Die Inlandspresse kennt heute natur- und erwartungsgemäß nur ein Thema: die Parlamentswahlen. Seitenweise bringen die Zeitungen dazu Berichte, Reaktionen, Analysen und Kommentare. Diesbezüglich heben natürlich sämtliche Blätter den Triumph der N-VA von Bart De Wever in Flandern und den eindeutigen Sieg der Sozialisten im französischsprachigen Belgien hervor.
Veni, vidi, vici…
"Zwei Männer für ein Land" titelt Le Soir. "Er kam, sah und siegte" heißt es in De Standaard. Gazet van Antwerpen nennt De Wever den "neuen flämischen Halbgott", während Het Nieuwsblad ihn als "König von Flandern" bezeichnet, damit jedoch die Frage verbindet, was denn nun aus Belgien wird.
De Standaard fasst das Wählerurteil wie folgt zusammen: Die N-VA fegt jeglichen Widerstand in Flandern weg, die PS dominiert die Wallonie. De Wever und Di Rupo sind aufeinander angewiesen. Schwere Verluste für die flämischen Christlichsozialen und Liberalen. Die Tage des Vlaams Belang und der Liste Dedecker sind gezählt.
Flamen haben nicht für die Spaltung Belgiens gestimmt
Zum Wahlsieg der N-VA notiert Le Soir, dieser Triumph versetzt Parteichef De Wever in eine Position der Stärke, sowohl in Flandern als auch gegenüber den Frankophonen. Dieser Sieg hat jedoch auch Grenzen, denn man kann nicht sagen, dass alle Flamen, die für De Wever gestimmt haben, damit sagen wollten, dass er das Land teilen oder die Unabhängigkeit Flanderns erklären soll. Wohl aber machen sie mit diesem Votum ihren Willen deutlich, dass Belgien dringend im Sinne einer größeren Eigenständigkeit der Regionen reformiert werden muss. Allerdings dürfen die Flamen auch nicht die gestrige Botschaft der französischsprachigen Belgier übersehen, nämlich dass das Land geeint und die Solidarität in der sozialen Sicherheit gewahrt werden muss.
Ist De Wever zu Konzessionen bereit?
La Libre Belgique sieht Belgien an einer entscheidenden Wende und fragt sich, was De Wever aus seinem Wahlsieg machen wird. Er sagt, dass er den Frankophonen die Hand reicht, doch wird er bei den anstehenden Verhandlungen zu Konzessionen bereit sein, mit denen er seine Wähler zwangsläufig enttäuschen wird? Die Antwort auf diese Frage dürfte sich schon sehr bald ergeben. Im Übrigen fordert La Libre Belgique die Frankophonen auf, sich den flämischen Wünschen gegenüber offen zu zeigen, andererseits jedoch Einheit und Entschlossenheit nicht aus den Augen zu verlieren. Vor allen Dingen die Entschlossenheit bei der Verteidigung der Solidarität in der Sozialversicherung sowie der Rechte der Frankophonen in der Brüsseler Peripherie.
Das Grenz-Echo wertet De Wevers Triumph als Quittung für den dreijährigen Stillstand, den Belgien nach den Parlamentswahlen von 2007 erfahren hat. Er ist aber auch eine Quittung für die Blockadepolitk der Frankophonen, die zu einer Radikalisierung der Wählerschaft in Flandern geführt hat. Weiter schreibt das Grenz-Echo zum Wahlergebnis in der DG: Aus ostbelgischer Sicht ist in erster Linie die Schlappe der CSP hervorzuheben, die über acht Prozent verliert. Allerdings stand sie mangels Unterstützung von Seiten der cdH von vornherein auf verlorenem Posten. Zufrieden mit dem Ausgang der Wahl darf Vivant sein, dessen Wiederbelebung als absolut bemerkenswert bezeichnet wird.
Bei den anstehenden Koalitionsverhandlungen, so notiert Vers l'Avenir, führt an der N-VA kein Weg vorbei. Dabei wird sich schon sehr bald zeigen, ob der von Parteichef De Wever gestern angeschlagene gemäßigte Ton ernst gemeint ist, oder ob die Partei ihre radikalen Forderungen in Sachen BHV und Staatsreform nicht im Geringsten zurückschrauben wird.
Im gleichen Kontext heißt es in Het Nieuwsblad: Angesichts der andauernden Finanzkrise kann Belgien sich monatelange Koalitionsverhandlungen nicht leisten. Unter diesem Druck wird auch ein De Wever verhandeln müssen. Allerdings ist er der erste Verhandlungspartner, dem es wohl nicht viel ausmachen würde, wenn alles scheitert und Belgien in die Luft fliegt.
Gazet van Antwerpen zufolge stehen De Wever und Di Rupo vor einer historischen Herausforderung. Sie sind ihren Wählern gegenüber verpflichtet, das Land zu reformieren, wobei sie - betrachtet man ihre jeweiligen Standpunkte - sozusagen Wasser und Feuer miteinander verbinden müssen. Trotzdem sind sie dazu in der Lage, denn sie sind durch das gestrige Wählerurteil so stark geworden, dass sie sich gegenseitige Konzessionen durchaus erlauben können. Di Rupo sagte in einer ersten Reaktion, dass die Französischsprachigen den Willen der Flamen nicht länger überhören dürfen. Indessen sprach De Wever davon, dass er bereit ist, Brücken zu bauen. Das alles klingt hoffnungsvoll, doch jetzt kommt es darauf an, dass die beiden ihr Wort halten.