"Der Berlin-Attentäter irrte zwei Stunden lang durch den Brüsseler Nordbahnhof", titelt Het Laatste Nieuws. "Der meistgesuchte Terrorist Europas spaziert durch Brüsseler Bahnhof", so die Schlagzeile von Het Nieuwsblad. "Anis Amri ist zwei Stunden in Brüssel, aber niemand hat ihn erkannt", schreibt Gazet van Antwerpen auf Seite eins.
Der Mann, der auf dem Berliner Weihnachtsmarkt zwölf Menschen getötet hat, ist also doch über Brüssel gereist. Die Föderale Staatsanwaltschaft veröffentlichte jetzt Bilder einer Überwachungskamera, die Anis Amri zeigen. Verschiedenen Zeitungen drücken die Fotos am Donnerstag ab. Zu sehen ist ein Mann, der die Mütze tief ins Gesicht gezogen hat und obendrein einen dicken Schal trägt. Derartig vermummt, ist er tatsächlich fast nicht zu erkennen. Nach dem derzeitigen Kenntnisstand hielt sich Amri wenigstens zwei Stunden im Brüsseler Nordbahnhof auf. Danach verliert sich die Spur. Die Ermittler gehen davon aus, dass er einen Nachtbus nach Lyon genommen hat.
Hasskommentare - Bitte keine Verallgemeinerung!
Auf vielen Titelseiten prangen auch Fotos von der bewegenden Trauerfeier für Kerim Akiyl. Der 23-Jährige wurde am Mittwoch in seiner Heimatstadt Houthalen beigesetzt. Kerim war am Silvesterabend dem Anschlag auf einen Nobelklub zum Opfer gefallen. Er gehörte zu den insgesamt 39 Toten des Blutbades. Rund 1.000 Menschen erwiesen dem jungen Mann gestern die letzte Ehre. "Trauer um flämisches Opfer des Istanbul-Anschlags", titelt De Morgen. "Er ist für uns alle ein Held", sagen Angehörige und Freunde von Kerim auf Seite eins von Het Belang van Limburg.
Im Zusammenhang mit der Tragödie waren in den letzten Tage Hasskommentare in sozialen Netzwerken aufgetaucht, in denen Menschen ihre Freude über den Tod des Belgo-Türken zum Ausdruck brachten. Was man da auf Facebook und Twitter lesen musste, ist durchaus schockierend, meint Het Belang van Limburg in seinem Leitartikel. Für die Eltern des Jungen muss das schrecklich gewesen sein. Als hätte ihr tragischer Verlust noch nicht gereicht, waren sie auch noch mit niederträchtigen Hassbotschaften konfrontiert. Man sollte sich aber dadurch nicht blenden lassen. Besagte Einträge waren eher die Ausnahme als die Regel. Natürlich gibt es Rassisten, und das darf auch nicht verschwiegen oder verniedlicht werden. Man darf aber auch nichts verallgemeinern.
De Standaard wollte seinerseits dem Phänomen mal auf dem Grund gehen. Was stellt man fest, fragt sich das Blatt in seinem Kommentar. Selbst nach eingehender Suche finden sich höchstens ein paar Dutzend von diesen Hasskommentaren im Netz. In den Medien gab's demgegenüber dicke Schlagzeilen von einer "Sturmflut von Hasskommentaren". Hier wurde also durchaus existierender Rassenhass unverhältnismäßig groß aufgeblasen. Das bedeutet jetzt nicht, dass wir die Augen verschließen dürfen. Allerdings sollte das, was eine Randerscheinung ist, auch als solche betrachtet werden. Scheingefechte in einer Scheinwelt haben nämlich eine Scheinpolitik zu Folge.
Politik vs. Justiz: Wieder "weltfremde" Richter
In diesen Tagen steht derweil auch die Justiz einmal mehr unter Beschuss. Nach N-VA-Chef Bart De Wever hat nun auch der SP.A-Politiker und Bürgermeister von Vilvoorde, Hans Bonte, gewisse Richter als "weltfremd" gebrandmarkt. Nach Bontes Ansicht gehen insbesondere frankophone Jugendrichter in Brüssel allzu milde mit jugendlichen Straftätern um. Der Brüsseler Gerichtspräsident Luc Hennart räumt in De Standaard ein, dass sich die Herangehensweise von frankophonen Richtern durchaus von der der flämischen Kollegen unterscheiden kann. Die Kritik an der Justiz aus dem politischen Lager betrachtet Hennart nichtsdestotrotz als "unerhörten Angriff auf den Rechtsstaat".
Das ist doch völlig überzogen, meint dazu Het Laatste Nieuws in seinem Leitartikel. Man kann doch nicht behaupten, dass unser Rechtsstaat in seinen Grundfesten erschüttert wird nur, weil ein Politiker einmal Kritik übt. Natürlich gibt es weltfremde Richter, ebenso wie es auch weltfremde Politiker, Lehrer oder Journalisten gibt. Darüber wird man doch reden dürfen. Mehr noch: Die derzeitige Debatte ist eigentlich eher noch gesund.
Gazet van Antwerpen sieht das ähnlich. Hans Bonte hat den Mut, den Finger in die Wunde zu legen. Es ist sein gutes Recht, sich die Frage zu stellen, ob die frankophonen Jugendrichter in Brüssel mit jugendlichen Straftätern angemessen umgehen. Und statt wie Luc Hennart, die Politik prinzipiell in ihre Schranken zu weisen, sollte die Justiz ihre kritischen Blicke auch mal auf die eigene Berufsgruppe werfen.
Der Vorstoß des Bürgermeisters von Vilvoorde ist nur ein Symptom, meint La Dernière Heure. Der Mann spricht nur das aus, was viele denken. Man muss sich nicht lange im Internet herumtreiben, um festzustellen, wie viele Menschen der Justiz, aber auch der Politik und der Presse misstrauen. Anti-Establishment auf allen Kanälen. Dabei würden viele am liebsten das Kind mit dem Bade ausschütten. Dazu nur so viel: Wenn es ein besseres System gäbe, als die Demokratie, dann hätten wir wohl schon mal davon gehört.
2017: das Jahr der Herausforderungen
La Libre Belgique bringt am Donnerstag "die zehn Herausforderungen für die Regierung Michel im Jahr 2017". Unter den wichtigsten ist natürlich die Sanierung des Haushaltes - und allein das sei "eine kolossale Anstrengung", schreibt La Libre. Auf dem Tisch der Regierung liegen auch noch andere, komplexe Akten, unter anderem die Problematik des Überflugs des Großraums Brüssel, diverse Steuerreformen und auch die SNCB. Dabei wird die Regierung um Premier Charles Michel Einiges wettmachen müssen.
La Dernière Heure jedenfalls bringt am Donnerstag die Ergebnisse einer exklusiven Umfrage, die für die Koalition wenig schmeichelhaft ausfallen. Demnach vertraut nur noch knapp ein Viertel der frankophonen Bevölkerung der Föderalregierung. Sieben von zehn Wallonen und Brüsseler hingegen bringen der Schwedischen Koalition "eher wenig" beziehungsweise "gar kein" Vertrauen entgegen. Auch deswegen, meint La Dernière Heure, ist 2017 wohl für Charles Michel uns seine Equipe ein Schlüsseljahr.
Roger Pint - Bild: Jolieke Mellaerts/BELGA