael und André Flahaut, dagegen nicht. Im Grunde zählt aber nur eins, meint Het Laatste Nieuws in seinem Leitartikel: Vielleicht war Siegfried Bracke nicht der erste "Erste Bürger", der hinzuverdiente, er sollte aber in jedem Fall der letzte sein.
"Weltfremde Politiker"
"Telenet hat derweil seine Beraterverträge offengelegt", wie Het Belang van Limburg auf seiner Titelseite hervorhebt. "Insgesamt zahlte das Telekom-Unternehmen 400.000 Euro an Politiker", rechnet Het Laatste Nieuws vor. De Morgen dröselt auf seiner Titelseite die Beträge auf. Bemerkenswert: Auch Altpremier Yves Leterme bekam 55.000 Euro, und zwar zwischen 2011 und 2015.
Und da wundern wir uns noch, dass die Bürger ihre Politiker für weltfremd halten, giftet Het Nieuwsblad. In den letzten Tagen gab es einige vielsagende Episoden. Etwa die von dem N-VA-Schöffen, der nicht bemerkt hatte, dass Telenet ihm kein Geld überwiesen hatte. Oder die Geschichte von der Sozialistin, die stattdessen das Geld bekommen hatte und das nicht gemerkt haben will. Zwischen Klammern: Hier ging das um eine fünfstellige Summe.
"Wie - glauben die Damen und Herren Politiker - mag das wohl beim Bürger ankommen?", fragt sich auch provokativ De Morgen. Die Mandatsträger scheinen so viel Geld zu bekommen, dass sie fast schon den Überblick verlieren. Und dieselben Leute erklären den Bürgern, dass ein strikter Sparkurs alternativlos ist.
Und schon wieder eine neue Geschichte
Die Aufmachergeschichte von Gazet van Antwerpen scheint den Nagel da noch etwas tiefer einzuschlagen: "Auch horrende Bezüge bei öffentlichen Betrieben in Antwerpen", so die Schlagzeile. Beim örtlichen Krankenhaus-Verbund und auch beim Betreiber des Hafens werden demnach Gehälter ausgezahlt, die deutlich höher liegen als die von der Föderalregierung festgelegte Obergrenze. Resultat: Der Chef der Antwerpener Krankenhäuser bekommt 160.000 Euro mehr als der Premierminister, dessen Gehalt ja als Richtschnur festgelegt wurde.
Auch diese neuen Zahlen sind der öffentlichen Meinung einmal mehr nicht zu verkaufen, meint Gazet van Antwerpen in seinem Leitartikel. Aber immerhin: Die Zahlen liegen jetzt auf dem Tisch und jetzt wird es höchste Zeit, dass die Politik die Konsequenzen daraus zieht.
Roger Pint - Foto: Dirk Waem/BELGA