"Die Wallonie ist nun doch bereit, Ceta zu unterschreiben", titelt L'Écho. "Und am Ende haben alle gewonnen", so die Schlagzeile von L'Avenir. "War es das jetzt wirklich wert?", fragt sich aber provokativ Het Nieuwsblad.
Am Donnerstag haben sich die Regierungen des Landes doch noch auf eine gemeinsame Zusatzerklärung zum Freihandelsabkommen Ceta verständigt. Besagte Erklärung enthält im Wesentlichen eine Reihe von Präzisierungen, die also festhalten, wie Belgien das Vertragswerk versteht. Die Wallonische Regionalregierung beansprucht für sich, dass die geplanten Schiedsgerichte, die Streitfälle zwischen Unternehmen und Staaten regeln müssen, jetzt unabhängiger sein werden. Andere, allen voran der liberale Premierminister Charles Michel betonen ihrerseits, dass kein Buchstabe am bisherigen Ceta-Vertragswerk verändert wurde. Das Fazit von La Libre Belgique: "Jetzt kann jeder das Abkommen über Ceta verkaufen, wie er Lust hat".
Ceta: Gewinner und Verlierer
"Wer hat gewonnen, wer verloren?", fragt sich Het Nieuwsblad. Der Sieger ist eindeutig Paul Magnette, aber auch die Demokratie in Europa. Verloren hat in erster Linie Charles Michel, der von Magnette richtiggehend vorgeführt wurde. De Standaard blickt zurück auf die "14 irren-Ceta-Tage" und zieht fünf Lehren aus der Geschichte. Die wohl wichtigste: Die EU wird wohl nie wieder auf die bisherige Art und Weise verhandeln. Um ein solches Chaos künftig zu vermeiden, wird man vorab eine gründliche Debatte führen müssen.
"Gezeichnet: Paul Magnette", so derweil die Schlagzeile von Le Soir. Damit ist nicht nur gemeint, dass Magnette jetzt tatsächlich seine Unterschrift unter Ceta setzen will. Der PS-Politiker hat sich vielmehr in den letzten Tagen auch über die Grenzen hinaus einen Namen gemacht. Sein Name wird auf ewig mit dem wallonischen Nein zu Ceta und damit zur Europäischen Union verbunden bleiben.
Die Wallonie weist den Weg
Wie ist das Ganze jetzt zu werten? Hat Paul Magnette auf der ganzen Linie gewonnen, fragt sich etwa De Morgen in seinem Leitartikel. Die Antwort lautet ganz klar "Nein"! Hat Magnette also nichts erreicht? Das wäre auch zu kurz gegriffen. Durch die Zusatzerklärung, auf die man sich am Donnerstag geeinigt hat, hat Belgien durchaus Sicherheitsriegel eingebaut. Mehr noch: Die Wallonen haben es geschafft, eine Giftpille in das Vertragswerk zu mischen: Wenn die Frage der Schiedsgerichte nicht zu ihren Gunsten beantwortet wird, behalten sich die Frankophonen das Recht vor, Ceta am Ende doch nicht zu ratifizieren.
Paul Magnette hat der Politik eine neue Dynamik gegeben, findet De Standaard. Viel zu lange haben Politiker den Eindruck erweckt, dass sie im Ernstfall den angeblich höheren Interessen weichen und dann doch tun, was man von ihnen erwartet, nämlich brav und ohne Murren zuzustimmen. Im Grunde hat Magnette nach dem Motto gehandelt, dass letztlich zum Brexit geführt hat, nämlich: "Taking back control", wieder die Kontrolle übernehmen. Mit dem einen Unterschied, dass die Wallonen dafür nicht gleich die EU oder Belgien in die Luft gejagt haben.
Europa ist in den letzten Tagen eindeutig demokratischer geworden, meint Het Nieuwsblad. Wer hätte gedacht, dass ein Handelsabkommen einmal derartig in der öffentlichen Meinung thematisiert und diskutiert würde? Hoffentlich zieht die EU hier nicht die falschen Lehren: Europa sollte auf diesem Weg der Offenheit bleiben und sich nicht wieder in seinen Elfenbeinturm zurückziehen.
Für Le Soir ist diese Geschichte ein Wendepunkt. Es wird ein Vor- und ein Nach-Ceta geben, meint das Blatt. Die Beziehungen zwischen Europa, den Mitgliedsstaaten und auch den regionalen Machtebenen müssen neu definiert werden. Und es sind ausgerechnet die kleinen Wallonen, die den richtigen Weg gewiesen haben.
Belgien, das Land der Kompromisse
Het Laatste Nieuws ist da nicht ganz so enthusiastisch. Die Solo-Tour des neuerlichen Roten Ritters Magnette war eine reine Nullnummer, so das beißende Urteil des flämischen Massenblatts. Wer glaubt denn ernsthaft, dass Magnette die Welt verändert hat? Europa wird weiter nach der Pfeife der Multinationals tanzen. Was man allerdings festhalten muss: Trotz der enormen Spannungen zwischen Liberalen und Sozialisten hat das Tandem Magnette-Reynders am Ende einen ehrenhaften Kompromiss hinbekommen.
"Belgien ist und bleibt das Land der Kompromisse", meint auch lobend La Libre Belgique. Am belgo-belgischen Tisch saßen Liberale, Sozialisten, Humanisten, Nationalisten, Flamen, Frankophone, Deutschsprachige - und all diese Leute haben sich am Ende auf eine gemeinsame Position einigen können. Und das Beste ist: Alle halten sich für Sieger.
Viel Lärm um Nichts?
War es am Ende dann doch nicht mehr als "Much ado about nothing", "viel Lärm um nichts"?, fragen sich L'Avenir und L'Écho. Paul Magnette geht im Moment vielleicht noch als "Heiliger" durch, der heilige Paul von Charleroi. Allerdings: Der Heiligenschein wird schnell verblassen. Und vielleicht bekommt er doch noch irgendwann die Rechnung präsentiert. Magnette muss sich jetzt von seiner pädagogischen Seite zeigen, meint L'Avenir. Er wird auch in Zukunft dem Bürger beweisen müssen, dass seine Blockadeaktion nötig war, dass er wirklich was erreicht hat. Auf die Gefahr hin, dass die Menschen sich am Ende verschaukelt fühlen, dass sie von einem politischen Scheinmanöver geblendet wurden. "Viel Lärm um Nichts", darauf darf es am Ende nicht hinauslaufen.
Roger Pint - Bild: Laurie Dieffembacq/BELGA