"Beispielloser Angriff auf die Justiz!", titelt Het Laatste Nieuws. "Die N-VA begibt sich auf Konfrontationskurs mit dem Rechtsstaat", so die Schlagzeile von Gazet van Antwerpen. De Morgen bringt es mit einem Wortspiel auf den Punkt: "Rechts gegen Rechtsstaat".
Die Attacke der N-VA auf die "weltfremden Richter" schlägt heute hohe Wellen. Begonnen hat alles damit, dass sich Asylstaatssekretär Theo Francken einem Gerichtsurteil nicht beugen will. Hier geht es um einen Streit in einer Visums-Angelegenheit. Als Francken im Parlament für seine Haltung kritisiert wurde, startete seine Partei eine Kampagne in sozialen Netzwerken, in der die Richter eben unter anderem als "weltfremd" bezeichnet werden.
Und N-VA-Chef Bart De Wever legte später noch einen drauf: "Viele Richter verhielten sich wie Aktivisten, die Politik machen, statt einfach nur Gesetze anzuwenden", sagte er. Und ganz nebenbei seien Richter auch schuld an der Flüchtlingskrise. "De Wever führt einen Kreuzzug gegen die angebliche 'Herrschaft der Richter'", schreibt auch La Libre Belgique.
Die Kampagne der flämischen Nationalisten sorgt für einen Sturm der Entrüstung - sowohl in der Justiz als auch in der Politik. "Die rote Linie ist überschritten, weit überschritten", sagen hohe Magistrate in Het Laatste Nieuws.
Wobei: In De Standaard räumt ein ehemaliger Richter ein, dass Magistrate mitunter tatsächlich über das Ziel hinausschießen können. Der Grund: Sie müssen letztlich nicht die Verantwortung für die Folgen ihrer Entscheidungen tragen.
Nichtsdestotrotz, was die Form angeht, so sind sich alle einig, dass die N-VA zu weit gegangen ist. Und das gilt auch für die Politik. "De Wever hält sich wohl für einen römischen Kaiser", sagt der SP.A-Vorsitzende John Crombez in Het Laatste Nieuws. Die Groen-Chefin Meyrem Almaci bescheinigt dem N-VA-Vorsitzenden "diktatorische Züge".
Doch auch innerhalb der Koalitionspartner wird die Kritik an De Wever lauter: "Wenn man mit Gerichtsurteilen nicht einverstanden ist, dann muss man eben vor den Staatsrat ziehen, statt Kampagnen nach dem Vorbild des niederländischen Rechtspopulisten Geert Wilders zu fahren", sagt etwa die OpenVLD-Chefin Gwendolyn Rutten. "Der Staat muss sich aber in jedem Fall in einer ersten Phase dem Urteil beugen", betont auch der CD&V-Vizepremier Kris Peeters in La Libre Belgique.
Die Demokratie wird angegriffen – und der Premier schweigt
Viele Leitartikler gehen mit der N-VA hart ins Gericht. Die flämischen Nationalisten beweisen mit ihrer Kampagne, wie sehr sie die Justiz und ihre Vertreter missachten, meint etwa La Libre Belgique. Allen voran De Wever und Francken spielen da ein äußerst gefährliches Spiel, wenn sie sich offen und unverhohlen über Gerichtsentscheide hinwegsetzen.
Diese Negierung der dritten Gewalt im Staat ist inakzeptabel. Und entsprechend ist auch die halbherzige Reaktion von Premierminister Charles Michel (MR) sicher kein Ruhmesblatt.
Auch L'Avenir vermisst eine klare Ansage des Premiers. Bislang hat er sich darauf beschränkt, zur Besonnenheit aufzurufen. Es ist überfällig, dass er die Verteidigung des Rechtsstaates übernimmt. Was wir im Augenblick erleben, das könnte man demgegenüber eher als "Theo-kratie" bezeichnen.
Für Le Soir ist der Rechtsstaat eindeutig in Gefahr. Die Justiz ist ein Garant der Demokratie, schützt die Bürger vor Willkür. Wer Richter attackiert, der attackiert dieses Grundprinzip. Nach dem Vorbild von Berlusconi vermittelt die N-VA hier ganz gezielt den Eindruck, dass das Land fremdgesteuert ist, eben durch angeblich weltfremde Richter. Das ist nicht mehr und nicht weniger als eine direkte Attacke auf die Grundfesten des Staates.
Vorbilder: Berlusconi, Trump, Farage, Wilders und Co.
Zufall oder nicht, aber keine 24 Stunden nach der N-VA hat auch der niederländische Rechtsextreme Geert Wilders die Justiz als "weltfremd" abgetan, bemerkt De Morgen. Er bezeichnete die Richter, die ihn wegen Volksverhetzung verurteilt haben, mal eben als "total behämmert". Nun kann man nach wie vor die N-VA nicht mit Geert Wilders vergleichen, meint das Blatt. Dennoch scheint sich die N-VA im Moment an aktuellen Entwicklungen zu inspirieren:
Stichwort Brexit, Stichwort Trump. Selbst aus der Regierung heraus gibt die N-VA also noch die Speerspitze des Kampfes gegen die angeblichen "Eliten". Und ganz nebenbei glaubt De Wever offensichtlich mehr denn je, dass 32 Prozent der Wählerstimmen eine ausreichende Legitimierung sind, damit sein Wille zum Gesetz wird. Unter diesen Gesichtspunkten sollte die N-VA bitte schnellstens damit aufhören, sich selbst als Garant des Rechtsstaates zu verklären.
Auch Het Nieuwsblad sieht deutliche Parallelen zu Leuten wie Trump, Farage oder Wilders. Was die N-VA hier macht, ist eine grobe und noch dazu unlautere Verallgemeinerung. Die Gerichte dieses Landes haben erwiesenermaßen in der Vergangenheit viel häufiger den Standpunkt von Asylstaatssekretär Francken bestätigt, als ihn zu widerlegen. In dem Moment jammert freilich niemand bei der N-VA.
Bezeichnenderweise unterstellt die linksextreme PTB den Gerichten auch regelmäßig, dass sie bei der Aufhebung von Streikposten voreingenommen sei. Es ist zu einfach, pauschal Kritik an der Justiz zu äußern, wenn sie mal eben nicht im Sinne der einen oder anderen Partei entscheidet. Aber wie gesagt: Die Herren Trump, Farage oder Wilders machen es ja vor.
De Wever wird sich früher oder später entscheiden müssen, wo er steht, glaubt De Standaard. Gerade in dieser Geschichte kann man wieder beobachten, dass er zugleich am rechten Rand fischen und die demokratische Mitte nicht verlieren will. Dieser Spagat ist auf Dauer nicht haltbar.
Stürmische Zeiten für die Regierungskoalition
Le Soir gibt derweil eine "Sturmwarnung für die Regierung" aus. Jetzt, mit dem Angriff der N-VA, wird die Koalition ein weiteres Mal erschüttert. Dabei haben die Spannungen in den letzten Wochen ohnehin schon spürbar zugenommen. Parallel dazu werden immer mehr Minister zu Opfern von dem, was man im Militärjargon "Friendly Fire" nennt.
Leute wie Kris Peeters, Johan Van Overtveldt, François Bellot oder Marie-Christine Marghem müssen zuweilen mehr Kritik aus den eigenen Reihen einstecken als von der Opposition. Für Le Soir gerät die Koalition langsam aber sicher ins Wanken.
Gazet van Antwerpen teilt diese Sorge. Eben die jüngste Episode um die N-VA-Attacke auf die Justiz sorgt dafür, dass die flämischen Nationalisten nur noch isolierter erscheinen. Da stellt sich tatsächlich die Frage, ob es nicht eine versteckte Agenda gibt, die auf den Sturz der Regierung abzielt.
Eines ist sicher: Unter den derzeitigen Gegebenheiten werden die zwei Jahre bis zur nächsten Wahl ein langer Leidensweg.
Roger Pint - Bild: Luc Claessen (belga)