"Mehrheit geflickt, Opposition entfesselt", titelt La Libre Belgique. "Niemand zufrieden", schreibt Het Belang van Limburg auf Seite eins. "Michel gewinnt Zeit, aber kein Vertrauen", urteilt De Standaard.
Nach der Einigung der Koalition zum Haushalt hat Premierminister Charles Michel am Sonntag seine Regierungserklärung gehalten. Unter anderem La Dernière Heure bringt eine Übersicht der ab 2017 geplanten Maßnahmen. Um den Fehlbetrag von über drei Milliarden Euro im Haushalt auszugleichen, will die Föderalregierung die Quellensteuer auf 30 Prozent erhöhen. Antibiotika sollen teurer, das Krankenhauswesen schneller reformiert werden. Sonderregelungen bei der Rente - etwa für Soldaten und Bahnmitarbeiter - sollen schrittweise abgeschafft und die 38-Stundenwoche gelockert werden.
Le Soir hebt eine weitere Maßnahme hervor: Arbeitnehmer können ihren Firmenwagen künftig zurückgeben - im Gegenzug erhalten sie einen Lohnzuschlag von 450 Euro netto im Monat. De Standaard fasst die Pläne der Mitte-Rechts-Regierung so zusammen: Wer arbeitet, gewinnt. Wer hingegen nicht arbeiten will, arbeitslos oder krankgeschrieben ist, wird das zu spüren bekommen.
"Zu zögerlicher Reformkurs"
Auch wenn es einige Makel gibt, La Libre Belgique lobt die Entscheidungen der Regierung Michel im Großen und Ganzen. Die Koalition will das Wirtschaftswachstum fördern und setzt auf neue Jobs sowie mehr Kaufkraft für die Bürger. Vergleicht man die Regierung Michel mit der von Di Rupo, fällt die Bilanz aktuell positiver aus.
Ob es um den Arbeitsmarkt, um die Wettbewerbsfähigkeit, um die Verkehrsprobleme, um die Besteuerung, um das Gesundheitssystem oder um die Rente geht: Het Laatste Nieuws gehen die Reformen der Föderalregierung nicht weit genug. Zwar werden die richtigen Schritte eingeleitet - weg vom PS-Modell, das angesichts des wallonischen Vetos gegen das kanadisch-europäische Freihandelsabkommen Ceta langsam aber sicher nordkoreanische Züge annimmt. Weil es innerhalb der Koalition aber ständig rumst und kracht, bleibt die Reformagenda suboptimal.
De Standaard meint: Lieber keine Reform als eine schlechte. Beispiel Spekulationssteuer. Diese halb ausgegorene Maßnahme musste nach nur einem Jahr, weil besonders kontraproduktiv, zurückgenommen werden.
Heikle Themen verschoben
Het Nieuwsblad hält fest: Die heiklen Themen schiebt die Regierung mal wieder vor sich her. Ob Senkung der Körperschaftssteuer, Aktivierung des Spargelds oder die lang ersehnte Einführung einer Steuer auf Börsengewinne: Diese Reformen sind wohl auf den Sankt-Nimmerleinstag verschoben, befürchtet die Zeitung.
Le Soir bemerkt: Wir Zuschauer haben langsam den Eindruck, zum Narren gehalten zu werden. Vergangene Woche haben wir gesehen, wie die Regierungs-Köche sich die Köpfe einschlagen. Jetzt präsentieren sie uns plötzlich ein 4-Gänge-Menü. Wobei jeder weiß, dass das Hauptgericht - die Steuer auf Börsengewinne - durch eine billige Vorspeise ersetzt wurde, die zudem aus der Tiefkühltruhe geholt werden musste, weil in der Küche die Fäuste flogen. Dass die Kritik jetzt so heftig ausfällt, ist die Regierung selber schuld, findet das Blatt.
CD&V wieder unter Druck - diesmal wegen Arco
De Morgen übt scharfe Kritik an der CD&V und spricht vom "misslungenen Guerillakrieg" der flämischen Christdemokraten. Die Partei hat auf die falsche Strategie und den falschen Ausführer gesetzt. Das Blatt wird noch deutlicher: Die problematische Personalie bei der CD&V heißt Kris Peeters. Mit seiner Börsensteuer hat er eindeutig zu hoch gepokert.
De Standaard dagegen ist anderer Meinung: Ganz umsonst war das Peeterssche Muskelspiel nicht. Denn auch die anderen Mehrheitsparteien haben mittlerweile eingesehen, dass unser Steuersystem gerechter werden muss. Allerdings lautet die große Frage: Wie kommt man von A nach B, ohne der belgischen Wirtschaft zu schaden? Die Zeitung bleibt bei ihrer Meinung: Lieber vorerst keine Reform als eine schlechte.
"Und plötzlich taucht die Arco-Akte wieder auf", titelt Het Nieuwsblad. Premier Michel erklärte, dass es 2017 eine Regelung für die Kunden der Genossenschaft geben wird, die bei der Dexia-Pleite ihr Geld verloren haben. Der Regierungschef hatte seinen Satz noch nicht fertig gesprochen, da gab es bereits neuen Streit in der Koalition. Unter anderem die N-VA ist dagegen, dass Steuergeld für die Entschädigungen verwendet wird.
Bei Arco handelt es sich um den finanziellen Arm der christlichen Arbeiterbewegung. Die 800.000 geschädigten Anteilseigner werden größtenteils dem CD&V-Lager zugesprochen - die Partei hat also ein besonderes Interesse an einer Lösung. Ein möglicher Ausweg: Beim Verkauf der Belfius-Bank durch den Staat könnte ein Teil des Geldes in den umstrittenen Arco-Deal fließen, berichtet Het Nieuwsblad.
Die stärkere Besteuerung von Vermögenden wird also auf die lange Bank geschoben, für die Arco-Kunden soll es aber schon bald eine Lösung geben: Die CD&V hinterlässt hier den faden Beigeschmack, dass sie käuflich ist, bemängelt Le Soir.
Het Belang van Limburg hält fest: Keine Reichensteuer, damit ist der Protest der Gewerkschaften vorprogrammiert. Vor allem die CD&V steht jetzt unter Druck. Wie diese Geschichte ausgeht, ist nur sehr schwer vorauszusagen. Alles ist möglich.
Alain Kniebs - Bild: Nicolas Maeterlinck/BELGA