"Der Pop von Bob Dylan bekommt den literarischen Ritterschlag", titelt La Libre Belgique. "Das Folklied im Pantheon der Literatur", so formuliert es Le Soir.
Das Nobelkomitee hat gestern für eine faustdicke Überraschung gesorgt, als es dem Folk-Barden Bob Dylan den Nobelpreis für Literatur zuerkannte. Dass die renommierte Auszeichnung an einen Liedermacher geht, eigentlich einen Popmusiker, damit hatten wohl nicht viele gerechnet. Entsprechend polarisiert auch die Entscheidung. "Endlich", jubelt etwa ein Literaturprofessor auf Seite eins von Het Laatste Nieuws. Direkt daneben: die vernichtende Kritik des flämischen Schriftstellers und Provokateurs Herman Brusselmans, dessen Urteil: "Bullshit!".
"Streng genommen sind Dylans Liedtexte keine Literatur", sagt der Filmemacher und Journalist Marc Didden auf Seite eins von De Morgen. De Standaard wiederum führt aus, "warum ein Tondichter auch ein Poet ist". Das Fazit von Het Nieuwsblad: "Je bekannter ein Nobelpreisträger, desto größer ist die Diskussion darüber".
"Unfassbar", "peinlich", "beispiellos"
Innenpolitisch richten sich alle Augen weiter auf die die Krise innerhalb der Föderalregierung. "Unfassbarer Appell von Premierminister Charles Michel in der Kammer", titelt Het Belang van Limburg. Het Nieuwsblad spricht von einem "peinlichen Schauspiel". Premierminister Charles Michel musste sich gestern im Parlament den Fragen der Abgeordneten stellen. Dabei reagierte er auch zum ersten Mal öffentlich auf den Streit innerhalb der Regierungskoalition.
Der Premier wurde dabei mit der Zeit immer emotionaler, am Ende brüllte er fast, was man von Charles Michel eigentlich nicht gewöhnt ist. Er appellierte dabei an die Mehrheitsparteien, sich jetzt doch bitte endlich mal verantwortungsbewusst zu zeigen, zugleich rief er seine Regierung zur Einheit auf. "Der emotionale Appell des Premiers ließ aber die Regierungsmitglieder kalt", kann De Standaard nur feststellen.
Tatsächlich bekamen sich CD&V- und OpenVLD-Spitzenpolitiker gleich im Anschluss schon wieder "in die Wolle", wie Le Soir auf Seite eins bemerkt. Fazit der Brüsseler Zeitung: "Die Krise fährt sich fest". Beißendes Resümee von Het Laatste Nieuws, im Telegramm-Stil: "brüllen, flehen, einstecken. "Der machtlose Premier bekommt die Krise nicht in den Griff", bemerkt auch De Standaard.
Der machtlose Premier
Vor allem die flämischen Leitartikler gehen mit der Regierung hart ins Gericht. Der gestrige emotionale Vulkanausbruch des Premiers war so beispiellos wie pathetisch, urteilt etwa Het Laatste Nieuws. Ein Fußballtrainer, der seinen Jungs in den Hintern treten will, tut das in der Umkleide, nicht auf dem Platz, wo ja noch die Gegner herumstehen. Erst recht dann ist es umso peinlicher, wenn seine Minister sich munter weiter streiten, als wäre nichts gewesen. Alle Beteiligten sollten wissen: Streithähne werden in der Regel vom Wähler abgestraft.
In der Kammer bot sich gestern das Bild eines machtlosen, sogar ratlosen Premiers, hält De Standaard fest. Und Michel zog dabei ein Register, das tief blicken lässt: Indem er an das Verantwortungsbewusstsein der Mehrheitsparteien appellierte, stellte er sich staatsmännisch über die Mêlée. Das allerdings war wohl eher ein Akt der Verzweiflung, ein Zeichen dafür, das konkrete Argumente ins Leere laufen. Der letzte Premier, der so macht- und hilflos vor dem Parlament stand, das war Leo Tindemans vor exakt 38 Jahren. Danach reichte er beim König seinen Rücktritt ein.
"Kabarett-Kabinett"
Bemerkenswert ist, so urteilt De Morgen: Dieses Straßentheater erfolgt quasi aus eigenem Antrieb. Es ist in keiner Weise so, als würde die Koalition hier von den bösen Medien oder der lästigen Opposition vor sich her getrieben. In diesem Kabarett-Kabinett hat aber offensichtlich niemand mehr die Zügel in der Hand. Da wünscht man sich einen Bulldozer wie Jean-Luc Dehaene zurück.
Auch Het Nieuwsblad bescheinigt dem Premierminister Führungsschwäche. Ein derart beklopptes Schmierentheater hat wohl lange keine Regierung mehr zum Besten gegeben. Die Krönung war, dass Bart De Wever, während Charles Michel gerade seine Mehrheit anflehte, im Leseraum des Parlaments in einer Zeitung blätterte. Die Taktik des Premiers, sich neutral über die Streithähne stellen zu wollen, ist nicht aufgegangen. Sie hat allenfalls gezeigt, wie einsam es dort oben sein kann.
Für Het Belang van Limburg gibt es nur eine Option: Man muss beide Akten voneinander abkoppeln. Erstmal reicht die Regierung ihren Haushalt bei der EU-Kommission ein. Und die Strukturreformen, die sind dann für später. Es kann aber auch ganz anders kommen, gerade belgischen Politiker können da schon mal sehr kreativ sein.
Die drohende Ceta-Ablehnung der Wallonie
Die frankophonen Zeitungen beschäftigen sich ihrerseits mit der drohenden Ablehnung von Ceta, dem Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada. Das wallonische Parlament wird heute im Rahmen einer Sondersitzung offiziell Position beziehen. Lehnen die Abgeordneten in Namur den Vertrag mehrheitlich ab, dann kann Belgien Ceta nicht ratifizieren. Und es besteht kaum ein Zweifel daran, dass die Wallonie heute Nein zu Ceta sagen wird.
L'Avenir unterstützt das Parlament in seiner ablehnenden Haltung. Nein zu Ceta, das heißt Nein zum Diktat der multinationalen Konzerne, Nein zum politischen Outplacement, wo die Demokratie von der Wirtschaftswelt ausgehöhlt wird. Es kann nicht sein, dass internationale Unternehmen entscheiden, was für die Bürger Europas nun gut ist oder nicht. Die Haltung der Wallonie, das ist keine blindwütige Affekthandlung, das ist eine überlegte und zudem richtige Position.
Die Wallonie hat sich durchaus mit dem Thema auseinandergesetzt, glaubt Le Soir. Das Parlament hat unzählige Befürworter und Gegner des Freihandelsabkommens angehört. Der Umgang mit der Akte war vorbildlich. Und ganz nebenbei zeigt sich hier, dass es in diesem Land inzwischen zwei unterschiedliche Weltbilder gibt. Flandern will ja dem Abkommen zustimmen.
Ob die Wallonen sich wirklich so gründlich mit Ceta beschäftigt haben, das allerdings wagt L'Écho zu bezweifeln. Sogar innerhalb der PS scheint der eine oder andere inzwischen Gewissensbisse zu bekommen. Allein die Tatsache, dass etwa der berühmte Herver Käse nicht in die Liste der kontrollierten Herkunftsbezeichnungen aufgenommen wurde, zeigt: Die Wallonen haben das Thema wohl verschlafen.
Resultat ist das Bild einer unbeugsamen Provinz, nach dem Vorbild des Asterix-Dorfes, notiert resigniert La Libre Belgique. Das komplexe belgische Staatsgefüge räumt den Regionen hier schlichtweg zu viel Macht ein.
Roger Pint - Foto: Dirk Waem/BELGA