"Ein System in der Krise", titelt De Morgen. "Publipart erschüttert Flandern", so die Schlagzeile von L'Écho. "Bereit für das Großreinemachen", schreibt De Standaard auf Seite eins.
In der flämischen Politiklandschaft herrscht Panikstimmung. Am Wochenende hatte die Zeitung Het Laatste Nieuws enthüllt, dass auch flämische Interkommunalen zuweilen wie ein Selbstbedienungsladen aussehen können. Überhöhte Sitzungsgelder, überdimensionierte Verwaltungsräte, noch dazu undurchsichtige Strukturen: Auch in Flandern gibt es Publifins, wenn auch nicht mit den gleichen Ausmaßen.
Und jeder Tag bringt neue Enthüllungen: "Die flämische Interkommunale, die am schlimmsten entgleist ist, heißt Farys", titelt etwa Het Nieuwsblad. Farys dreht auch um die Stadt Gent: Sie kümmert sich um die Wasserversorgung in Teilen der Provinz Ostflandern. Het Nieuwsblad nennt zwei Zahlen, die im Grunde alles sagen: knapp 400 Verwaltungsratsmitglieder für lediglich knapp 800 Mitarbeiter. "Und das alles, damit Wasser aus dem Hahn kommt", frotzelt Het Nieuwsblad.
"Ein System in der Krise"
In Flandern, wo man bislang gerne mit den Fingern auf die Wallonen zeigte, sorgen die Enthüllungen für ein mittleres Erdbeben. "Jede Partei ist betroffen, in jeder Provinz", stellt De Standaard fest. Besonders im Fokus steht der N VA-Finanzschöffe von Antwerpen, der 40 Mandate bekleidet, davon 17 bezahlt.
"Die Politik spielt Panikfußball", so resümiert es Het Belang van Limburg. "Und plötzlich wollen alle mehr Transparenz und strengere Regeln", so die zynische Feststellung von Het Nieuwsblad. "Transparenz ist das Gebot der Stunde", meint auch Het Belang van Limburg.
Ein Beispiel steht auf Seite eins von Het Laatste Nieuws: "Alle Nebenverdienste müssen öffentlich gemacht werden", schreibt das Blatt. Das ist ein Vorschlag des CD&V-Vizepremiers Kris Peeters. Er meint damit auch die Bezüge von Politikern, die in Privatunternehmen tätig sind, die nur die Tochtergesellschaften von Interkommunalen sind.
"Wir werden hier Zeuge einer regelrechten Kernschmelze", analysiert De Morgen. Landesweit haben die Enthüllungen über undurchsichtige und großzügige Interkommunalen einen politischen Sturm entfesselt. Das ganze System steckt in der Krise. Und wenn einige wie unter anderem Bart De Wever es auch für Antipolitik halten: Es muss erlaubt sein, Bezüge von 180.000 Euro brutto pro Jahr für überzogen zu halten. Im Raum steht jedenfalls der desaströse Eindruck, dass wir es hier mit einem institutionalisierten System von Selbstbedienung zu tun haben.
Zum Glück wird morgen nicht gewählt, meint resigniert L'Écho in seinem Leitartikel. Nach Publifin im Süden und Publipart im Norden des Landes sind die Bürger "auf 180". Die Parteien haben noch zwei Jahre Zeit, um endlich Ordnung zu schaffen.
Großreinemachen! Aber wo?
In diesem Zeitpunkt sind sich im Übrigen alle Zeitungen einig. Stellt sich nur die Frage nach dem Wie. La Libre Belgique etwa warnt davor, jetzt in der aufgeheizten Stimmung über das Ziel hinauszuschießen. Nicht vergessen: Ein politischer Mandatsträger ist nun mal kein gewöhnlicher Bürger, ob es einem nun passt oder nicht. Politiker müssen möglichst immun sein gegen den Druck der unterschiedlichsten Interessengruppen. Das hat seinen Preis. Problematisch wird es aber zugegebenermaßen, wenn man sich die ganzen Tricks und Hintertürchen vor Augen führt, mit denen sich tatsächlich einige die Taschen füllen.
Genau hier sieht auch De Standaard die Grenze. Mit den Nebenverdiensten von Mandatsträgern muss Schluss sein. Entweder, ein Posten in einem Verwaltungsrat ist von Amts wegen Teil des Kernauftrags oder eben, es geht um einen anderen Job. Und den delegiert man dann schlicht und einfach an einen Spezialisten.
Und Politiker sollen da nicht mehr erzählen, dass sie im Privatsektor ja ach so viel mehr verdienen würden, giftet Het Nieuwsblad. Das ist längst ein Holzhammerargument. Nicht vergessen: Auch in der vermeintlich so lukrativen Welt der Privatunternehmen gibt es verdammt viele Menschen, die Durchschnittsgehälter kassieren. Die zum Teil abgehobenen Sphären der Manager mit ihren Fantasie-Bezügen können da schwerlich als Beispiel durchgehen. Politik dient allein dem öffentlichen Interesse; und das muss reichen.
Ähnlich sieht das Het Belang van Limburg. Entweder, man macht es aus Überzeugung, oder man lässt es sein. Interessant ist allerdings die Frage, ob es noch viele Kandidaten für Vorstandspöstchen bei halbstaatlichen Unternehmen geben wird, wenn sie nicht mehr bezahlt werden.
Gefahr des kollektiven Harakiris
Die Situation ist inzwischen allerdings sehr gefährlich geworden, glauben einige Zeitungen. "Die Jagd ist eröffnet", konstatiert Het Laatste Nieuws. Leider, muss man sagen. Die Parteien zerfleischen sich gegenseitig. Und die Bürger scheren alle Politiker über einen Kamm. Damit tut man vielen von ihnen Unrecht.
Die Politik spielt mit dem Feuer, meint Gazet van Antwerpen. Unser System ist kompliziert; das ist in der Natur der Sache. Wenn aber die Politik das Ganze unnötig nur noch komplizierter macht, dann muss man sich nicht wundern, wenn die Menschen nach einfachen Lösungen rufen. Zu einfache Lösungen wiederum sind gefährlich für die Demokratie.
Die Versuchung ist groß, das Kind mit dem Bade auszuschütten, warnt auch L'Avenir. Ob's nun gefällt oder nicht: Aber eine Welt ohne Politiker und Meinungsvielfalt ist gleichbedeutend mit Anarchie. Wenn die Politik sich nicht schnell am Riemen reißt, dann droht ihr ein kollektives Harakiri mit unabsehbaren Folgen.
Bart ist der Beste
Es gibt aber nicht nur Politiker, die im Moment Negativschlagzeilen machen. "Bart Somers ist der 'beste Bürgermeister der Welt'", titeln Gazet van Antwerpen und das GrenzEcho. Bart Somers, das ist der Bürgermeister von Mechelen. Er hat in seiner Stadt sichtbar was bewegt; und deshalb hat eine internationale Jury ihn zum "besten Bürgermeister der Welt" gekürt. Die Jury hebt vor allem den Umgang der Stadt Mechelen mit Menschen mit Migrationshintergrund hervor.
RoP - Foto: Hatim Khagat (belga)