"Mayday bei den flämischen Sozialisten", titelt Het Nieuwsblad. "Der Skandal, der das Fass zum Überlaufen bringt", bemerkt Het Belang van Limburg. Bei Le Soir heißt es: "Das Rennen der Parteien um die völlige Transparenz".
Nach dem Publifin-Skandal in der Wallonie wird die Politik in Flandern seit dem Wochenende durch eine ähnliche Affäre erschüttert. Wieder geht es um interkommunale Zweckverbände und horrende Sitzungsgelder. Diesmal ist die öffentliche Holding Publipart in Gent betroffen. Der sozialistische Schöffe der Stadt, Tom Balthazar, ist am Samstag kurz nach Bekanntwerden des Skandals zurückgetreten. Die Grünen, die in Gent ein gemeinsames Bündnis mit der SP.A bilden, stellen die Zusammenarbeit nun in Frage. Die Mitglieder an der grünen Basis sollen jetzt entscheiden, ob die Partei weiter an der Seite der Sozialisten auftreten soll.
Het Laatste Nieuws meint: Solange Groen den Eindruck hat, dass bei der SP.A noch Leichen im Keller versteckt sind, wird es kein Bündnis mehr geben. Laut der Zeitung zieht der Skandal weitere Kreise. Die Publipart-Muttergesellschaft Publilec hat in den vergangenen Jahren insgesamt 1,7 Millionen Euro an vier Berater gezahlt. Wofür genau, weiß niemand so recht, wie das Blatt weiter berichtet.
Was in der Wallonie passiert, kann auch in Flandern passieren
Gazet van Antwerpen hält fest: Vor wenigen Tagen hatte die flämische Innenministerin Liesbeth Homans von der N VA noch erklärt, einen Publifin-Skandal wie in der Wallonie könne es in Flandern wegen strengerer Regeln nicht geben. Wie ein Bumerang dürfte ihr diese Aussage jetzt mitten ins Gesicht zurückschlagen. Und Publipart ist vermutlich leider nicht der einzige Missstand in Flandern, gibt das Blatt zu bedenken.
Het Nieuwsblad meint: Die Sozialisten in Gent trifft es am Härtesten, allerdings hängen fast alle Parteien mit drin. Wenn man unsere Politiker beobachtet, könnte man meinen, sie sind schwer von Begriff. Sobald ein Skandal ausbricht, wechseln die meisten Betroffenen in den Modus "Mein Name ist Hase und ich weiß von nichts".
De Morgen findet: Im Prinzip sind interkommunale Zweckverbände eine gute Sache. Mehrere Kommunen können so zusammenarbeiten, um ein Schwimmbad zu betreiben, ihre Abwässer zu reinigen oder ein Altenheim zu bauen. Leider sind die Interkommunalen in der Praxis aber zu einer Vervielfältigungsmaschine für politische Trostpreise verkommen. Sie dienen oft dazu, Parteimitglieder mit Pöstchen zu versorgen.
Ein Politiker = ein Gehalt
De Standaard fügt hinzu: Leider werden die bestehenden Regeln in vielen Fällen umgangen. Natürlich kann man darüber diskutieren, ob Lokalpolitiker hierzulande genug verdienen. Das Argument, die gut bezahlten Mandate in Aufsichtsräten von undurchsichtigen Interkommunalen und dubiosen halbstaatlichen Unternehmen seien ein finanzieller Ausgleich, kann aber nur zu Unverständnis und Unzufriedenheit in der Bevölkerung führen.
Die Folge: Die Politikverdrossenheit nimmt zu und den Populisten wird das Bettchen bereitet, warnt die Zeitung. Und das ist nicht die Schuld der Journalisten, die die aktuellen Skandale ans Licht bringen. Das haben die Politiker sich selbst zuzuschreiben, notiert L'Avenir.
Für Het Belang van Limburg gibt es nur eine Lösung, wenn man das Problem in den Griff bekommen will: Jeder Politiker darf nur noch ein Gehalt bekommen - Nebentätigkeiten werden nicht mehr gesondert vergütet. Nur so lässt sich verhindern, dass Politiker des Geldes wegen in Aufsichtsgremien sitzen. Dann würde es endlich um Inhalte gehen und die Mandate würden wieder Sinn machen.
Großreinemachen oder blanke Panik?
In Le Soir ruft der Vorsitzende der flämischen Sozialisten John Crombez alle Politiker im Land auf, ihre Mandate und Beratertätigkeiten sowie die dazu gehörende Vergütung ausnahmslos offen zu legen. Auf die aktuelle Krise könne es nur eine Antwort geben und die laute: völlige Transparenz, so der SP.A-Chef. Die Zeitung hält den Vorschlag zwar für angebracht und hilfreich, findet aber, dass die Parteien derzeit wie kopflose Hühner durch die Gegend rennen. In Panik geraten ergreifen sie jetzt die Flucht nach vorn und schlagen wild um sich. Die Gefahr besteht, dass sie das Kind mit dem Bade ausschütten. Beispiel: Intern müssen die Politiker und Kabinettsmitarbeiter ihre Mandate samt Entlohnung schon längst offenlegen. Wie kann es sein, dass keiner Aufsichtsbehörde und auch keinem Minister etwas aufgefallen ist und die Auswüchse erst jetzt bekannt werden?
La Dernière Heure meint: Die Missstände in den Interkommunalen müssen aufgedeckt werden - restlos. Die Aufklärungsarbeit muss aber weitergehen: Wie konnten die kontroversen Strukturen zustande kommen? Wer hat verhindert, dass sich an den skandalösen Zuständen etwas ändert? Die Parteivorsitzenden sollten endlich Verantwortung übernehmen, statt sich wie aufgescheuchte Jungfrauen zu verhalten.
Alain Kniebs - Bild: Nicolas Maeterlinck/BELGA