"Italien stimmt mit Nein, Renzi reicht seinen Rücktritt ein", titelt Le Soir. Die Brüsseler Zeitung ist die einzige, die die aktuellen Entwicklungen in Italien schon auf ihre Titelseite bringen konnte. Gestern sollten sich die Italiener über die von Matteo Renzi angestrebte Verfassungsreform aussprechen. Der italienische Ministerpräsident hatte seine politische Zukunft von dem Referendum abhängig gemacht. Nach Schließung der Wahllokale am späten Abend wurde aber schnell deutlich, dass Renzi seine Wette verloren hat. Die Bürger lehnten überraschend deutlich das Reformprojekt ab. Renzi zog denn auch gleich seine Konsequenzen und reichte bei Präsident Sergio Mattarella seinen Rücktritt ein.
Im restlichen Europa befürchtet man jetzt eine handfeste Krise in Italien mit vielleicht dramatischen Folgen für die italienische Wirtschaft. Sorgen bereiten vor allem einige Banken, die insbesondere wegen fauler Kredite in dreistelliger Milliardenhöhe gewaltig unter Druck stehen. "Italien ist der kranke Mann Europas", warnt De Morgen. Politische Instabilität ist da Gift. Denn nicht vergessen: Italien ist die drittgrößte Volkswirtschaft Europas.
Schicksalswahlen
Aufatmen dagegen in Österreich. Dort fand ebenfalls gestern eine Schicksalswahl statt, genauer gesagt die Wiederholung der zweiten Runde der Präsidentschaftswahl. "Erstmal bleibt Europa ein rechtsextremer Präsident erspart", so resümiert es Het Belang van Limburg. Gewonnen hat nämlich der linksgerichtete Kandidat Alexander Van der Bellen, der Norbert Hofer von der rechtspopulistischen FPÖ klar hinter sich lassen konnte. "Wien stoppt die populistische Welle", titelt denn auch De Standaard.
"Na bitte, es geht ja doch noch", meint sinngemäß La Libre Belgique in ihrem Leitartikel. Nach dem Brexit-Votum in Großbritannien und der Wahl von Donald Trump in den USA musste man ja fast den Eindruck haben, dass die populistische Welle nicht mehr aufzuhalten ist, dass wir dazu verurteilt sind, dass Rechtextreme, Nationalisten und Gegner der Freiheit überall an die Macht kommen. Nichtsdestotrotz: Dass ein offen rechtextremer Kandidat in Österreich immer noch fast die Hälfte der Stimmen bekommt, ist ein Warnschuss und sollte allen demokratischen Politikern eine Lehre sein.
Het Nieuwsblad schlägt in dieselbe Kerbe. Noch zumindest ist die populistische Welle kein Naturgesetz. Allerdings hat Österreich seine Spaltung jetzt quasi schriftlich bekommen. Davon abgesehen: In Österreich hatte die Wahl im Endeffekt eigentlich eher Symbolwert; in Italien demgegenüber stand viel mehr auf dem Spiel. Das Referendum hat sich längst als Albtraum entpuppt. Und hier liegen wieder die altbekannten Zutaten auf dem Tisch: der Erfolg von populistischen und nationalistischen Kräften, der Widerstand gegen das Establishment und gegen die Europäische Union. Österreich hat nur für ein kurzes Aufatmen gesorgt.
Das beunruhigende Wahljahr 2017
Für De Standaard zeigen sich insbesondere in Italien die Grenzen von Volksbefragungen. Bis vor Kurzem noch gingen Referenden fast schon als Wundermittel durch. So mancher sah darin ein Patentrezept, um die Bürger quasi mit Macht und Staat zu versöhnen. Großbritannien und jetzt auch Italien haben jetzt aber gezeigt, wie schnell sich ein Referendum als Bumerang erweisen kann.
Und all das ist vielleicht immer noch erst der Anfang, warnen gleichermaßen Het Belang van Limburg und Gazet van Antwerpen. Im kommenden Jahr stehen in einer Reihe von wichtigen europäischen Staaten Wahlen an. In den Niederlanden hat die PVV des Rechtspopulisten Geert Wilders den Wind in den Segeln. In Frankreich wird Marine Le Pen aller Wahrscheinlichkeit bei der Präsidentschaftswahl im April und Mai die zweite Runde erreichen. Und in Deutschland richten sich vor der anstehenden Bundestagswahl alle Blicke auf die AfD. Erleichtert können wir also erst sein, wenn das beunruhigende Wahljahr 2017 vorbei ist.
All diese Abstimmungen lasten wie ein düsterer Schatten auf Europa, stellt auch De Morgen fest. Oft ist es inzwischen so, dass die EU selbst dabei im Fokus steht und zu einer Art existentiellen Gretchenfrage wird. Und man muss zugeben: Europa hat es tatsächlich versäumt, sich immer mal wieder umzudrehen und zu schauen, ob immer noch alle mit im Boot sind. Im Endeffekt geht es jetzt um die Frage, ob und inwieweit wir uns eine gemeinsame Zukunft noch vorstellen können.
L'Avenir sieht noch einen weiteren Grund, warum immer mehr Menschen auf die Sirenengesänge der Populisten und Nationalisten hereinfallen: Ursache sind wohl auch die sozialen Konsequenzen der Globalisierung und die damit verbundenen Wohlstandsängste. Auch die Flüchtlingskrise sorgt in weiten Teilen der Bevölkerung für Unbehagen. Es steht also zu befürchten, dass die rechten Rattenfänger in naher Zukunft weitere Erfolge verbuchen können.
"Schämt Euch!"
"Sechs von zehn Wallonen unterstützen den Kampf gegen Ceta", schreibt derweil La Libre Belgique auf Seite eins. Das ist eine Erkenntnis aus dem Politbarometer, von dem die Zeitung heute weitere Ergebnisse veröffentlicht. Darunter auch die Popularitäts-Hitparade. Demnach ist Maggie De Block nicht mehr die populärste Politikerin des Landes; in der Wallonie und in Brüssel ist sie gleich ganz aus den Top-3 herausgefallen.
"Schämt euch!", wettert schließlich La Dernière Heure auf ihrer Titelseite. Gemeint sind die Fans, die dafür gesorgt haben, dass das Erstligaspiel zwischen Charleroi und Standard Lüttich abgebrochen werden musste. Zuschauer hatten unter anderem Rauchbomben und Gegenstände auf dem Platz geworfen. "Das entwickelt sich zu einer schlechten Angewohnheit", bemerkt Het Nieuwsblad. Im vergangenen Jahr hatte das wallonische Derby aus denselben Gründen auch schon abgebrochen werden müssen. Das Fazit der Zeitung: "Es ist eine Schande!"
RoP - Foto: Andreas Solaro (afp)